febrochen und hatte sich vor die Kellertür gelegt. Noch einmal ieb Knösel mit einem dicken Stein gegen das Geröll, und wieder vernahm er die Antwort jenseits der Wand.
Fast hilflos stand Knösel dem Geröll gegenüber. Träger, Beton, Mauerreste, Balken, Schutt, und darunter in einem Keller Menschen, lebendig begraben.
Es gab keine Wahl, er mußte den Schutt mit seinen Händen wegräumen. Hilfe zu holen war unmöglich. Neue Leuchtkugeln pendelten über ihm; ab und zu jagte ein Feuerstoß über das Gelände, eine freundliche Mahnung, nicht den Kopf hochzuheben.
Wieder klopfte es, im Inneren des Kellers polterte es. Aha, dachte Knösel, jetzt räumen sie auch mit. Er zog seinen Mantel aus und warf ihn hinaus zum Kellereinstieg. Kaum flatterte der Mantel durch die Luft, bellten ringsherum die Gewehre auf und rissen Löcher in den Stoff.
«Die schießen wie die Teufel!«sagte Knösel laut. Mehr zu denken, hatte er keine Zeit Daß er in einer Falle saß, wußte er. Wie er sie jemals verlassen sollte, war ein noch fernes Problem. Jetzt ging es erst einmal darum, den Keller aufzubrechen und die Verschütteten zu befreien.
Bis zum Morgengrauen arbeitete er, trug Steine weg, unterhöhlte die herabgestürzte, in der Stahlmatte hängende Decke, legte sich erschöpft für ein paar Minuten auf die Stufen und aß Schnee, dann klopfte er wieder, bekam Antwort und grub weiter. Stunde um Stunde. Bis der Morgen kam.
Der neue Tag begann mit Schneefall. Vor den klaren Sternenhimmel zog sich langsam wie ein grausamtener Vorhang eine Wolkendecke. Schnee aus Kasachstan. Als die ersten Rocken fielen, rannte Knösel mit einem Balken die letzten Trümmer um… sie krachten in das Innere des Kellers und gaben ein Loch frei, durch das sich ein Mensch zwängen konnte.
Knösel lehnte sich stöhnend gegen die Treppenwand und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Ein Mensch kroch durch das Loch ins Freie, als Knösel die Hand zurückzog und an seine Taschen klopfte, um die völlig zerdrückte Zigarettenschachtel zu finden. Statt zu den Zigaretten fuhr sie zur Pistole. Aus dem Keller kroch ein Russe. Staubbedeckt, an der Stirn blutend von herabfallenden Steinen, die ihn getroffen hatten.
Iwan Iwano witsch Kaljonin breitete die Arme aus, als er in der Freiheit stand. Er fing mit beiden Händen ein paar Schneeflocken auf und preßte sie gegen seinen Mund, als küsse er sie. Dann hob er den Kopf zu dem noch immer keuchenden Knösel und lächelte ihm zu.
«Spassibo«, sagte er (Danke).»Balschoi spassibo…«(Vielen Dank). Er streckte Knösel die Hand entgegen.»Du… moi drug…«(Du, mein Freund).
«Das ist ’n Ding«, sagte Knösel, setzte sich auf die Kellerstufe und legte die 08 auf die Knie,»’n Iwan hol’ ich ’raus! Sind vielleicht noch mehr da unten?«
«Njet!«
«Ach, du verstehst mich?«
«Wännigg deutsch. «Kaljonin kam näher und setzte sich neben Knösel. Er holte aus seiner Tasche eine Packung Papyrossi und hielt sie Knösel hin.»Du rauchen…?«
«Danke.«
Kaljonin grinste verlegen.»Ich gefangen!«
«Scheiße!«sagte Knösel ehrlich. Er stieß den Rauch gegen die Schneeflocken und zog seinen Mantel herunter, um ihn über Kopf und Schultern zu ziehen.»Was nun? Die sind mit den Sankas längst weg…«
«Wärr wegg?«
«Die Kameraden, Iwan!«
«Ich Kaljonin. Iwan Iwanowitsch.«
«Na siehste, wie ich richtig liege! Wir müssen uns jetzt hier häuslich niederlassen bis zur Nacht. Du kannst ja zwar weg, aber wenn schon, dann leistest du mir Gesellschaft… Haste Hunger?«
«Hungär? Tak…«Kaljonin nickte. Er griff wieder in die Taschen seines Mantels und holte zwei alte, verbogene Scheiben Brot heraus
«Bittää…«
Knösel sah auf die harten Brotstücke.»Och, nichts zu fressen an der Wolga, was?«sagte er. Sein Gesicht erhellte sich etwas.»Aber Knösel hat was, Iwan! Heute ist Feiertag für Onkels Neffe! Paß mal auf, aber halt de Augen fest, daß se nicht 'rausfallen!«
Er kroch nach oben, zog einen Sack herunter und löste die Verschnürung. Das angefrorene Pferdefleisch quoll blutrot hervor. Kaljonin klopfte Knösel auf die Schulter.
