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«Ich bin kein Held!«schrie Rottmann wild.»Ich sehe nicht ein, warum ich hier in der Steppe verrecken soll! Warum und für wen?«

«Das wissen wir alle nicht. Aber jetzt ist jeder auf den anderen angewiesen! Und wenn Sie vor Feigheit in die Hosen machen, es kümmert sich keiner drum. Sie sind da, und das ist wichtig… Es stirbt sich leichter in Kameradschaft.«

«Ich will nicht sterben!«Rottmanns Augen quollen aus den Höhlen.»Ich will wie dieser Sigbart Wallritz ausgeflogen werden. Ich habe euch beide in der Hand, eure dämlichen Spruche ziehen nicht mehr, nicht bei mir! Ihr seid genau solche Schweine wie ich!«

Dr. Körner überlegte nicht lange. Er holte aus und schlug Rottmann quer übers Gesicht. Es klatschte, als wenn ein nasses Handtuch gegen eine Mauer pappte. Rottmann machte keine Bewegung der Abwehr, er nahm den Schlag hin, sein Kopf pendelte etwas. Junge, dachte er dabei, hat das schmächtige Kerlchen einen Schlag, dann schnaufte er wie ein gereizter Stier, drehte sich ab und rannte hinaus.

«Jetzt macht er seine Anzeige«, sagte Walkitz nach einer Weile Schweigen.»Ich… ich hätte vielleicht getan, was er wollte…«

«Sie haben Angst, Wallritz?«

«Ja, Herr Assistenzarzt.«

«Angst vor dem Sterben?«

«Nein. Aber ich denke an meine Mutter…«Wallritz senkte den Kopf. Seine Schultern zuckten.»Ich habe es damals… bei Sigbart… auch nur wegen Mutter getan…«

Dr. Körner nagte an der Unterlippe. Der Weg, den sie jetzt gehen würden, war ihm klar, Verhaftung, Verhör, Kriegsgericht, Todesurteil. Es wäre eine Illusion gewesen, anderes zu denken, anderes zu hoffen. Mein Leben ist sowieso abgeschlossen, dachte er. Es liegt unter den Haustrümmern der Lortzingstraße in Köln, in einem Keller, neben Marianne, der eine Luftmine die Lunge zerriß. Daß ich lebe, ist nur noch die Funktion des Körpers, der Wechselrhythmus von Herzschlag und Armen, der Kreislauf des Blutes, der Nerven und Muskeln antreibt. Mehr ist es nicht… Eine Seele? Wo habe ich sie? Ein Gefühl? Es wurde zur Erinnerung. Ein Lebenswille? Er erstickte mit der Luftmine in Köln.

«Wir werden erst morgen nacht wieder zurück in die Stadt können«, sagte er.»Wir haben fast vierundzwanzig Stunden Zeit. Sie bringen sich in Sicherheit, Wallritz.«

«Herr Assistenzarzt…«

«Ich werde dafür sorgen, daß Sie ausgeflogen werden.«

«Und Sie, Herr Assistenzarzt?«

«Ich?«Dr. Körner schüttelte müde den Kopf.»Mir passiert nichts mehr, Wallritz, was mich noch erschüttern könnte.«

Major Jewgenij Alexandrowitsch Kubowski führte einen heiligen Krieg gegen die sowjetische Militärbürokratie. Eingebrockt hatte ihm das salzige Süppchen der saubere Chefchirurg von Abschnitt Stalingrad-Mitte, Dr. Andreij Wassilijewitsch Sukow. Der Satan hole ihn, dachte Kubowski und spuckte gegen die Mauer. Eifersüchtig auf Olgaschka ist er, der Lümmel, das ist alles. Ärgern tut er sich, weil Olga nicht ihn küßt, sondern mich, den Major Kubowski. Und wie er knurrt, wenn Olga meine Wunde auswäscht und verbindet. Wie ein Bär knurrt er, unangenehm und trotzig.

Eigentlich hatte Sukow recht und handelte streng nach den Vorschriften, als er den verwundeten Offizier Kubowski sofort an den Frontmilitärrat meldete, denn schließlich war der Major, auch wenn er Sukow persönlich unangenehm war, ein dekorierter Offizier und ein tapferer Soldat. Was kommen mußte, kam auch prompt: Kubowski erhielt den Befehl, sich zur Ausheilung seiner Wunde und zur Erholung zum Sammelplatz jenseits der Wolga zu begeben.

«Eine Infamie!«schrie Kubowski, als ein unschuldiger Rotarmist ihm den Befehl übergab. Er zerriß den Meldezettel und rannte zu Olga Pannarewskaja. Sie operierte gerade einen Halsschuß.

«Täubchen!«schrie er.»Du weißt, was man mit mir machen will. Aber ich weigere mich! Ich verlasse die Stadt nicht ohne dich! Keiner kann mir das übernehmen. Und wenn ich mit dem Genossen Shukov selbst spreche… Was soll ich in Kasachstan? Soll ich die Schäfchen zählen? Ich bleibe.«

Dr. Sukov, der am Nebentisch einen Bauchschuß behandelte, sah zu dem schreienden Major hinüber.

