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Nikolai Feodorowitsch sah wütend auf die kleine Gruppe, die den Deutschen in die Mitte des Raumes stellte und ihm die Augenbinde abnahm.

«Was soll's?«fragte Babkow.»Welch eine Blödheit! Habe ich nicht gesagt — «

«Es ist kein üblicher Gefangener, Genosse Major«, antwortete der Mann, der Wallritz verhört hatte.»Er ist ein Deserteur!«

«Er ist ein Deutscher, das genügt!«Babkow hob die Hand und zeigte mit ausgestrecktem Finger auf Wallritz. In mühsamem Deutsch sagte er:»Du erschossen. Verstanden?«

«Ja. «Wallritz nickte. Die Kehle zog sich ihm zusammen.»Aber warum? Warum? Ich hasse den Krieg wie ihr…«

Major Babkow winkte. Wallritz wurde herumgerissen und aus dem Raum geführt. Man führte ihn in ein Erdlodi, stieß ihn hinab, er fiel auf verfaulten Kohl, eine stinkende, breiige Masse, dann schloß sich über ihm die Tür.

So lag er Stunden um Stunden, dachte an seine Mutter, weinte und betete. Als die Tür über ihm wieder geöffnet wurde, war er bereit, zu sterben.

Kapitel 7

«Mitkommen!«sagte der Partisan, der Wallritz im Wald gefunden hatte.»Steh auf… komm…«

Mühsam erhob sich Wallritz. Ein paarmal glitt er auf dem verfaulten, glitschigen Kohl aus, kroch aus der Erdhöhle und blieb auf den Knien liegen. Um ihn herum standen einige finster blik-kende Russen, es war heller Tag, das Geisterdorf schien verlassen zu sein bis auf die paar Männer, die vor ihm standen. In der Ferne grollte Artilleriefeuer wie ein abziehendes Gewitter.

Wallritz richtete sich auf.»Macht… macht es schnell«, sagte er heiser. Dann schloß er die Augen und dachte an das, woran er in den vergangenen Stunden immer nur gedacht hatte. Mutter… Mutter… Mutter…

«Komm mit«, sagte der bärtige Mann wieder. Er stieß Wallritz in den Rücken und trieb ihn mit neuen Stößen vor sich her. Er stolperte mit leeren, aufgerissenen Augen über Erdhügel (unter denen die Höhlen lagen), durch knietiefen Neuschnee, an Blockhütten vorbei und in eine dieser Hütten hinein. Hitze aus einem Eisenofen schlug ihm wie eine Faust entgegen. Sie wollen mich foltern, dachte er. Sie wollen mich mit glühenden Eisen brennen, sie wollen mich schreien hören, schreien…

Einen Augenblick versuchte er eine schwache Gegenwehr. Er blieb stehen, stemmte die Füße gegen den Boden, aber ein neuer Stoß trieb ihn in den überhitzten Raum. Dort saß an einem Tisch Major Babkow und rauchte.

«Erschießt mich doch!«brüllte Wallritz.»Aber nicht das! Nicht das!«

Major Babkow sah den bärtigen Mann hinter Wallritz an.»Du hast ihm nichts gesagt, Juri Stepanowitsch?«

«Nein, Genosse Major. Ich dachte — «

«Schon gut. «Babkow winkte Wallritz, näher zu kommen. Er lächelte breit und nickte einem jüngeren Russen zu, der am Fenster stand, die Arme über der Brust verschränkt.»Das ist Leutnant Perwuchin. Er kann deitsch sähr gutt. Er wird erklären…«

«Sie hassen den Krieg, hat man mir gesagt?«Leutnant Perwuchin sprach fast akzentfrei. Er stieß sich von der Wand ab und trat an den Tisch heran. Sigbart riß die Augen auf. Die Angst lähmte ihm die Zunge.

«Sie sind desertiert, nicht wahr?«

«Ja.«

«Sie wollen nach Hause?«

«Sie werden nach Hause kommen.«

Wallritz war es, als zöge man ihn durch eisiges Wasser. Er schwankte und hielt sich an der Tischkante fest. Dann brach er in die Knie und schlug die Hände vor das Gesicht. Babkow, der winken wollte, wurde von Perwuchin daran gehindert. Der Leutnant kam um den Tisch herum und half eigenhändig, Wallritz aufzurichten.

«Erschießt mich doch«, weinte Wallritz.»Warum quält ihr mich denn?«

Perwuchin schob ihm einen Hocker unter und drückte ihn auf den Sitz. Er hielt Wallritz sogar eine Schachtel Zigaretten unter die Augen. Wallritz schüttelte den Kopf.

