Выбрать главу

«Ja.«

Es war, als ginge ein deutliches Aufatmen durch die fade Dunkelheit. Sigbart hielt ein neues Hindenburglicht an den fast abgebrannten Docht des brennenden und entzündete es. Die winzige Flamme geisterte über sein schmales, abgezehrtes Gesicht.

«War es schwer?«fragte er nach einer Weile.

«Nein. Ich habe statt vier Zettel eben fünf ausgestellt. Du hast eine Zertrümmerung des linken Oberarmes…«

Sigbart Wallritz versuchte ein schwaches Lächeln. Dabei war es, als leuchte plötzlich sein Gesicht von innen heraus.

«Mutter wird es dir danken«, sagte er leise.

«Noch bist du nicht draußen. «Wallritz zog den Mantel aus und warf ein paar Holzscheite in den blubbernden Eisenofen. Es waren zerhackte Eisenbahnschwellen, die langsam und stinkend brannten, weil sie zum Schutz gegen die Fäulnis geteert waren.»Wenn du aus dem Kessel ’rausoist, beginnt die Schwierigkeit erst. Und dann kann ich dir nicht mehr helfen. Du mußt sofort versuchen, zu verschwinden… schon auf dem Landungsflugplatz… denn wenn man dich wegschafft und aus dem Verband wik-kelt, geht alles in die Luft… vor allem Dr. Portner, der den Schein unterschrieben hat.«

«Ich werde durchkommen«, sagte Sigbart verbissen.

«Und dann willst du dich bis Kriegsende verborgen halten?«

«Ja.«

«Und wenn wir den Krieg gewinnen?«

«Glaubst du denn noch daran?«

«Ja…«

«Bist du denn blind?«

«Ich vertraue auf unsere Kameraden. Sie werden uns hier heraushauen. Auch der Führer läßt nicht eine ganze Armee einfach verrecken.«

«Ich bin Funker, Horst. Ich habe Hunderte von Funkmeldungen abgehört… von zig Regimentern und Divisionen… Wir sind hier am Ende…«

Wallritz holte die große Verbandskiste heran. Er bog eine Gitterschiene zurecht und verband sie mit einer Stützschiene. So entstand das im Landserjargon >Stuka< genannte Gestell, auf dem der zertrümmerte Arm ruhen konnte. Wallritz mußte diesen >Stuka< selbst herstellen, die fertigen Stützen waren längst verbraucht. Es war abzusehen, wann man aus Holzscheiten diese Schienen schnitzen mußte, weil nicht genug Material eingeflogen wurde.

«War jemand hier?«fragte Wallritz, als er Sigbart die Schiene anpaßte.

«Ja.«

Wallritz ließ die Schiene sinken.»Wer denn?«Er wurde unsicher.»Hast du rechtzeitig…«

Sigbart nickte und lächelte wieder.»Ich muß gestöhnt haben, als kratze ich jeden Moment ab. Er kam herein, sah mich an und sagte: >Ist denn keiner hier? Verfluchte Scheiße.< Dann ging er wieder hinaus.«

«War er verwundet?«

«Nein. Ein Feldwebel von den Kettenhunden, von der Feldgendarmerie.«

Wallritz half seinem Bruder, die Jacke auszuziehen. Wie bei einem Verwundeten schnitt er den Ärmel des Hemdes und Unterhemdes ab und schmierte etwas Dreck von der Uniform an den Stoff. Dann legte er den Arm auf die Schiene, bog die Stütze gegen die Brustseite und polsterte die Auflage mit Zellstoff aus.

«Setz dich etwas zur Seite«, sagte Wallritz,»dann kann ich besser verbinden.«

Das Erscheinen des Feldgendarmerie-Feldwebels vergaß er wieder.

Sorgfältig legte Wallritz den >Stuka< an. Bevor er den Arm auf der Schiene verband, legte er erst den Brustverband an, der die Stütze halten sollte. Sie saßen beide mit dem Rücken zum Eingang des Zeltes, neben sich die beiden flackernden Hindenburg-lichter. So merkten sie nicht, daß jemand ins Zelt schlüpfte und erstaunt neben dem Eingang im Halbdunkel stehenblieb. Was der späte Besucher sah, war eine merkwürdige Szene. Da verband ein Sanitäter einen völlig gesunden Arm auf einer Schiene, und auf der Decke, die über das Strohlager gebreitet lag, sah er das berühmte >Lebensbillett<.

Der Besucher schwieg, bis Feldwebel Wallritz daranging, die Schiene und den gesunden Arm abzudecken und zu umwickeln. Erst dann löste er sich aus dem Schatten und trat in den Lichtkreis der Kerzen.

«Sie sollten ein paar Blutflecke auf den Verband tun«, sagte er.

