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«Bald ist Weihnachten, Veraschka«, sagte Iwan Iwanowitsch mit glückschwerer Stimme.

«Ich wünsche mir einen Sohn«, sagte sie leise und küßte ihn.»Einen Sohn, der einmal so wird wie du.«

«Oder ein Mädchen, so schön wie du, Veraschka…«

«Und Frieden, Wanja.«»Frieden…«

Sie sahen zur Decke. Staub rieselte auf sie herunter. Es donnerte und bebte. Die Tür wurde aufgestoßen. Olga Pannarewskaja stand im Zimmer. Sie sah blutverschmiert aus, an ihrer langen Gummischürze hingen Knochenstückchen und Gehirn. Vera fuhr von dem Bett hoch und strich ihren Rock herunter.

«Es tut mir leid«, sagte die Arztin.»Sie können liegenbleiben, Iwan Iwanowitsch. Aber Vera brauche ich. Die Keller sind voll mit Verwundeten, und sie müssen verbunden werden, ehe wir sie in der Nacht zur Wolga bringen lassen.«

Zwischen stöhnenden Körpern arbeiteten Sukow und drei andere Ärzte. Und auch Major Kubowski war wieder da. Mit einem Schulterschuß. Es war nur eine Fleischwunde, die Sukow kritisch betrachtete und von der er sich zu der unkameradschaftlichen Bemerkung hinreißen ließ:»Der kam Ihnen wohl sehr willkommen, Genosse Major? Er sitzt so goldrichtig dort, wo er absolut keinen Schaden anrichten kann…«

«Glauben Sie, ich lenke die Kugeln mit Magneten?«fauchte Kubowski. Sukow sah den Major verblüfft an.

«Das ist eine Idee! Sie sollten sie dem Obersten Sowjet zur Patentierung vorschlagen!«

«Ein blöder Mensch!«stöhnte Kubowski, als die Pannarewskaja an ihm vorbeikam.»Und so etwas ist Arzt! Man könnte an der Wissenschaft zweifeln, wenn es dich nicht gäbe.«

Um die Zeit etwa, als Knösel neunhundert Meter weiter westlich in einer Kellerecke hockte und einen Weihnachtsbaum aus brand-

Geschwärzten Dachlatten zimmerte, ihn mit getrocknetem Gras ehängte und >Schneebällen< aus alten Bindenresten, die er zu Kugeln rollte und verleimte, um die Zeit, als Dr. Körner und Pfarrer Webern zu den Sterbenden gingen, zu den Fiebernden, zu den Verfaulenden, um ihnen das Sterben zu erleichtern, hockte Kaljonin wieder in einem Grabenstück, geschützt durch einen dicken Wolfspelz, und starrte hinüber zu den deutschen Bunkern und hinauf in den grauen Himmel.

Hier, allein auf Posten, durfte er sich erinnern, wie es in seiner Kindheit gewesen war… an Weihnachten. Über die Wolga heulte von der Steppe aus Kasachstan her der Eiswind, aber im Ikonenwinkel brannten die Kerzen, und die Mutter sang mit zittriger Stimme die alten Weihnachtslieder. Im Ofen, in der Backröhre, garte ein Kuchen, ein herrlicher Kuchen aus weißem Mehl und gerösteten Sonnenblumenkernen. Papuschka als Herr des Hauses schnitt ihn an und nahm das erste Stück; es roch so feierlich aus dem dampfenden Laib. Es war Weihnachten…

Kaljonin stützte den Kopf in die Hände. Seitlich von ihm schepperte ein Panzer durch die Straßen. Ein kleiner Trupp Rotarmisten marschierte hinterdrein. Ablösungen, aus Sibirien herangeführt und über das Eis der Wolga gesetzt. Von allen Seiten kamen jetzt Truppen heran, um die Deutschen endlich zu zerdrücken.

Weihnachten! Friede auf Erden…

Iwan Iwanowitsch Kaljonin seufzte laut. Man hörte es ja nicht…

Kapitel 8

Weihnachten. 24. Dezember 1942. Heiliger Abend.

Überall im Kessel Stalingrad flackerten die Kerzen auf. In den Erdbunkern, in Ställen, in Hütten, in Zelten, in der Steppe wie in den Trümmern der Stadt, in zerschossenen Panzern und unter Planen, vor den verzerrten Gesichtern der Sterbenden und den für einen Augenblick entspannten, hohlwangigen, verschmierten, vergreisten Gesichtern der noch Lebenden.

An einem Wegweiser in der Steppe hing ein Petroleumlämpchen, und ein Weihnachtsbaum mit richtigen Lichtern brannte auf einer Höhe und leuchtete weithin über das sterbende Land. Es war, als halte für eine ganz kurze Zeit die Weltgeschichte den Atem an, für ein Zwinkern nur, ein erstauntes Besinnen und Begreifen, daß es so etwas noch gab, daß Menschen, die verfaulten und verhungerten, sich um das flackernde Licht einer Kerze sammelten, die Hände falteten und leise das Vaterunser beteten, mit einer Innigkeit, die sonst nie in ihnen gewohnt hatte.