«Sie haben Angst, ich weiß. «Die Stimme Perwuchins hatte einen begütigenden Klang.»Man erzählt so viel Unwahres von uns bei Ihren Soldaten. Aber wir sind auch Soldaten wie Sie! Auch wenn wir die Uniform abgelegt haben, um besser kämpfen zu können. Wir werden Sie gut behandeln, Sie werden bald in ein Lager kommen mit warmen Häusern, Betten und guter Kleidung, und wenn es sich zeigt, daß Sie wirklich ein Gegner Hitlers und des Krieges sind, wird man Sie vielleicht sogar nach Moskau bringen, auf die Antifaschule, unter Obhut der deutschen Genossen Ulbricht und Weinert. Wissen Sie, daß Ulbricht und Weinert an der Stalingradfront sind und täglich zu Ihren Kameraden sprechen?«

«Nein«, stammelte Wallritz. Er begriff das alles nicht. Er hörte Worte, ohne sie zu verstehen. Er erkannte nur eins: Er sollte weiterleben. Er wurde nicht erschossen, nicht gefoltert, nicht stückweise zerrissen. Er durfte leben!

Leutnant Perwuchin steckte sich eine neue Zigarette an.»Allerdings müssen Sie uns erst beweisen, daß Sie ein Gegner Ihres Regimes sind«, sagte er dabei.»Wir werden Sie genau beobachten und etwas von Ihnen verlangen.«

«Was… was soll ich tun?«stammelte Wallritz.

Leben, dachte er dabei. Leben. Ich werde Mutter wiedersehen.

«Wir wissen aus aufgefangenen Funksprüchen, daß morgen nacht von Morosowski ein großer Nachschubtransport zum 48. Panzerkorps nach Nishne Tschirskaja unterwegs ist und durch unser Gebiet rollt. «Perwuchin schnippte die Asche von seiner Zigarette.»Sie werden an der Weggabelung stehen und die Kolonne statt nach Tschirskaja zu uns in den Wald leiten…«

Wallritz nickte. Ich werde leben, dachte er. Ich werde leben.

«Sie bekommen dazu die Uniform eines Oberfeldwebels der Feldgendarmerie. «Perwuchin grinste freundlich.»Wir haben alle Uniformen, die wir brauchen. «Wallritz zog die Schultern hoch. Er begriff, was hinter diesen Worten stand.»Wenn dieses Unternehmen glückt, werden wir Sie weiterreichen zur Armee. Sie werden nach dem Krieg Ihre Heimat wiedersehen…«

«Ich werde alles tun… alles«, stotterte Wallritz. Perwuchin nickte. Juri Stepanowitsch, der Bärtige, drehte Wallritz an der Schulter herum und führte ihn aus dem Zimmer.

«Ein Glück hast du, Freundchen«, sagte er auf russisch.»Als wenn ich es geahnt hätte, als ich dich sah…«

Am Abend wurde Wallritz eingekleidet. Die Uniform war etwas zu weit, aber wer achtet schon darauf. Das Wichtigste war das blankgeputzte Brustschild der Feldgendarmerie, das Abzeichen, das selbst Generale respektierten, weil hinter ihm die Macht einer gnadenlosen Gerichtsbarkeit stand.

Um Mitternacht stand er neben einem Motorrad an der Straßengabelung und wartete auf die deutsche Nachschubkolonne. Hinter ihm, im Dickicht des Waldes, lagen in tiefer Staffelung 2000 Partisanen mit Maschinengewehren, Granatwerfern, Flammenwerfern und kleinen, wendigen Panzerkanonen. Sie säumten eine Straße, die im Nichts, im dichten Wald endete. Eine Riesenfalle, aus der es kein Entrinnen gab.

Sigbart Wallritz fror. Er stampfte durch den Schnee hin und her, lauschte in die Ferne nach Motorengeräusch und setzte sich dann wieder auf den Sattel seines Motorrades, um auf den Nachschubtransport zu warten.

Jetzt hatte er Zeit, über alles nachzudenken, und er dachte mit sich Zusammenkrampfendem Herzen: Gleich werden sie kommen. Wagen an Wagen. Mit Munition, mit Verpflegung, mit Lazarettbedarf, mit Feldpost, mit Wasche, Uniformen, warmen Mänteln, Handschuhen, Filzstiefeln. Wagen an Wagen, auf die einige tausend deutscher Soldaten draußen in der Steppe warten. Bei dreißig Grad Kälte, im Freien liegend, an die Panzer und Fahrzeuge gedrückt, verwundet, mit durchgebluteten Verbänden, hungernd und bis zum Umfallen erschöpft. Und hier stehe ich, an einer Weggabelung, und werde diese Wagen ableiten in die Vernichtung. Und sie alle werden sterben… die Fahrer und Begleiter, die Offiziere und Sonderführer, die Melder und Funker, die Ersatztruppen und die Neulinge an der Front. Und sie alle haben eine Mutter, einen Vater, eine Frau, eine Braut, Kinder… ein einziger Mann wird sie zu Witwen und Waisen machen… der ehemalige Freiwillige Sigbart Wallritz, der hier an der Kreuzung steht und sagen wird:»Die Straße ist gesperrt. Umleitung über diesen Weg…«