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Dr. Körner behielt seine Offizierseskorte bei, als er die Baracke betrat. Ein Leutnant begrüßte ihn und stellte sich ihm als Anwaltsassessor im Zivilberuf vor. Er war bereit, die Verteidigung des Kameraden zu übernehmen. Dr. Körner gab ihm die Hand und schüttelte den Kopf.

«Danke, ich verteidige mich selbst.«

«Wie Sie wünschen, Herr Kamerad. «Der junge Leutnant atmete auf. Es war undankbar, als Pflichtverteidiger einen Fall zu übernehmen, der von vornherein faul war. Dr. Körner wurde in einen Nebenraum geführt und durfte sich auf einen Stuhl setzen. Die beiden Offiziere blieben bei ihm.»Sie haben noch zwei Stunden Zeit«, sagte der eine zu ihm.»Man hat Ihnen diese Frist eingeräumt, um sich mit Ihrem Verteidiger beraten zu können. Wollen Sie etwas lesen? Mit den letzten Flugzeugen ist die Neu-

jahrsnummer des >Reich< eingeflogen worden. Man schreibt, daß das ganze deutsche Volk unendlich stolz auf die 6. Armee ist…«

Dr. Körner verzichtete auf eine Antwort. Er setzte sich ans Fenster und starrte hinaus in die eisklirrende Nacht.

Zu dieser Zeit war Stabsarzt Dr. Portner auf einer großen Rundreise. Mit der Verbissenheit eines Vaters, der seinen Sohn zu retten versucht, fuhr er zuerst zu Oberst von der Haagen, dann zu dem amtierenden Kriegsgerichtsrat, dann zum Oberstarzt und schließlich zu General Gebhardt selbst. Überall sagte er seinen Spruch her, der darin gipfelte, daß er schrie:»Sind denn hier alle verrückt?! Dreihunderttausend Männer gehen vor die Hunde, verhungern, verfaulen und krepieren wie räudige Ratten.. und hier macht man eine Komödie mit Verhandlung, Verurteilung und noch mehr solchem Piß! Was soll das? Wissen Sie, daß der Ausfall eines Arztes an der Front den Tod von Hunderten von Landsern bedeuten kann? Für diesen Tod werde ich dann Sie verantwortlich machen!«

Das war gewagt, Dr. Portner wußte es. Bei seinem Oberstarzt fand er Gehör, aber keine Hilfe.»Da kann ich gar nichts machen, lieber Kollege… das ist nun eine reine Militärstrafsache und nichts Medizinisches mehr. «Auch General Gebhardt hörte sich Dr. Portner geduldig an.»Wissen Sie, Herr Stabsarzt«, sagte er nach der Rede Portners,»daß auch Sie nahe an der Mauer stehen? Mit solchen Reden? Aber beruhigen Sie sich… ich werde der Verhandlung als Beobachter beiwohnen…«

Pünktlich nach zwei Stunden begann die Verhandlung. Das Gericht saß hinter den deckenbelegten Tischen vor der Reichskriegsflagge, der Ankläger, ein Major, blätterte nervös in den wenigen Papieren. Oberst von der Haagen als Erster Beisitzer putzte seine Brillengläser, der Kriegsgerichtsrat saß steif und verschlossen hinter seiner Akte. Er ärgerte sich über den Besuch Dr. Portners und das, was er hatte anhören müssen. Außerdem hatte er Ausflugssorgen. Er gehörte nicht zu den Spezialisten, die man aus dem Kessel entfernte, um sie anderen Armeen zuzuführen. Für ihn war demnach sicher, daß er den Zusammenbruch miterleben oder die Befreiung mitfeiern würde… das erste schien ihm sicherer, und das machte ihn nervös. Man kann nicht erwarten, daß ein Kriegsgerichtsrat, der über mangelndes Heldentum zu Gericht sitzen muß, auch selbst ein Held ist. Hier trennen sich Beruf und Neigung ganz gewaltig.

Dr. Körner wurde in das Zimmer geführt. Auf den wenigen Zuschauerplätzen hockten Dr. Portner, der Oberstarzt und General Gebhardt. Außerdem der junge Assessor, dessen Verteidigung Körner abgelehnt hatte.

Nach dem Betreten des Zimmers ging alles sehr schnell für Körner. Vor allem Oberst von der Haagen beschleunigte das Verfahren mit der Feststellung:»Der Angeklagte ist nicht nur verstockt, er ist auch frech!«

Dieser Charakterisierung war vor wenigen Minuten eine kleine Unterhaltung vorausgegangen.

