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Während die drei Sankas im Schutz eines Trümmerbergs auf die Nacht warteten, um dann langsam mit den Verwundeten über die vom Schneesturm glattgefegte Steppe zurück nach Gumrak zu fahren, machte sich Knösel auf, die Protzen der vernichteten Batterie zu suchen. Es war eine klare Nacht, mit einem eiskalten Sternenhimmel und einem Mond, der aussah, als friere er.

Langsam ging Knösel durch die Trümmerwüste der Stadt. Zuerst war ihm die Gegend fremd, aber dann kam er in das Viertel, in dem er jeden Laufgraben kannte, jeden zum Bunker ausgebauten Keller, jedes zerborstene Haus, das jetzt noch mehr zerfetzt war oder nur noch aus einem Berg bizarrer Trümmer bestand.

Ein paarmal wurde er angerufen.»Leckt mich am Arsch!«schrie er dann zurück. Das war besser als jede Parole und wurde auch sofort von den Wachen verstanden. Nur einer antwortete auf die Aufforderung mit dem Satz:»Auch davon wird man nicht satt!«

Knösel tappte weiter. Als er MG-Feuer erhielt, verlegte er sich aufs Kriechen und Robben, schlängelte sich über Steine und Balken und vermied alle offenen Stellen oder freie Straßenüberquerungen. In der Ruine einer Großbäckerei traf er auf einen deutschen Spähtrupp. Die Männer saßen zwischen meterhohen Schutthalden und rauchten aus hohler Hand.

«Jungs, wo ist die Batterie hops gegangen?«fragte Knösel.»Da sollen noch Verwundete liegen.«

Der junge Fähnrich, der den Spähtrupp führte, zeigte mit dem Daumen in die Trümmer.»Dort irgendwo. Aber bleib hier… dort drüben ist eine windige Ecke. Weiß der Teufel, warum.«

Knösel kroch weiter. Er kam in den Fabrikhof mit den zerfetzten Geschützen und den herumliegenden Leichen. Und er hörte irgendwo ein Wiehern, ein hungriges Pferdeschreien, langgezogen und in die Knochen fahrend.

Aha, dachte er. Eines lebt wenigstens noch. Wieder bellten ein paar Granatwerfer los… es waren gezielte Schüsse, eigens für

Knösel abgefeuert. Er warf sich in ein Loch und verschnaufte. Irgendwo muß hier ein guter Beobachter sitzen, dachte er und hob vorsichtig den Kopf. Hausfassaden umgaben ihn, halbierte Wohnblocks, niedergebrochene Betondecken, Tausende von zerfetzten Armierungsstangen, die wie in den Himmel sich krallende Finger aussahen. Langsam, Meter um Meter, robbte sich Knösel weiter. Er erreichte den Eingang zu den Fabrikkellern und stieg hinab. Im sechsten Raum fand er die vier Verwundeten, von denen man auf der Sammelstelle gesprochen hatte. Drei waren inzwischen gestorben, sie lagen auf dem Rücken auf einem Packen fauligem Stroh und starrten an die Decke. Der vierte hatte dieses einsame Sterben abgekürzt. In der Mundhöhle seines zerplatzten Kopfes lag noch die Pistole.

Leise, als könne er die Toten stören, verließ Knösel wieder den Keller und kroch an die Oberfläche. Der Pferdeschrei, der plötzlich aufgellte, riß ihn herum. Er kam aus einer halbzerstörten, langgestreckten Halle, die einmal das Lagerhaus der Fabrik gewesen war.

«Gleich, gleich, mein Liebling«, sagte Knösel und sah sich um. Eine Stelle an einer massiven Betonmauer schien ihm geeignet zu sein, seinen Plan zu verwirklichen. Er machte einen schnellen Versuch… er richtete sich auf und sprang ein paar Meter über den Fabrikhof. Alles blieb still, nur außerhalb des Fabrikareals bellten jetzt die MGs auf. Der Spähtrupp war ausgemacht worden und kam in das Feuer sowjetischer vorgeschobener Sturmgruppen.

Knösel blieb auf dem Fabrikhof stehen wie auf einer Insel, um die das Meer braust. Er fand in Massen das, was er suchte. Eine Hacke, einen Spaten, eine Eisenstange… verstreut lagen die Werkzeuge herum neben den verlassenen, erhaltenen Protzen. Die Werkstatt, die hier gearbeitet hatte, war nach dem Überfall fluchtartig weggestoben. Als wilder Haufen zog sie jetzt irgendwo herum… entweder in der Steppe in Richtung Gumrak oder Wo-roponowo oder durch die Ruinen der Stadt nach Norden, wo man in den riesigen Trümmerwüsten der Werke >Roter Oktober< >Rote Barrikade< oder dem Traktorenwerk >Dsershinski< bessere Oberlebensmöglichkeiten erwartete.

