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«Herr General…«, stotterte er.»Wenn ich Herrn General fragen dürfte…«

«Ich möchte etwas fragen: Was ist wichtiger in unserer Lage

— ein lebender oder ein toter Arzt?«

Der Kriegsgerichtsrat war der erste, der begriff. Ein Juristengehirn ist geschult für Zwischentöne.

«Natürlich ein lebender, Herr General. Ich möchte zu bedenken geben, daß ich nach dem Gesetz verpflichtet war…«

«Wir alle haben jetzt eine Verpflichtung!«brüllte Gebhardt plötzlich.»Ich setze den Vollzug des Urteils aus! Mir ist ein Dr. Körner, der im Keller von Stalingrad operiert, lieber als ein kraft des Gesetzes Exekutierter! Zugegeben, er hat nicht korrekt gehandelt. Aber ist es korrekt, wenn unser großer Führer dreihunderttausend Männer einfach abschreibt? Von der Haagen, wie denken Sie darüber?!«

«Ich bitte Herrn General — «

«Ich bitte, ich möchte…«General Gebhardt sah auf seine bunt bemalte Karte.»Herr Oberst!«

«Herr General.«

«Angesichts der kritischen Lage unserer Truppen und des heroischen Heldenkampfes bis zur letzten Patrone, den unsere tapferen Landser gegen eine Übermacht führen, sehe ich mich nicht mehr in der Lage, meinen Stab weiter in alter Stärke beizubehalten. An der Front wird jedes Gewehr gebraucht. Wo der Tod am Tisch sitzt, hört die Generalstabsarbeit auf. Ich übertrage Ihnen hiermit das seit gestern verwaiste Panzergrenadier-Regiment. Sie wissen, wo sich der Kommandanturstand befindet. Herr Oberst, ich wünsche Ihnen viel Glück in Stalingrad…«

Oberst von der Haagen nahm die Hacken zusammen und grüßte. Seine Hand bebte dabei, seine Augen waren starr.

«Ich darf Herrn General meinen Dank aussprechen.«

«Bitte, bitte. Ihre Siegeszuversicht wird sich auf das Regiment übertragen. Nach den neuesten Bestandsmeldungen beträgt die Regimentsstärke noch sechshundertzweiundvierzig Mann. Sieg Heil!«

Oberst von der Haagen verließ den Bunker. Er ging mit durchgedrückten Knien, steif wie eine aufgezogene Puppe. Erst draußen, in der eisigen Nacht, umheult vom Sturm, gepeitscht vom verharschten Schnee, atmete er tief auf. Und mit diesem Atemzug sog er die Angst in sich hinein.

Das ist das Ende, dachte er. Gott gebe mir die Kraft, jetzt anständig unterzugehen…

Den Tag über lag Gumrak unter den Bomben russischer Störflieger. Außerdem kamen neue Verwundetenkolonnen in das Dorf, armselige Skelette, fiebernd und stöhnend, dem Wahnsinn nahe, nach dem Ausladen im Schnee herumkriechend, denn nirgendwo war mehr Platz für sie. Die Zelte waren überfüllt, die Baracken, die Eisenbahnwaggons. Man zerrte die Sterbenden bereits hinaus in das Eis, man wartete nicht mehr, bis sie gestorben waren… Platz brauchte man, Platz für die, die noch Hoffnung hatten, bis man auch sie wegzerrte, an den Beinen, an den Händen, in den Schnee warf, auch wenn sie schrien und beteten, fluchten und wimmerten, bettelten und weinten.

Knösel war wieder auf Tour.

Während Dr. Portner bei Körner saß, ein glücklicher Vater, der seinen Sohn vom Galgen geschnitten hat, bevor die Schlinge sich zuzog, streifte Knöseldurch Gumrak. Sein Ziel, etwas Eßbares zu finden, war unerreichbar. Die Vorräte wurden von Feldgendarmen bewacht, die auf alles schossen, was sich angriffslustig nähern würde. Dafür fand Knösel etwas, was seinen Sinn für die Zukunft bewies. In einer Baracke der Luftwaffe am Rande des Rollfeldes fand er ein Paket zusammengelegtes Leinen. Es sah wie eine riesige Tischdecke aus, braungrundig mit einem weißen Muster, das Knösel nicht erkennen konnte, denn ihm blieb keine Zeit, die Riesendecke zu entfalten. Stoff kann man immer gebrauchen, dachte er bloß. Und vor allem kann man ihn in Streifen reißen und Binden daraus machen. Er überlegte nicht lange und nahm die Riesendecke mit. Sie war schwer, und Knösel war außer Atem, als er sie endlich auf dem Rücksitz des Kübelwagens verstaut hatte.

Wenige Minuten später standen drei Luftwaffenoffiziere ratlos vor dem leeren Fleck, auf dem noch vor kurzem der Stoffballen gelegen hatte.

«Wer klaut denn hier Markierungstücher?!«schrie einer von ihnen.

