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Und wie er sich freute, der gute Kaljonin. Er trank ein paar lange Schlucke aus der Flasche und faßte Vera um die Taille. Ein bißchen unbequem war's schon, ein wenig hart im Kreuz und vor allem uneben, aber Iwan Iwanowitsch war ein kluger Junge. Er zog seinen Mantel aus und baute aus Steppstoff und Brotbeutel ein schönes Lager in der Deckenmulde.

«Du wirst frieren, Wanja«, sagte Vera, als er sie auf seinen Mantel legte.»Du zitterst schon.«

«Das ist etwas anderes, Täubchen«, stotterte Iwan Iwanowitsch. Er fror erbärmlich, zugegeben, aber so etwas gesteht man nicht in dieser Situation. Er hoffte darauf, daß es ihnen beiden bald warm werden würde. So war’s denn auch; sogar schwitzen tat er, der brave Kaljonin, und sein Frauchen kam sich vor, als würde sie gebacken.

Später saßen sie nebeneinander und sahen hinüber zu den Weihnachtskerzen der Deutschen.

«Schön sind eigentlich diese Kerzen, nicht wahr, Wanja?«sagte Vera Kaijonina verträumt und lehnte an Kaljonins Schulter.»Mamuschka zündete auch immer eine Kerze an… ich kann mich daran erinnern… auch wenn Papuschka schimpfte. Er war ein großer Bolschewik…«

«Auch wir brannten Kerzen«, sagte Vera.

Gegen Morgen kroch Veraschka wieder zurück zum Lazarett und ließ Iwan Iwanowitsch mit teils traurigen, teils sündigen Gedanken in seiner zerborstenen Hausdecke zurück. Er schlief ein wenig, und keiner kann ihm das verübeln, denn schließlich hatte er eine lange Nachtwache am Busen Veraschkas hinter sich.

Knösel war zurückgekehrt, ohne Pastor Sanders gefunden zu haben. Am Abend des 26. Dezember ging Weihnachten zu Ende… sowjetische Panzer, frische mongolische Truppen und sechs Batterien Stalinorgeln brachen aus dem >Tennisschläger< vor und hämmerten auf die deutschen Kellerbunker. Kalkstaub und Schneenebel zogen träge über die Trümmerwüste. Aus ihrem Schutz heraus sprangen die Stoßtrupps, zischten die prasselnden Ölfinger der Flammenwerfer, ratterten die Panzer durch die Straßen und walzten die deutschen Trichterstellungen nieder.

Aber noch etwas anderes geschah, was ungewöhnlich war: Der junge Leutnant, der mit seinem Ersatz und seiner gestohlenen Verpflegung im Keller bei Dr. Portner saß und nicht wußte, wohin er mit seinen Männern sollte, weil alle Telefonleitungen zerschossen waren und der Funkverkehr nach dem Feuerüberfall abriß, dieser junge Leutnant mit dem Gesicht eines Greises stand neben dem Funkgerät und sah zu, wie der Funker sich bemühte, irgendeine Verbindung zu bekommen. Plötzlich sah er Stabsarzt Dr. Portner an, wollte etwas sagen, lächelte grundlos und sank um. Dr. Körner riß ihm die Uniform auf, legte das Ohr auf seine Brust und schüttelte den Kopf.

«Tot!«sagte er völlig ratlos.

«Schon wieder einer!«Dr. Portner half mit, den jungen Leutnant auf den Küchentisch zu heben.»Sobald irgendeine Verbindung zustande kommt, lassen Sie die Meldung durchgehen. In den letzten neun Tagen hat unser Regiment vierzehn Ausfälle durch plötzlichen Herztod gehabt. Die Leute stehen herum, graben neue Stellungen, stützen sich auf den Spaten, spielen Karten, trinken aus der Feldflasche… und plötzlich fallen sie um und sind tot! Wir haben das schon mal gemeldet… aber in Pitomnik scheint man auf den Ohren zu sitzen!«

Bei dem Armeeoberkommando westlich Gumrak stapelten sich die Meldungen von allen Frontabschnitten des Kessels. Ein Oberarzt sammelte sie gewissenhaft in einem roten Schnellhefter. Sie wurden zur Geheimen Kommandosache. Überall machte man die gleichen Beobachtungen… völlig gesunde Männer fielen plötzlich ohne Feindeinwirkung um und starben einen Sekundentod.

Ein Befehl ging an alle Truppenärzte, denen solche Todesfälle vorkamen: Keine Beerdigung der Leichen. Die Körper sollen eingefroren werden. Bei 35 Grad Kälte war dies kein Problem. Man lebte ja in einem riesigen Eisschrank.

Der Generalarzt sprach mit Berlin.

Berlin antwortete sofort.

Das deutsche Oberkommando wird einen Pathologen in den Kessel von Stalingrad einfliegen lassen.

Einen Pathologen?