Was Knösel nun begann, zeugte von einem fast prophetischen Weitblick. Er hatte schon einmal einen Rußlandwinter überlebt, damals, in der Steppe vor Moskau. Zwar hatte Knösel keine Erfrierungen abbekommen, aber jene Wochen im Eiswind und

Schneesturm waren unvergeßlich und eine Warnung. Und so tat Knösel jetzt etwas, was in seiner Situation als Blödsinn gelten konnte: Er legte einen Eisschrank an!

Einen schönen großen Eisschrank. Zuerst grub er ein Loch in die Erde, das er mit Schnee auslegte; dann hackte er Eiszapfen von den zerborstenen Dächern und Wänden, grub quadratische Schneewürfel aus, machte aus Holzstücken ein kleines Feuer, schmolz in einem verbeulten Kessel Schnee zu Wasser, übergoß damit die Würfel und fabrizierte so Eisbrocken. Dann erst begab er sich in die Lagerhalle und fand das schreiende Pferd in einer halb vom Schnee zugewehten Ecke. Es lag auf den Knien und scheuerte den Kopf an der vereisten Betonwand. Als es den Menschen sah, schwieg es und schaute ihn aus großen, starren Augen an. Knösel holte die 08 aus der Tasche und schob mit dem Daumen den Sicherungsflügel herum.

«Es ist gleich vorbei, mein Liebling«, sagte er und nickte dem Pferd zu.»Es ist schon eine Bande, diese Menschen…«

Der Schuß hallte in der leeren Halle wider, als sei es ein Granateinschlag. Knösel ging in Deckung und wartete. Aber niemand kam. Nur von draußen hämmerten noch die MGs. Was bedeutete da ein einzelner Schuß irgendwo in den Trümmern?

Über zwei Stunden arbeitete Knösel. Er schwitzte, hatte sich den Mantel und die Jacke ausgezogen und schleppte Stück um Stück des Pferdes in seinen Eisschrank. Er schichtete das Fleisch lagenweise aufeinander, schaufelte zwischen jede Lage eine Schicht Eis, umpackte dann alles mit Eisbrocken, schippte Schnee darüber und klopfte ihn mit dem Spaten glatt. Eine kleine Pyramide wuchs an der Mauer hoch, in deren Innerem keiner über einen Zentner frisches Fleisch vermutete.

«So«, sagte Knösel, als er fertig war, und warf den Spaten weg.»Jetzt drei Tage harter Frost, und wir haben das beste Kühlhaus.«

Ungefähr dreißig Pfund Fleisch — eine ausgetrennte Hüfte — packte er in einen Sack und warf ihn über die Schulter. So kroch er aus der Fabrik zurück in die Feuerlinie und keuchte den Weg zurück zur Sammelstelle der Verwundeten.

Nach etwa zweihundert Metern machte er Rast, warf den Sack von sich und legte sich ächzend und außer Atem auf eine halb zugeschüttete Kellertreppe. Über ihm pendelten einige Leuchtkugeln.

Sie galten jetzt ihm… die sowjetischen Posten hatten die Bewegung in den Trümmern bemerkt.

Sonst war es merkwürdig still in der Geisterstadt. Nur die lautlosen Leuchtkugeln an kleinen Fallschirmen verbreiteten ein phosphoreszierendes Licht. Knösel drückte sich gegen die Stufen. Sie liegen auf der Lauer, dachte er. Irgendwo dort in den Trümmern liegen sie und warten, daß ich herauskomme. Scharfschützen aus Sibirien und Turkmenien, die Augen an die Zielfernrohre gepreßt. Es gab nur eine Möglichkeit, weiterzukommen… die wenigen Augenblicke zwischen dem Verlöschen der Leuchtkugeln und dem Abschuß der neuen. Es waren nur ein paar Sprünge, aber mit ihnen konnte man ins Leben springen.

Knösel lag still und wartete, starrte nach oben und dachte an seinen Eisschrank. In diese Stille hörte er plötzlich Klopfen. Rhythmisch, schwach, Stein auf Stein gehauen… tack-tack-tack… tack-tack… tack-tack-tack-tack… Pause… tack-ta…

Steil setzte sich Knösel auf und lauschte. Das Geräusch war verstummt. Aber als er sich wieder schutzsuchend auf die Kellerstufen legte, hörte er es wieder. Tack-tack-tack…

«Verdammt!«sagte Knösel laut.»Da unten im Keller sind welche! Himmel, Arsch und Zwirn!«

Er nahm einen Stein und klopfte auf die Stufen. Deutlich kam Antwort… auf dreimaliges schnelles Klopfen erfolgte die ebenso schnelle Bestätigung. Knösel rutschte die Treppe hinab, bis er vor den verschütteten Eingang kam. Ein Teil der Kellerdecke war ein-