In den Kellergewölben unter dem Kino stand Pfarrer Webern vor einem kleinen Altar aus Kisten und Brettern und betete vor einem Kreuz, das Knösel aus zwei Stuhlbeinen gezimmert hatte. Um ihn herum lagen die Todgeweihten, dahinter knieten die Hoffnungslosen, an den Wänden, auf den Kinoklappstühlen hockten die anderen Verwundeten, fiebernd, mit klappernden Zähnen, mit schmerzweiten Augen und zuckenden Gliedmaßen.

«… denn Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr«, sagte Pfarrer Webern. Seine Stimme schwebte über den vergehenden Gesichtern der Sterbenden und deckte das Stöhnen und Röcheln zu, das sich um seinen Altar versammelte.

Dann sprach er von der Liebe, von der Erlösung, von der Gnade Gottes, von der offenen Tür des Himmels, an der niemand abgewiesen werde, der rufen würde: Ich will zu DIR, Herr, denn ich bin ein armer, sündiger Mensch.

Als er betete, senkte selbst Dr. Portner den Kopf. Vor ihm lagen drei Schwerverwundete, die den Morgen nicht mehr erleben würden. Aber ihre Augen waren weit offen, ihr Blick starrte selig in die Kerzen am Altar und auf den Weihnachtsbaum aus verkohlten Dachlatten und Steppengras. Und sie falteten die Hände über ihren zerfetzten Körpern, und ihre Lippen bewegten sich lautlos, als sie alle im dumpfen Chore beteten.

Vater unser, der Du bist im Himmel… und vergib uns unsere Schuld… denn Dein ist das Reich…

Dann sangen sie, mit gefalteten Händen, die Augen auf den brennenden Baum gerichtet, ein Geisterchor fast, Stimmen aus durchgebluteten Verbänden in der Begleitung von Röcheln und wimmerndem Weinen, fiebrigen Schreien und bettelndem Stammeln.

Stille Nacht, heilige Nacht…

Vor dem Altar Paul Weberns starben bei diesem Lied sieben Soldaten. Sie streckten sich, und ihre gläsernen Augen starrten noch immer in die Kerzen, lebendige Punkte in einem ausgedörrten Leib.

Über ihnen schwieg der Krieg nicht. Die Artillerie donnerte, sowjetische Kommandotrupps durchkämmten die Trümmer in der Hoffnung, daß Weihnachten die Aufmerksamkeit der Deutschen behindere. Aber die Gräben und MG-Nester, die Bunker und Panzerstellungen, die Pak-Geschütze und Granatwerfer waren besetzt. Wenn auch zwischen den Trümmern einsame Kerzen flak-kerten, Irrlichter sich erinnernder und Abschied nehmender Herzen, wenn auch der Gesang aus den Bunkern und Erdhöhlen, den Kellern und Unterständen dumpf über die tote Stadt wehte, ein Feld singender Gräber, daß ein Schauer über die Rücken der Rotarmisten glitt… es wurde zurückgeschossen, es wurde sich weiter in den Schnee gekrallt und es wurde auch an diesem Tag gestorben, dreckig wie immer, verzweifelt und sinnlos. Aber die Nachwelt würde es Heldentod nennen, und die Jugend nach zwei Generationen würde davon lesen und es nicht verstehen und sich nicht vorstellen können, was es heißt: Krieg.

Ober die Kellertreppe des Kinos schleppten zwei Landser eine zusammengesunkene, blutende Gestalt. Feldwebel Wallritz, der mit zwei Sanitätern im Vorkeller war, um die frisch Verwundeten in Empfang zu nehmen, klappte einen der Kinostühle herunter und winkte den beiden Landsern zu.

«Setzt ihn dorthin. Ich komme gleich…«

Die beiden Soldaten blieben mit ihrer Last in der Mitte des Raumes stehen. Sie hörten aus dem Nebenkeller den dumpfen Gesang des Weihnachtsliedes; auch der Mann in ihrer Mitte richtete sich mit letzter Kraft auf und starrte aus blutverschmiertem Gesicht um sich.

Wallritz machte ein paar Schritte auf ihn zu. Vor der Brust des

Verwundeten pendelte wie bei Pfarrer Webern ein kleines Kreuz. Nur glänzte es nicht mehr… es war rot von Blut. Noch einmal sah der Mann sich um, dann sank er wieder zusammen, wurde besinnungslos und hing schlaff in den Armen der beiden Landser.

«Mein Gott, wer ist denn das?«fragte Wallritz. Er packte mit zu, und gemeinsam trugen sie den Ohnmächtigen zu einer Stellage aus Kistenbrettern.