«Himmel, Arsch und Wolkenbruch… man muß wie ’ne Glucke auf den Eiern sitzen, sonst klauen die uns noch den Furz aus ’m Hintern…«

In der folgenden Nacht zog die kleine Kolonne von Gumrak zurück nach Stalingrad-Stadt. Dr. Portner, Dr. Körner, Knösel, der Unterarzt und Emil Rottmann. Auch ihn hatte es hart getroffen. Er war abkommandiert worden, Dr. Körner zu bewachen. Die Rechnung, für seine Aussage in Gumrak bleiben zu dürfen, war nicht aufgegangen. Er kam zurück in die Hölle. Stumm hockte er neben Dr. Körner in dem Kübelwagen. Er hatte Angst. Nicht vor den Sowjets, nicht vor den Panzern und Granatwerfern, den MG-Schützen und den Stalinorgeln… er hatte Angst vor Knösel. Als er sich bei Dr. Portner zurückgemeldet hatte, sah ihn dieser wortlos an und drehte sich um. Knösel aber war hinter ihn getreten und hatte gesagt:»Mein Junge… es soll komische Wesen geben, die auf ’m Zahnfleisch Spazierengehen. Kennste einen davon…?«

Emil Rottmann hatte geschwiegen. Er wußte, was das bedeutete. Und ein Gedanke setzte sich bei ihm fest, der ihm als einziger Rettung verhieß: Ich werde überlaufen! Ich werde bei der ersten Gelegenheit zu den Iwans überlaufen. Es ist vielleicht die letzte, die allerletzte Chance, zu überleben.

Im zweiten Wagen folgte Oberst von der Haagen mit einem

Fahrer und zwei jungen Leutnants. Auch er war still, mummelte sich in seinen dicken Schafspelz und beklagte innerlich sein tragisches und ungerechtes Schicksal. Am Stadtrand, vor einem Knäuel ausgebrannter Straßenbahnwagen, trennten sich die Kübels… Dr. Portner ratterte bis zur Feldbäckerei, von wo aus der Weg in die Trümmerwüste nur zu Fuß weiterging… Oberst von der Haagen fuhr noch zwei Kilometer nördlich, bis auch er beim Troß seines neuen Regiments hielt und mit der Meldung seines zurückgekommenen Ia, eines Majors, erfuhr, daß der Russe gerade im Abschnitt des Regiments sehr aktiv geworden war. Man hörte es… der Trümmerabschnitt vor ihnen bebte unter den Einschlägen russischer 10,5-Granaten. Hauswände stürzten um, Beton- und Kalkstaub zog mit dem Wind bis zu ihnen. Oberst von der Haagen straffte sich.

«Na, dann wollen wir mal!«sagte er burschikos.»Solange wir noch kacken können, können wir auch schießen…«

Der Major lachte nicht, wie es seine Pflicht gewesen wäre. Von der Haagen schielte mißbilligend zur Seite. Keinen Mumm haben die Kerle, dachte er, um sich selbst aufzurichten. Aber nimmt es wunder, wenn selbst der eigene General nicht an den Endsieg glaubt?!

In dieser Minute starben in den Kellern Stalingrads und am Einschließungsring einige Hunderte deutscher Soldaten. Um mit Oberst von der Haagen zu sprechen: Sie kackten nicht mehr…

Iwan Iwanowitsch Kaljonin war ein kluges Köpfchen, keiner hat das je bezweifelt. Seit dem Tod seines geliebten Majors, von dem er durch sein Weibchen Veraschka erfuhr, das als Kranken- und Medikamententrägerin zwischen dem Wolgaufer und dem >Ten-nisschläger< wie ein Wieselchen hin- und herlief und die Verwundeten aus dem Feuer schleppte und neues Verbandszeug hinein in die Hölle, war Kaljonin so etwas wie ein eigener Herr inmitten einer Mondlandschaft. Man hatte ihm einen ganzen Zug Infanterie gegeben mit dem Befehclass="underline" Nun seht zu, daß ihr viel zerstört, Genossen! Lebt wohl! Wenn ihr etwas braucht, funkt es. Ob wir allerdings etwas schicken, ist fraglich. Die Deutschen haben noch genug für einen Zug Rotarmisten.

Schlicht ausgedrückt, hieß das: Du bist eine Faust, die immer und immer wieder in die weichen Teile der Deutschen stoßen muß.

Kaljonin begriff und zog in der Nacht mit seinem Zug los. Er hatte keine Zeit mehr, Vera zu benachrichtigen.

Erstaunlicherweise ging alles gut. Sie sickerten durch die deutschen Linien, hielten sich an die Bahnlinie, die aus Stalingrad hinaus über Woroponowo nach Bassargino und Karpowskaja führt, und sammelten sich südöstlich der Talawoj-Schlucht in einem hügeligen Steppengelände. Hier stießen zwei Straßen zusammen… die eine kam von Pitomnik nach Stalingrad, die andere von Ros-soschka.. dort, an der Gabel der beiden Straßen, lagen zwei deutsche Panzer. Sie waren äußerlich noch unversehrt, nur innen klappte es nicht. Ihre Motoren waren irgendwie dem russischen Winter nicht gewachsen gewesen, oder sie hatten schlechtes Öl bekommen, die Kolben hatten sich festgefressen, und ehe man auf die Werkstattkompanien wartete, hatte man sie lieber im Schnee liegenlassen.