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Iwan Grodnidsche vom Parteikomitee raufte sich die Haare, als er die Meldungen las.

«Wovon lebt er denn?«rief er entsetzt.»Als er im Zoo war, verbrauchte er täglich eine kleine Wagenladung Heu und Brot. Er war ein teurer Kostgänger. Und jetzt läuft er allein und ohne Pflege durch die Trümmer und lebt dennoch. Man sollte sich die Haare ausraufen…«

Ganz schlimm war es unter der zurückgebliebenen Zivilbevölkerung und vor allem bei den Kindern, als die Existenz des Elefanten bekannt wurde. Alle wollten ihn sehen. Die Kinder bettelten und weinten, wenn man ihnen klarzumachen versuchte, daß es nicht sein könnte, weil draußen der Tod vom Himmel hagelte. Er wird frieren, sagte man. So ein armer Elefant. Er ist doch Hitze gewöhnt. Jetzt geht er durch Eis und Schnee, und eines Tages wird er vor Hunger und Schwäche umfallen und eingehen.

«Das Vieh muß her«, sagte Iwan Grodnidsche vom Parteikomitee.»Soll man das für möglich halten, Genossen? Da leben sie wie die Ratten in den Kellern und Erdhöhlen und heulen um einen Elefanten. Haben wir nicht andere Sorgen?«

Aber das sagte er nur, wenn die anderen bei ihm waren. Saß er allein an seinem Telefon in der Befehlszentrale, telefonierte er herum und fragte:»Sagt, Genossen, wo ist der Elefant? Meldet ihn mir sofort! Wir haben am Wolgaufer einen Ballen Heu bereitgelegt…«

Auch der Greis Abranow wurde wieder aktiv. Er gründete ein >Komitee zur Rettung des Elefanten<. Mit einer Liste ging er herum und sammelte Unterschriften, Brotreste, Rüben, Kohlköpfe und Stroh. Um seine Erdhöhle herum sah es aus wie auf einer verwahrlosten Kolchose. Es türmten sich Berge von Rüben und Kohl, Heu und Stroh, und es war gut, daß alles gefror, denn sicherlich wäre vieles verfault.

«Man muß sein Herz behalten«, sagte Abranow, als man ihn still belächelte. Vor allem die abgelösten Rotarmisten von der Stadtfront schüttelten den Kopf. Sie lebten seit Tagen von trockenem Brot und einem Hirsebrei, der muffig stank und nach Schimmel schmeckte. Hier aber türmten sich Kohl und Rüben, die man gut zu einer menschlichen Speise verarbeiten konnte, besser als den muffigen Kascha.»Auf das Herz kommt es an, Genossen. Wie können wir ein Vaterland befreien, wenn wir kein Herz mehr haben, he? Krieg ist Krieg, aber ein Elefant ist ein Elefant. Stellt euch vor, wie das sein wird: eine neue Stadt, ein neuer Zoo… und darin als Veteran des vaterländischen Krieges unser Elefant. Fast kann man sagen, es sei ein Symbol…«

Man ließ ihn reden und klaute ihm in der Nacht die Rüben, bis Abranow den Genossen Grodnidsche anflehte, eine Milizwache abzustellen.»Man bestiehlt den Elefanten«, jammerte er.»O Brüderchen… sie haben alle keine Seele mehr…«

Aber man sah den Elefanten nicht wieder. Irgendwo in der riesigen Trümmerwüste von Stalingrad mußte er umgekommen sein. Sicherlich hatten die Deutschen ihn erschossen. Doch Abranow sammelte weiter und löste sein >Komitee zur Rettung des Elefanten< nicht auf.

Wenige Stunden vor der Zurückverlegung des Verbandsplatzes zum Feldlazarett Gumrak wurden auch bei Dr. Portner alle sperrigen Güter und alles unnütze Gepäck vernichtet und verbrannt. Zu den entbehrlichen Gepäckstücken gehörte auch eine Kiste Schnaps, die Dr. Portner gehortet hatte, um im Notfalle mit diesem Alkohol zu desinfizieren. Nun konnte sie ausgegeben werden, und der Gefreite Schmidtke, genannt Knösel, riß sich zwei große Flaschen unter den Nagel. Um sicher zu sein, nicht gestört zu werden, meldete er sich zur MG-Wache und hockte sich in dem mit dicken Betonteilen befestigten Loch hinter das zugedeckte Maschinengewehr, setzte sich auf eine Munitionskiste und öffnete die erste Flasche, indem er den Hals an einer Mauerkante abschlug.

Gemütlich leerte er die halbe Flasche und kam in das angenehme Gefühl, das Leben trotz Kälte, Eis, Trümmer und immerwährender Todesnähe schön zu finden. Er steckte sich eine selbst-

fedrehte Zigarette an, schob den Stahlhelm in den Nacken, lok-erte den Schal um seine Ohren, denn ihm wurde ein wenig heiß, von innen heraus, und nahm noch einen Schluck aus der Flasche, vorsichtig, damit er sich nicht an dem abgeschlagenen, gezackten Flaschenhals die Lippen aufschnitt.

