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Pawel Nikolajewitsch Abranow bekam es deutlich zu spüren. Bei ihm erschien Shuri Andrej ewitsch Fulkow, ein unsympathischer, glatzköpfiger und spitznasiger Mann, wies sich als Abgesandter des städtischen Verteidigungskomitees aus und sah mit wollüstigen Augen auf die Kohl- und Kartoffelmieten, die Abranow rund um seinen Erdbunker am Wolgaufer angelegt hatte.

«Ihr seid mir ein Genosse«, begann Fulkow die Offensive gegen Abranow.»In der Stadt lecken sie vereiste Steine ab, und ihr thront hier auf einem Vorratshaus. Ist das kommunistisch gedacht, Pawel Nikolajewitsch?«

Abranow, der Greis, blieb taub. Er wies einen großen Zettel vor, und Fulkow las verblüfft, daß die Gründung eines >Komitees zur Rettung des Elefanten< sogar von Marschall Tschuikow gutgeheißen worden war.

«Sehen Sie, Genosse Kommissar«, rief Abranow empört,»daß die Vorräte für den Elefanten gesammelt worden sind? Glaubt ihr, wir hätten das alles aus der Wolga gefischt? Nein, aus der Stadt ist alles gekommen… die tapferen Rotarmisten haben es gebracht, abgehungert haben sie sich’s, die Brüderchen, für den Elefanten… das ist die reine Wahrheit.«

Shuri Andrejewitsch Fulkow kratzte sich die häßliche Glatze. Er hatte den Elefanten nie gesehen, und wenn man ihm davon erzählte, so interessierte ihn nicht der Rüsselträger, sondern vielmehr, was seine Milizsoldaten in den Kochtöpfen hatten. Und das war wenig, verflucht noch mal. Auch der beste Patriot fällt einmal um, wenn er einen leeren Magen hat. Pulver und Blei kann man nicht fressen, und immer nur heißes Wasser mit ein paar Rübenstücken darin ist keine Kraftnahrung für Männer, die Mütterchen Rußland schützen sollen. Unter diesen Aspekten handelte Fulkow weise, als er jetzt sagte:

«Der Elefant ist tot. Das städtische Verteidigungskomitee beschlagnahmt die Vorräte.«

«Oho, wo ist der Beweis?«schrie Abranow. Er schwenkte das Gründungsprotokoll des Elefantenkomitees vor Fulkows Nase, als müsse er ihm frische Luft zuwedeln.»Drei Bataillone haben die Patenschaft übernommen, Oberst Pjoterimik hat sogar…«

«Soll man es für möglich halten?«schrie Fulkow zurück.»Ein Elefant ist wichtiger als die tapferen Verteidiger der Stadt? Blöd seid ihr, dumm, idiotisch. «Und dann tat er etwas, was Abranow an den Rand eines Schlaganfalles brachte. Er riß das Gründungsprotokoll aus der Hand des Greises und zerfetzte es. Samt der Unterschrift von Marschall Tschuikow. So mutig war Shuri Andrejewitsch Fulkow, oder so hungrig… man konnte es individuell auslegen.»Das ist es wert«, brüllte er dabei.»Das. Nur das. Ein paar Fetzchen. Zu klein, um sich den Hintern damit abzuwischen.«

Abranow kapitulierte. Gegen Maßlosigkeit und Unhöflichkeit kann man nicht angehen. Es ist zwecklos, ein Idealist zu sein, wenn der Krieg die guten Sitten verroht.

«Gut, gut«, sagte er geschlagen.»Holt alles ab. Ihr werdet sehen, welchen Eindruck es macht bei den tapferen Männern, die es sich abgehungert haben…«

Der Ehrlichkeit wegen sei gesagt, daß es gar keinen Eindruck machte. Aber in der Front Stadtmitte hatten sie wieder einmal einen vollen Kessel und schlugen sich den Magen voll mit zwar saurem, aber sättigendem Kapusta. Die Deutschen merkten es direkt. Drei Straßenzüge wurden zurückerobert und zwei deutsche Paks erbeutet.

Aber man hatte in Stalingrad auch andere Sorgen als der etwas kindische Greis Abranow. Die deutsche 6. Armee war eingekesselt, und von allen Seiten drückten die sowjetischen Divisionen die Kesselwände ein, trieben Beulen und Risse und zwangen die deutschen Regimenter, zurückzugehen und sich immer mehr zusammenzudrängen. Das hatte zur Folge, daß die deutschen Truppen statt nach Westen nach Osten strebten, hinein in die Stadt Stalingrad, die allein eine konstante Front bildete, in der sich die Hin-und Herbewegungen nur in der Größenordnung einzelner Häuser messen ließen. Im Süden hatte man Beketowka freigekämpft, im Norden Rynak, aber was man an deutschen Truppen zurückgetrieben hatte, zog sich kämpfend in die Stadt hinein und drückte auf die müden, ausgebluteten, hungernden und unter Munitionsmangel leidenden Verteidiger.