«Bitte, gehen Sie hinaus, Genosse Major«, sagte er höflich.»Ich bin froh, daß meine Verwundeten ohnmächtig sind und ich die Anästhesie spare. Ich brauche zur Erweckung nicht Ihre Posaune…«

«Welch ein unhöflicher Mensch!«Major Kubowski küßte Olga in den Nacken.»Aber er soll unser Glück nicht stören, dieser Unmensch. Ich werde wie ein Bettler herumlaufen und sie alle überzeugen, daß ich keine Erholung in Kasachstan brauche.«

Er blieb an der Tür stehen und sah noch einmal zu Olga Pannarewskaja. Eine Schönheit, dachte er glücklich. Diese schwarzen Haare, diese Schultern, diese Brüste, die Hüften, die schlanken Beine in den hohen Juchtenstiefeln. Und diese Glut in ihrem Blut, dieser Wüstenwind in ihrem Atem. Ich bin ein glücklicher Mensch, wirklich. Und wenn draußen die Welt untergeht… ich habe sie geliebt, das kann mir niemand mehr nehmen.

Die Ärztin blickte kurz auf, ihre Blicke begegneten sich. Sie lächelten sich zu, es war eine innere Verbundenheit, die keine Worte brauchte. Dann beugte sie sich wieder über die Halswunde und vernähte das ausgezackte Loch in der Speiseröhre.

Sechs Stunden pilgerte Jewgenij Alexandrowitsch von Bunker zu Bunker, von Offizier zu Offizier, von Zuständigkeit zu Zuständigkeit. Er besuchte den Lazarettkommissar, drückte ihm die Hand und unterhielt sich mit ihm über das Schachspiel; er verhandelte mit dem Inspekteur des Sanitätswesens und erzählte vier scharfe Witze; er stand zwei Stunden im Vorbunker des Armeegenerals und versuchte dann zu erklären, daß ein Held auch mit einem Schulterschuß ein Held bleibe und den Vaterländischen Krieg nicht in Kasachstan, sondern in Stalingrad beenden sollte. Zuletzt meldete er sich bei dem Generalstabschef der Heeresgruppe Stalingradfront, dem Genossen Generalmajor Warennikow, und schilderte ihm seine Nöte. Neben Warennikow saß ein freundlicher, rundköpfiger Mann, der Typ eines lieben Bäuerleins, und er lächelte Major Kubowski an und nickte öfter beifällig zu seinen Argumenten.

Das machte ihm Mut. Er redete weiter, bis der freundliche Mann die Hand hob und abwinkte.

«Ich glaube, wir sollten ihn vorläufig als Transportoffizier an der Wolgafähre einsetzen, bis er wieder kampffähig ist«, sagte er zu Generalmajor Warennikow.»Ich freue mich, daß der Genosse Major so an dieser Stadt hängt.«

«Das wäre möglich, Genosse. «Generalmajor Warennikow winkte ebenfalls. Major Kubowski war entlassen. Vor der Tür traf er auf einen Hauptmann und hielt ihn fest.

«Da drinnen sitzt ein lieber Mann«, sagte er.»Ich kenne ihn nicht. Aber er sieht aus wie ein Bauer und spricht wie ein General. Wer ist's, Brüderchen?«

Der Hauptmann sah den Major verblüfft an.»Das ist ein Genosse vom Frontkriegsrat, direkt aus Moskau. Nikita Sergejewitsch Chruschtschow heißt er…«

«Nie gehört.«

«Ein unbekannter Mann, Genosse Major.«

Kubowski ging weiter zur Leitstelle, um dort auf sein Kommando zu warten. Als er eintrat, wußte man bereits von ihm. Der Generalstabschef hatte angerufen.»Sie werden das Übersetzen der Panzer und LKW über die Wolga leiten«, sagte ein Oberst zu ihm.»Leider kann ich Ihnen nur die Zentral-Fähre anbieten. Die Stadt-Fähre ist besetzt.«

«Warum leider, Genosse Oberst?«

«An der Zentral-Fähre haben wir die meisten Ausfälle außerhalb der Stadt. Sie liegt unter Beschuß schwerer deutscher Artillerie. Machen Sie es gut, Major.«

So kam Jewgenij Alexandrowitsch Kubowski als Kommandant an die Wolga.

Es war ein leichter Dienst, wenn man davon absah, daß er eine gute Lunge erforderte und eine genaue Kenntnis aller Flüche von Minsk bis Astrachan. Gebrüllt wurde vom Tag bis in die Nacht und die Nacht hindurch bis zum neuen Tag. Die gewalzte Straße über das Eis der Wolga war dauernd verstopft durch Idioten, die keinen Wagen lenken konnten, sich querstellten und alles blockierten. Dann schoben dreißig Rotarmisten das Fahrzeug von der Bahn. Am schlimmsten war es, wenn Pferdefuhrwerke kamen. Das war meistens nachts. Sie brachten Verpflegung für die Zivilbevölkerung Stalingrads, die immer noch zu Tausenden in den Kellern hockten oder am Steilhang in den Erdlöchern, wimmelnde Riesenratten, die den Sanitätern halfen, die Wasser und Tee nach vorne schleppten, die Verwundeten aus den Trümmern zogen, die Brot backten und Suppen kochten. Eine große Familie waren sie alle, die ehemaligen Fabrikarbeiterinnen aus den Traktoren- und Kanonenwerken, die Mütter und die Greise, ja selbst die Kinder, die in den Feuerpausen durch die zerstampfte Stadt krochen und Holz sammelten. Für sie brachten die Panjewagen das Essen heran. Major Kubowski raufte sich die Haare, wenn er die Kette der Pferdewagen kommen sah. Gleichzeitig drängten die Panzer zur Wolga, die Kompanien der Ersatztruppen, die Werkstattwagen, Verwundetentransporte, Kesselwagen mit Benzin und Motorenöl. Sie alle wollten über die Wolga, über einen schmalen Streifen dicken, glatten Eises, und Kubowski schrie sich die Lunge wund, regelte den Verkehr und wurde mit Namen bedacht, die vom Wolfshund bis zum Bastard einer mongolischen Hure reichten.