Ein dumpfes Poltern schreckte ihn auf. Steine rollten, es klang wie ein lautes Schnaufen, irgendwo fiel eine kleine Ruinenwand um. Knösel setzte die Flasche zur Seite in den Schnee und riß die Zeltplane von dem MG. Er zog den Gurt durch, spannte das Schloß und setzte sich hinter den Kolben.

«Ist das ein Mist«, sagte er zu sich.»Hoffentlich ist’s kein Panzer.«

Ungefähr zwanzig Meter vor ihm fiel wieder ein Trümmerstück um. Knösel legte den Zeigefinger an den Abzug des MGs, visierte die Hausruine an, in der es rumorte, und wartete. Dann sah er etwas, von dem er sich kein Bild machen konnte… aus den Steinen schlängelte sich etwas Graues, Schlangenartiges, bewegte sich schwankend hin und her, blieb in der Luft stehen und sah zu ihm herüber.

«Das ist was Neues«, sagte Knösel verblüfft.»Die Iwans haben bewegliche Fernrohre. «Er zielte auf die graue Schlange und jagte einen kurzen Feuerstoß aus dem MG. Ob er getroffen hatte, wußte er nicht. Aus den Trümmern antwortete ein Schnaufen und dann ein Schrei, der Knösel eiskalt in die Knochen fuhr. Es war ein trompetenhaftes Kreischen, weder menschlich noch maschinell. Es war etwas ganz Neues, und Knösel umklammerte den Kolben seines MGs, tastete zur Seite, wo die Handgranaten lagen und drei geballte Ladungen… die letzte Waffe gegen die Panzer.

Und dann geschah es, daß Knösel sich über die Augen wischte, sich entgeistert hinsetzte, mit beiden Händen das MG festhielt und starrte… starrte…

Vor ihm erhob sich aus den Trümmern ein grauer Koloß. Ein Berg aus Fleisch mit Säulenbeinen, mit wackelnden, großen Ohren und einem hocherhobenen Rüssel. Aus kleinen roten Augen starrte das Gebilde zu Knösel hinüber, schüttelte fast unwillig den Kopf und ging dann langsam quer durch die Trümmer, trat ein paar Mauerreste um, räumte mit dem Rüssel Steine aus dem Weg und stampfte durch eine große Hausruine davon.

Bewegungslos sah Knösel dem grauen Klotz nach. Ein paarmal schluckte er, dann wischte er sich über die Augen und griff wieder zu der Flasche, nahm einen tiefen Schluck und sagte:»Das glaubt mir keiner. Die halten mich alle für besoffen…«

Genauso war es, als Knösel zurück zu dem Verbandskeller rannte. Dr. Portner sah ihn prüfend an, schnupperte vor seinem Gesicht und nickte.

«Total blau. Und das auf MG-Wache. Knösel… Sie landen eines Tages doch noch vor einem Erschießungspeloton…«

«Herr Stabsarzt… ich bin vollkommen nüchtern… Sehen Sie doch. «Knösel schloß die Augen, streckte die Arme aus und marschierte gerade aus… ohne Schwanken, ohne Schlangenlinie… wie auf einem gezogenen Strich. Dr. Körner nickte verblüfft.

«Nüchtern.«

«Aufs Saufen geeicht. «Dr. Portner riß Knösel an der Schulter herum.»Kerl, Sie wollen uns doch nicht einreden, daß ein Elefant durch Stalingrad marschiert.«

«Ich habe ihn gesehen, Herr Stabsarzt.«

«Im Delirium.«

«Und gehört.«

«Pfötchen gegeben hat er nicht, wie? Und was hat er gesagt? >Guten Tag, mein lieber Knösel, schmeckt das Schnäpschen?<«Dr. Portner schlug gegen die Kellerwand.»Man soll es nicht für möglich halten, welche Blüten ein Grabenkoller treiben kann…«

Dabei blieb es. Knösel erntete mit seiner Elefantengeschichte nicht nur Unglauben, sondern die Bemerkung:»Noch so ’nen Blödsinn, und wir ziehen dir das Fell ab, du Spinner. «Beleidigt schwieg er. Erst die küssenden Russen, dann ein Elefant… er sah ein, daß dies ein bißchen viel war, auch wenn er es wirklich erlebt hatte.

In der Nacht kamen sie in Gumrak an. Sie wurden eingegliedert in das Feldlazarett der 6. Armee, dem großen Sammelplatz von 22 Divisionen, dem Ort, der aus einem Wasserturm, einem Stationsgebäude, einigen lehmbeworfenen Bauernhütten, einem Flugfeldund Tausenden von Verwundeten bestand. Sie lagen in Zelten, Erdhöhlen, notdürftig zusammengehämmerten Baracken oder in russischen Güterwagen, die halb ausgebrannt und zurechtgeflickt waren… Ein Gewirr von Holz und Eisen auf den Abstellgleisen des Bahnhofs..