Von ihrem jungen Ehemann Iwan Iwano witsch Kaljonin hatte Vera nichts mehr gehört, seitdem Major Kubowski wieder an die >Tennisschläger<-Front zurückgekehrt war. Da auch das Feldlazarett des Kapitänarztes Sukow mitten in die Stadt verlegt wurde, fiel der Nachrichtendienst über die Verwundeten aus, die sonst berichteten, daß der Mladschij Sergeant Kaljonin noch wohlauf sei und sich tapfer benehme wie ein richtiger Held.

Er hatte es auch nötig, ein zäher Held zu sein, denn seit einer Woche war er vermißt. Major Kubowski scheute sich, ihn als tot zu melden, aus dem dumpfen Gefühl heraus, dem Schicksal nicht vorzugreifen. Und er tat gut daran, denn Kaljonin saß allein in einem Keller. Er war verschüttet.

Das war ganz plötzlich geschehen, wie es die Eigenschaft großer Dinge ist, unangemeldet einzutreffen. Es war an einem der Tage, in denen die Deutschen sich, dem Befehl Hitlers beugten, nicht aus dem Kessel ausbrachen, sondern sich zusammenzogen und versuchten, die alten, aufgegebenen Stellungen in der Trümmerwüste der Stadt wieder zu besetzen oder zurückzuerobern. Der Tag hatte mit einem wilden Granatwerferfeuer begonnen, sogar zwei deutsche Panzer hatten eingegriffen und waren über die halbwegs befahrbaren breiten Straßen gekrochen. Von irgendwoher schossen drei leichte Geschütze, und Major Kubowski schrie:»Freiwillige vor, Genossen. Wir müssen herausfinden, wo diese Hundesöhne sich versteckt halten. Die pflügen unsere Stellungen um wie einen Rübenacker. Wer versucht’s?«

Iwan Iwanowitsch Kaljonin hatte sich gemeldet, und mit ihm noch fünf andere Rotarmisten. Im Wirbel eines Schneewindes waren sie losgerannt, Zickzack auf die deutschen Stellungen zu, von Ruine zu Ruine springend, jeden größeren Stein als Deckung nutzend, über die Straße kriechend wie schnelle Eidechsen, in Granattrichtern wartend und sichernd, nicht unten auf der Straße, sondern oben, im zweiten Stockwerk, katzenhaft, sich an Balken anklammernd, an herumhängenden Leitungen sich wegschwingend, Trapezkünstlern gleich, um sich federnd im halbierten Zimmer des nächsten Hauses hinzuwerfen und weiterzukriechen, erdbraune Schatten in einer weißen Mondlandschaft, aus der es ab und zu feurig aufbrüllte und Hauswände in sich zusammenfielen.

So waren sie weitergekommen, tapfere, todesverachtende Kerle aus Moskau und Irkutsk, Weißrussen und Kalmücken, Tataren und Usbeken, Männer vom Ladogasee und krummbeinige Reiter aus Ulan Bator. Mitten hinein in die deutschen Stellungen krochen und sprangen sie, und dann saßen sie im Keller eines großen Hauses, über sich mehrere Meter Schutt, und wußten, daß dreißig Meter weiter im Hof einer kleinen Konservenfabrik die drei deutschen Geschütze standen.

Kaljonin hielt eine kurze Besprechung, wie man das immer tut, ehe man etwas Außergewöhnliches vollbringt. Zwei Dinge konnte man tun… zurückkehren zu den eigenen Leuten und melden, woher die Deutschen den Tod in die sowjetischen Reihen schleuderten, oder versuchen, diese Geschütze zum Schweigen zu bringen.

«Das ist am besten, Genossen«, sagte Kaljonin.»Wir sind nun einmal hier, und ob die Artilleristen genau diesen Fabrikhof treffen, das ist noch eine Frage. Laßt uns überlegen, wie man das am besten machen kann.«

Sie überlegten nicht lange. Sie banden Handgranaten zu Bündeln zusammen und verstärkten sie mit kleinen Päckchen Sprengladungen. Ja, sie setzten sich sogar hin, jeder in eine Ecke, und reinigten noch einmal ihre Maschinenpistolen, damit sie keine Ladehemmungen hatten. Dann, nach einer Stunde, sah Kaljonin sich um und nickte.