Ja. Einen Oberarzt von Professor Dr. Rößle, einen hervorragenden Anatomen. Er wird den geheimen Auftrag mitbringen, festzustellen, warum so viele Soldaten ohne äußere Einwirkung so plötzlich sterben. Er wird Leichenöffnungen vornehmen, Sezierungen, anatomische Untersuchungen. Das Oberkommando ist sehr an einer Klärung der geheimnisvollen Tode interessiert, denn… diesen plötzlichen Tod, diesen Tod aus dem Nichts gibt es nur in Rußland… nur bei der 6. Armee…!

Am 20. Dezember tickte es im Funkgerät des Kellerlazaretts am >Tennisschläger<. Der Funker nahm die Meldung auf und schob Dr. Portner den Text auf den Operationstisch.

«Morgen früh 8.30 Uhr Bereitstellung zur Sektion. Bergner, Oberstarzt, Ende.«

«Das ist etwas für Sie, Körner«, sagte Dr. Portner und verband weiter einen Armstumpf.»Sie traben heute nacht mit unseren drei Spontantoten los nach Gumrak. Wallritz und Rottmann begleiten Sie.«

Um drei Uhr früh, bei heulendem Schneesturm, rannten sie los. Vorweg der stämmige Rottmann, der Feldgendarm, der den Anschluß verloren hatte und nun zum Lazarett gehörte, der die Strohsäcke aufschüttelte, abends in Operationspausen den Küchentisch von Blut, Eiter und Knochensplittern blank scheuerte, der die Toten aus den halbwegs ganzen Uniformen pellte und sie den Verwundeten überzog, die halbnackt und blaugefroren den Weg von ihren Bunkern und Gräben bis zum Kino zurückgekrochen waren, der trotz der 50 Gramm Brot am Tag noch immer etwas feiste Emil Rottmann mit den Schlangenaugen und dem Freifahrschein nach Hause in Hirn und Herz, der nicht von der Seite Wallritz’ wich, weil dieser für ihn das Leben bedeutete, dieser imitierte Bulle, wie ihn Knösel nannte, rannte voraus. Ihm folgten sechs Träger, die zwischen sich in Zeltbahnen drei steifgefrorene Leichen trugen. Beim Rennen stießen die Körper gegen Mauern und Trümmer, man brauchte keine Rücksicht mehr zu nehmen, die Kameraden in den Zeltplanen spürten längst nichts mehr. Den Leichenträgern folgten Dr. Körner und Feldwebel Wallritz. Wallritz trug eine prallgefüllte Meldetasche bei sich.

«Ich lege Ihnen ans Herz, die Meldungen dem Oberarzt selbst zu geben!«hatte Dr. Portner zu ihm gesagt.»Und wenn der alte Herr huch macht und umfällt, können Sie ihn gleich bei dem Anatom auf den Seziertisch legen! Vielleicht werde ich auch erschossen wegen Wehrkraftzersetzung.«

«Was steht denn da drin, Herr Stabsarzt?«Wallritz sah seinen Chef nachdenklich an.

«Die Wahrheit, Wallritz. Was wir brauchen, und was wir bisher gekriegt haben! Und was ich über diese Sauerei denke. Alles zusammen ist das strafbar, denn ein deutscher Soldat denkt nicht, er gehorcht nur! Und nun hauen Sie ab.«

Außerhalb der Trümmerwüste, an der Zariza, wartete ein Lastwagen auf sie. Er war umringt von verzweifelten Verwundeten, die im Schnee standen, hockten oder lagen, ein Wall von Leibern, dicht um das Fahrzeug geschart, das für sie Rettung bedeutete,

Fahrt nach Gumrak, zu den Flugzeugen, die sie mitnehmen würden… Sie wußten nicht, daß in Eisenbahnwaggons und Zelten rund um den Flugplatz Zehntausende lagen und täglich hundert steifgefrorene Leichen aus den Wagen und Zelten geworfen wurden, wie Holzbretter auf einen Haufen. Stapel der Namenlosen. Ein Hügelland aus grauen Leibern, dem der Schnee barmherzige Decken gab.

Vor dem Lastwagen standen drei Landser mit angelegter Maschinenpistole. Als der kleine Trupp mit den drei Zeltplanen aus dem Schneesturm auftauchte, kam Bewegung in die Verwundeten.

«Kumpels, es geht los!«schrie jemand.

Aus dem Schnee reckten sich Arme und Hände. Auf dem Bauch krochen sie zu dem Wagen. Die Gehfähigen traten rücksichtslos auf die Rücken der Kriechenden und stampften sie in den Schnee. Eine Welle von Wahnsinn und nackter Lebensangst brandete auf die drei mit den Maschinenpistolen zu.

«Stehenbleiben!«brüllte einer von ihnen, ein Feldwebel.»Jungs, ich lasse schießen! Der Wagen gehört dem Generalarzt.«