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«Scheiß was auf deinen General! Wir wollen mit!«schrie jemand.»Wir wollen hier nicht verrecken!«

«Ich schieße!«brüllte der Feldwebel.»Zurück! Seid doch vernünftig… zurück…«

«Rennt sie um!«Ein greller Schrei aus der Tiefe der heranwankenden Leiber.»Zerreißt sie, die Lumpen!«

Der Feldwebel zögerte. Er starrte in hohle und aufgedunsene Gesichter, in irre Augen und aufgerissene Münder, in Totenschädel, in denen es lebende Augen gab, auf Skelette, die durch den Schnee hüpften.

Da schoß er. Zuerst vor der heranschwankenden Mauer in den Schnee, dann auf die Beine der ersten. Sie brüllten auf, fielen in den Schnee, und die anderen trampelten über sie hinweg und stürmten weiter. Bis er die ersten erschoß… er mußte es tun, denn sie kamen auf ihn zu, zerbrochene Gewehre wie Keulen in den Fäusten schwingend. Als die drei ersten zusammensanken, blieb die Mauer stehen. Der Klang der Schüsse hatte ihren Widerstand zerschmettert.

Dr. Körner und Wallritz gingen stumm zum Wagen, die Zeltplanen mit den drei Toten wurden aufgeladen, die Träger und Emil Rottmann folgten. Neben Körner und Wallritz standen die drei Fahrer schußbereit.

«Wieviel können wir mitnehmen?«fragte Dr. Körner leise.

«Keinen, Herr Assistenzarzt. «Der Feldwebel beugte sich zu ihm.»In Gumrak ist es ja noch schlimmer als hier. Und wenn wir einen mitnehmen, wollen sie alle mit. Sie sehen doch, daß sie halb wahnsinnig sind.«

Aus der geballten Masse der Verwundeten trat ein Mann vor. Er hatte den Kopf verbunden, aber das Blut war durchgesickert und vereist. Er sah aus, als trage er eine rote Haube. Dr. Körner biß sich auf die Lippen. Viel zu wenig Binden, dachte er. Die Kälte frißt sich in die Kopfwunde. Daß er überhaupt stehen kann, denken kann, reden kann.

«Hauptmann von Beukow«, sagte der Mann und verbeugte sich korrekt.»Sie leiten diesen Transport, Herr Assistenzarzt?«

«Es ist kein Transport, Herr Hauptmann. Ein Sonderwagen des Herrn Generalarztes…«Dr. Körner schluckte krampfhaft. Für drei Tote schickt man einen Wagen, dachte er. Für drei Tote hat man Sprit von Gumrak nach Stalingrad und zurück. Und dort stehen dreihundert Verwundete, die man in der Steppe krepieren läßt, weil es kein Fahrzeug gibt, das sie abholt. Dreihundert Väter, Söhne, Männer, von denen zweihundert weiterleben könnten.

Hauptmann von Beukow blickte auf die drei Zeltplanen im Hintergrund des Wagens.»Dann handelt es sich bei den drei Kameraden wohl um drei hochgestellte Herren?«

«Nein. Um drei Tote.«

«Um was, bitte?«

«Um Tote, Herr Hauptmann. Wir haben einen Sonderwagen für Tote. Sie wundern sich?«

«Nein, wie Sie sehen. Ich habe in Stalingrad das Wundern verlernt. Besteht die Möglichkeit, daß sich Ihrem Totentransport auch einige Lebende anschließen?«

Dr. Körner wandte sich ab. Er wußte nicht, für wen er sich schämte, aber er schämte sich. Vielleicht schämte er sich, daß er noch lebte.

Hauptmann von Beukow stellte sich an den. Wagen. Er starrte auf die im Schnee Liegenden, die wimmernd und flehend die Hand hoben, die wieder gekrochen kamen, in letzter, aufbäumender Kraft, den Wagen, das Leben zu erreichen.

«Die ersten zwanzig…«, sagte von Beukow.»Wer sich vordrängt, wird erschossen. Los… vortreten… die ersten zwanzig…«

Als der Lastwagen anfuhr, war er überladen. Selbst auf den Trittbrettern und dem Kühler hockten die Verwundeten.

Hauptmann von Beukow blieb zurück bei den anderen, den Hoffnungslosen. Bevor Dr. Körner ins Führerhaus kletterte, hielt ihn der Hauptmann fest.

«Herr Kamerad, darf ich um Ihre Pistole bitten… ich habe meine unsinnigerweise weggeworfen.«

Körner zögerte. Er starrte in die flehenden Augen des Offiziers, auf die ausgestreckte, blaugefrorene, aber ruhige Hand. Da nestelte er seine Pistole aus dem Futteral und legte sie in die bittende Hand des Hauptmanns.