Oberst von der Haagen war zu Dr. Körner in das >Wartezim-mer< gekommen und hatte eine Pistole auf den Tisch gelegt. Der Assistenzarzt hatte sie stumm zur Seite geschoben. Oberst von der Haagen wurde rot im Gesicht.

«Ein Offizier sollte den Mut und den Schneid haben, sich selbst zu richten!«schrie er. Dr. Körner sah auf. Sein Blick war so sprechend, daß von der Haagen ein Kribbeln unter der Kopfhaut spürte.

«Wenn dem so ist«, sagte Dr. Körner langsam,»wenn Mut und Schneid die Grundlagen des Offiziersseins bilden, dann ist die Führung der 6. Armee eine Ansammlung von Schwächlingen! Wo ist der Mut, dem Verbrecher mit der Fliege unter der Nase die Wahrheit zu sagen? Wo ist der Schneid, sich über sinnlose Befehle hinwegzusetzen und durchzubrechen? Noch könnten wir es. Ich komme von vorn, ich kenne die Moral der Truppe und ihren wirklichen Kräftezustand… es wäre möglich, nach Westen durchzustoßen…«

«Wie können Sie kleiner Kacker das beurteilen?«brüllte Oberst von der Haagen.»Diese typische deutsche Biertischstrategie! Dieses Heereführen aus der Mäuseperspektive! Hier geht es um globale Dinge, nicht um ein Fleckchen Dreck, das gerade Stalingrad heißt! Unser Führer hat allein den Blick, diese Dinge weltweit zu sehen… Sie hocken in Ihrem Keller und blicken in zerrissene Gedärme. Ob das der richtige strategische Blickwinkel ist, möchte ich bezweifeln! Aber Ihre Haltung ist bemerkenswert! Die paßt zu Ihnen! Defätismus, Zersetzung der Wehrkraft, Verstümmeln anderer, damit sie ihren feigen Arsch retten können… das haben wir gern!«Oberst von der Haagen tippte auf den Tisch, auf dem noch immer die Pistole lag.»Mein letztes Angebot an einen deutschen Offizier! Noch sind Sie es, leider Gottes!«

«Danke.«

«Was danke? Sie wollen vom Freitod keinen Gebrauch machen?«

«Nein! Ich möchte rechtskräftig verurteilt werden. Vielleicht überleben einige Kameraden dieses grandiose Verbrechen an der 6. Armee… sie werden später einmal Rechenschaft fordern, auch für mich!«

«Unerhört!«Oberst von der Haagen steckte seine Pistole wieder ein.»Haben Sie das gehört, meine Herren?«Er sah die beiden stummen Bewachungsoffiziere an.»Ist solche Hundsfötterei überhaupt noch zu übertreffen? Wie kann Deutschland siegen, wenn solche Elemente unter uns sind!«

Nun standen sie sich wieder gegenüber… der Angeklagte und der Beisitzer des Kriegsgerichts. Zwei Welten, zwei Generationen, zwei verschiedene Geister. Der Kriegsgerichtsrat versuchte, etwas zu sagen, die Verhandlung überhaupt erst nach der Form beginnen zu lassen… Feststellung der Person, Aussagen zur Person, Anklage, Aussage, Zeugenvernehmung… er kam nicht dazu. Oberst von der Haagen, einmal im Schwange heiliger Vaterlandsbegeisterung und Empörung, wischte mit einer Handbewegung alle Einwände einfach weg.

«Was halten wir uns auf, meine Herren?«dröhnte er.»Draußen sterben in dieser Stunde unsere tapferen Kameraden, und hier vor uns steht ein Hundsfott, der diese Opfer bespuckt und verrät, indem er ihr Heldentum in den Dreck zieht! Meine Herren… mir ist völlig gleich, ob ich jetzt plädiere, dem Ankläger alles vorwegnehme, meine Kompetenzen als Beisitzer überschreite, meine Neutralität aufgebe… mir stehen die Haare zu Berge, wenn ich denke, daß so etwas wie dieser junge Schnösel dort den Rock des Führers trägt, den feldgrauen Rock, in dem unsere Väter — und ich selbst — Verdun anrannten, mit einem Hurra und dem Deutschlandlied auf den Lippen Langemarck stürmten und Polen, Frankreich und Norwegen besiegten und der Welt zeigten, was ein deutscher Soldat vermag! Bitte, unterbrechen Sie mich nicht, Herr Kriegsgerichtsrat… ich bin empört, und ich weiß, daß Millionen meiner deutschen Brüder diese Empörung teilen! Man überlege sich das bloß: Da geht ein Arzt hin und macht zwei seiner Freunde krank, um sie aus Stalingrad wegzubringen! Ein Arzt! Macht krank! Allein das ist schon genug…«