Die Brüder Wallritz fuhren herum. Horst ließ das Verbandspäckchen, das er in der Hand hielt, fallen, Sigbart beugte sich geistesgegenwärtig nach vorn und röchelte laut. Die dunkle Gestalt kam noch einen Schritt näher. Jetzt erkannte Feldwebel Wallritz das Gesicht. Es war Dr. Körner, und er starrte unverwandt auf den auf der Schiene liegenden, unverletzten Arm Sigbarts.

«Herr Assistenzarzt…«, stotterte Wallritz.

«Sagen Sie dem Mann, er soll endlich mit der idiotischen Röchelei aufhören.«

Augenblicklich schwieg Sigbart, sein Kopf zuckte hoch, und er starrte den jungen Arzt aus Augen an, in denen alles lag, von der Angst bis zur Mordlust, vom Betteln bis zur Verzweiflung.»Wissen Sie, was Sie da tun?«fragte Dr. Körner.

Wallritz bückte sich und hob das Verbandspäckchen vom Boden auf. Sinnlos rieb er es an der Uniformjacke ab, weil es ein wenig schmutzig geworden war, aber es wurde durch die Reiberei nur noch grauer.

«Mein Bruder Sigbart, Herr Assistenzarzt«, sagte er dabei, als stelle er in einer Gesellschaft jemanden vor.»Wenn ich Ihnen erklären darf…«

Dr. Körner setzte sich auf einen Schemel und sah wieder den halb verbundenen, gesunden Arm auf dem >Stuka< an. Es bedurfte keiner Erklärungen; was er sah, war völlig klar. Nur über das, was nun folgen mußte, würde man Worte machen müssen, viele Worte.

«Was darauf steht, wissen Sie, Wallritz«, sagte er.»Mein Gott, wie konnten Sie nur solch eine Idiotie begehen? Gerade Sie.«

Feldwebel Wallritz schluckte mehrmals.»Bis jetzt hat es kein anderer gesehen als Sie, Herr Assistenzarzt…«

«Soll das eine Bitte sein, mich mitschuldig zu machen?«

«Wenn Sie nichts gesehen haben…«

«Wallritz. Um uns herum liegen Tausende von Verwundeten, die auf einen Platz in einem Flugzeug warten und während dieses Wartens erfrieren und krepieren, und Sie schreiben einen Flugschein aus für einen Gesunden…«

Wallritz warf das Verbandspäckchen im hohen Bogen weg. Gleichzeitig griff er mit beiden Händen nach seinem Bruder, riß dessen rechte Hand nach hinten und schlug mit der Faust unbarmherzig unter das Kinn. Sigbart Wallritz kippte zur Seite und schlug mit der Stirn gegen die Trageholme der Bahre. Aus seiner rechten Hand rollte eine Pistole vor die Füße Dr. Körners.

«Auch das noch. «Dr. Körner bückte sich. Der Sicherungsflügel war herumgelegt, die Waffe geladen und schußbereit. Feldwebel Wallritz saß leichenblaß neben seinem besinnungslosen Bruder. So geht eine Familie dahin, dachte er, und wunderte sich, daß er überhaupt noch so denken konnte. Der Vater im KZ, die Mutter vielleicht unter den Bomben und die Söhne vor den Gewehrläufen eines Erschießungskommandos. 1942, im Dezember.

«Es ist nicht mehr zu ändern, Herr Assistenzarzt«, sagte Wallritz mit fester Stimme.»Rufen Sie die Feldgendarmerie.«

Dr. Körner steckte die Pistole ein. Daß er das Zelt betreten hatte, war ein Zufall gewesen. Der Schneesturm hatte an Heftigkeit nachgelassen, der Wind war müde geworden, und nun schneite es nur noch, wie eine Erinnerung an einen weihnachtlichen Abend, wenn die Flocken lautlos gegen die Scheiben schwebten und dort am warmen Glas zerschmolzen. Im OP-Zelt hatte er Licht gesehen und war hinübergegangen, um Feldwebel Wallritz zu sprechen.

Ohne Grund, nur um etwas zu sprechen, um die angespannten Nerven zu beruhigen.

«Sie wollten etwas erklären, Wallritz«, sagte Dr. Körner ernst.»Ich habe Sie bisher nie für einen Verrückten gehalten.«

«Sie… Sie wollen mich tatsächlich anhören…«

«Natürlich. Das ändert allerdings nichts an dem, was ich gesehen habe. Mich interessieren nur die Beweggründe, aus denen ein bisher zuverlässiger Mensch zu einem Idioten wird.«

Wallritz bückte sich und hob den noch immer auf dem Boden liegenden Brief seiner Mutter auf. Er hielt ihn Dr. Körner hin, und jetzt zitterte sein ausgestreckter Arm so heftig, als habe er einen eisigen Schüttelfrost.