«Danke, Herr Kamerad. «Hauptmann von Beukow grüßte. Dann fuhr der Wagen an… nach einem Aufheulen des Motors schluckte der Schnee jedes Geräusch. Nur den trockenen Knall eines Schusses verschluckte er nicht. Dr. Körner hörte ihn… er hatte auf ihn gewartet.

Hauptmann von Beukow, dachte er. Wie wird es draußen in Deutschland heißen? Gefallen auf dem Feld der Ehre für Großdeutschland. In stolzer Trauer…

Man müßte schreien, dachte er. Man müßte nichts anderes tun als schreien… schreien… immer nur schreien…

Kapitel 9

Im Armeeoberkommando bei Gumrak herrschte noch immer gedämpfter Optimismus. Man spürte es an kleinen Dingen: Die Stabsoffiziere hatten noch ihre Burschen, die jeden Morgen die Stiefel blank wichsten, beim Essen bedienten Ordonnanzen an Tafeln mit weißen Tischtüchern, es wurde zackig gegrüßt und ebenso zackig gemeldet, die Funksprüche aus dem Führerhauptquartier wurden geglaubt, nur wenn man auf den Reichsmarschall zu sprechen kam, wurde man unsachlich und schob ihm den Schwarzen Peter der ganzen Misere zu. Die Versorgung aus der Luft brach von Tag zu Tag mehr zusammen. Nur ein Bruchteil der versprochenen Tonnenzahl wurde eingeflogen. Beruhigend war lediglich, daß immer wieder von Hermann Göring versichert wurde, alle verfügbaren Flugzeuge würden aus anderen Fronten abgezogen und nach Stalingrad geworfen, um die 6. Armee so lange zu versorgen, bis von außen der Durchbruch durch den Einschließungsring gelungen sei.

In einem Operationsbunker wartete der Pathologe aus Berlin. Er war eine fremdartige Erscheinung inmitten der Uniformen, ein Zivilist, gut genährt, ohne hohle Augen, sauber rasiert, mit gepflegten Fingernägeln. Sein weißer Arztkittel war blütenweiß, seine Gummischürze gelbrot und neu, seine Gummihandschuhe hellgelb und dünn. Auf einem weißgedeckten Seitentisch hatte er sein anatomisches Besteck sauber ausgebreitet, einige Glasbehälter für die Präparate standen daneben. Der Oberstarzt und einige andere Stabsärzte, die aus Stalingrad selbst oder aus den Dörfern des Kessels gekommen waren, standen um den Seziertisch herum und rauchten stumm. Auch Oberst von der Haagen war da. Er stand nicht mehr vor der großen Rußlandkarte und erklärte den Vormarsch der deutschen Divisionen bis Wladiwostok und an die chinesischen Grenze. Er war sehr still geworden und kratzte sich die Nase, als jucke sie heftig, als er den Assistenzarzt Dr. Körner sah. Den habe ich noch vor kurzem ferngetraut, dachte er. Damals sah alles ganz anders aus. Er wandte sich um und ging zu dem Berliner Pathologen, um Dr. Körner nicht begrüßen zu müssen.

«Na, Sie letzter Zivilist«, rettete sich von der Haagen in den Sarkasmus,»wie sieht’s in Berlin aus? Was man im Radio hört… muß ja ein toller Siegeswillen im Volk sein! Das macht uns stark, mein Bester, glauben Sie mir. Wenn hinter den Waffen die Herzen

stehen, das spürt die Front. Das gibt uns starken Halt, wenn sich der innere Schweinehund meldet und bis zum Kragenknopf bellt. Dann denken wir: Unsere Frauen und Mütter, unsere Väter und Kinder… die stehen in der Heimat ihren Mann, sie wissen, daß wir siegen werden… also, Emil, 'ran an die Buletten und gib's dem Iwan in die Fresse…«Oberst von der Haagen sah sich provokatorisch um. Die Ärzte schwiegen weiter und rauchten stumm. Sie kamen aus dem Dreck, unter ihren Händen waren Tausende verblutet, sie kannten die Wahrheit.

Oberst von der Haagen wandte sich schroff ab. Akademikersturheit, dachte er, um sich selbst aufzurichten. Da haben wir ihn wieder, diesen zersetzenden defätistischen Intellektualismus! Mit Akademikern kann man keine Kriege gewinnen, die denken zuviel!

Unterdessen tauten Dr. Körner, Rottmann und Wallritz ihre drei Leichen auf. In einem überheizten Raum legten sie die Körper neben den Ofen und drehten sie mehrmals herum, damit sie auch überall das Eis und die Steifheit verloren. Nach kurzer Zeit lagen sie in Wasserlachen. Ein Stabsarzt, der hereinsah, um festzustellen, wie lange es noch dauerte, schüttelte den Kopf.