«Gutt! Sähr gutt, Kamerad…«
«Und wie gut, mein Junge! Los, friß dich satt!«
Kaljonin sah Knösel fragend an. Dann nahm er ein Klappmesser aus der Tasche, faßte das Fleisch an einem Zipfel und begann, ganz dünne Scheiben abzuschaben. Mit dem Ärmel wischte er ein Stück Holz sauber vom Staub, legte die Fleischläppchen darauf und zerhackte sie mit schnellen Klingenschlägen. Knösel kratzte sich den Kopf.
«Das ist gut«, sagte er.»Gehacktes aus Schabefleisch. Iwan, das machen se im Exzelsior nich besser!«
Kaljonin wies mit der Messerspitze auf das Häufchen Fleisch.»Nimm, Kamerad…«
Sie aßen auf diese Art fast jeder ein Pfund Fleisch. Dann saßen sie satt auf der Kellertreppe und starrten durch die Trümmer. Es hatte aufgehört zu schneien. Vom >Tennisschläger< her bellten Geschütze auf, eine Rotte Sturzkampfbomber zog über die Stadt zum Wolgaufer. Irgendwo fielen Trümmer um wie zusammenbrechende Urwelttiere.
Kaljonin stieß Knösel an, der stumm rauchte.»Warum, Kame rad?«-
«Was warum?«
«Kriegg…«
«Frag deinen Stalin, Iwan.«
«Oder Hitlär!«
«Du Frau?«
«Nein. Du?«
«Ja. Ganz neu…«Kaljonin sah wieder in die Trümmer. Veraschka, dachte er. Wo mag sie jetzt sein? Sie werden gesagt haben: Der Iwan Iwanowitsch ist tot. Seit vier Tagen verschollen in der Stadt. Oh, der kommt nicht wieder. Weine nur, kleines Frauchen Veranja… Iwan Iwanowitsch war ein Held. Und sie wird bei ihrem Großväterchen sitzen, dem etwas einfältigen Greis Abranow, und sie wird sagen: Warum mußte Iwan Iwanowitsch ein Held sein und nicht der Vater meiner Kinder? Und weinen wird sie, die kleine Veraschka. Ganz rote Augen wird sie haben, wie ein Siamkätzchen.
Kaljonin seufzte tief. Knösel sah ihn von der Seite an.»Ich würd’ ja sagen: Hau ab… wenn ich wüßte, wie ich hier ’rauskomme!«
Kaljonin verstand ihn nicht. Er seufzte noch ein paarmal bei dem Gedanken an Vera, dann schlief er ein. Sein Kopf sank gegen die Schulter Knösels; wenig später schnarchte er sogar. Erst als der Abend dämmerte, wachte er auf und weckte Knösel, der neben ihm lag.
Mit einem Ruck setzte sich Knösel auf und griff zur Pistole. Sie war noch da, und als er Kaljonin ansah, schüttelte dieser den Kopf.
«Du… mein Freund«, sagte der Russe.»Kein Krieg zwischen uns… Lab wohlll…«
«Du willst abhauen?«
«Lab wohlll«, sagte Kaljonin noch einmal. Er hatte sein Taschentuch an ein Stück Holz gebunden und hob diese kleine Fahne nun aus dem Kellereingang hinaus.»Lauf, Kamerad…«
«Sie werden mich wie einen Hasen umknallen.«
«Nix schießen! Lauf.«
Irgendwo bellten ein paar Schüsse auf. Knösel riß Kaljonin zurück.»Mensch, wenn dich unsere Spähtrupps sehen!«
«Du gähen hier an Straße entlang…«Kaljonin zeigte durch die Trümmer.
«Und du?«
«Ich dorthin. «Er zeigte in die Richtung >Tennisschläger<, wo die Trümmer wieder durcheinandergewirbelt wurden.
«Willst du nicht mitkommen, Iwan?«
«Nein. Wir Siegär! Aber du? Mitkommen?«
Knösel schüttelte den Kopf.»Nein, Iwan.«
«Warum nicht? Krieg für Deutschland kaputt…«
«Vielleicht. «Knösel zog seinen Mantel an und warf den Sack mit dem Pferdefleisch über den Rücken.»Das ist so komisch mit uns, Iwan… wir machen weiter, auch wenn's in die Hosen geht! Jetzt frag bloß nicht, warum! Ich weiß es auch nicht… vielleicht haben wir 'ne Schraube weniger im Gehirn?! Mach's noch gut, Kumpel Ruski…«
«Viel Glück!«Kaljonin hob wieder seine kleine weiße Fahne hoch. Dann schob er sich aus der Deckung und ging aufrecht durch die Trümmer auf die russischen Scharf schützen zu. Dabei schwenkte er sein Taschentuch an der Dachlatte und rief laute Worte.