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Iwan Iwanowitsch faßte Vera unter. Sein rundes Gesicht glänzte vor Glück und Freude. Vera senkte den Kopf. Ihr blondes Haar quoll unter dem Kopftuch hervor. Bei der Heiligen Mutter von Kasan — sie war ein schönes Bräutchen!

«Viel Glück!«sagte Leutnant Odnopoff, bevor sie in den Behördenbunker gingen.

Und Kommissar Fulkow sagte laut:»Diese Hochzeit zeigt den Glauben an den Frieden!«

Na ja, er war eben ein Propagandist. Man muß so reden, und niemand nahm's ihm übel.

Am Abend, eine Stunde später, grub Abranow eine versteckte Flasche Wodka aus der Erde.

Er war eben ein alter Fuchs, der Pawel Nikolajewitsch.

Es war alles vorbereitet.

Ein Tisch stand da, mit einer weißen Decke, ein Asternstrauß in einer Vase, ein geflochtener Kranz aus verblichenen Immortellen, vier alte Stühle mit geflickten Korbsitzen, ein zugeschraubter Füllfederhalter und ein paar Blatt Papier in einer ledernen Schreibmappe, auf die eine stolze Hansekogge eingeprägt war. links an der Wand hing ein Bild Hitlers, rechts, ihm gegenüber, ein hölzernes Kruzifix. Auf einem der alten Stühle lag ein Blumengebinde. Neben der Schreibmappe stand ein anderes Kruzifix, aus vergoldetem Messing, aufgesetzt auf einen weißen Marmorsockel.

Sonst war der Raum leer. Die Morgensonne schien aus einem dunstigen Himmel, glanzlos und wie beschlagen. Auf dem Flugplatz von Pitomnik landeten in kurzen Abständen die Transportmaschinen. Dicke, behäbige Ju 52 rollten zu den Lagerschuppen und wurden ausgeladen. Munition, Pak, leichte Flak, Panzerersatzteile, Autowerkstätten, Verpflegung. Als Rückladung nahmen sie Schwerverwundete mit, die rund um den Flugplatz in Blockhütten, Zelten oder Sanitätskraftwagen warteten. Ein kleines Heer von Zahlmeistern war vollauf beschäftigt, Ordnung herzustellen und die herangeflogenen wertvollen Güter sofort auf Lager zu nehmen und dem Anblick Unbefugter zu entziehen.

Im Offizierskasino des Feldlazaretts Pitomnik stand Assistenzarzt Dr. Körner im Kreis trinkender und politisierender Kameraden. Irgendwie kam er sich verlassen vor inmitten der Menge sauberer Uniformen aus glänzendem Tuch und gepflegten, blitzenden Auszeichnungen.

Oberst von der Haagen führte das Wort. Er entwickelte seine Theorie, wie man nach dem endgültigen Fall von Stalingrad durch die kasachstanische Steppe stoßen könnte, um in einem weiten Bogen das sagenhafte Industriegebiet im Innern Sibiriens zu erobern. An der chinesischen und mandschurischen Grenze vorbei konnte man dann bis nach Wladiwostok vorstoßen. Von dort war es ein Sprung hinüber nach Alaska.

«Sie sehen, meine Herren«, sagte Oberst von der Haagen und hob sein Weinglas,»der Weitblick des Führers ist genial, einmalig in der Geschichte. Stalingrad bringt die Entscheidung, das hat man im Führerhauptquartier klar erkannt. Nicht Moskau, wie man zuerst dachte! Die Seele Rußlands ist nicht der Kreml, sondern Sibirien. Wir gehen einer neuen Weltordnung entgegen…«

In einer Ecke stand der katholische Feldgeistliche, Pfarrer Paul Webern. Er beteiligte sich nicht an der Verteilung der Welt. Still beobachtete er Dr. Körner, der mitten im Kreis der Offiziere stand, sein Glas umklammerte, als wolle man es ihm entreißen, und den Reden von der Haagens zuhörte mit der Abwesenheit eines Hypnotisierten.

Pfarrer Webern sah Körner heute morgen zum erstenmal. Am Abend hatte er eigentlich gleich nach der Ankunft des Arztes mit ihm sprechen wollen, aber in der Baracke III starben drei Schwerverwundete und mußten die Letzte Ölung erhalten. Bis zum Morgen hatte er an ihren Holzpritschen gesessen und gebetet, bis der letzte gestorben war. Kaum daß sie sich gestreckt hatten, wurden sie von der Pritsche geschoben und hinausgetragen. Man brauchte die Betten für den unaufhörlichen Nachschub, der über die Steppe von Stalingrad heranrollte.

Zufällig trafen sich die Blicke Pfarrer Weberns und Dr. Körners. Sie sahen sich an, und Körner stellte sein Glas ab, drängte sich durch den Kreis der Offiziere und kam auf den Pfarrer zu.

«Sie wollen mir etwas sagen, Herr Pfarrer?«fragte er. Es schien, als sei er erleichtert, aus dem Kreis der Welteroberer herausgekommen zu sein.

«Ich? Nein! Wie kommen Sie darauf?«

«Sie sahen mich so an.«

Ober das schmale, blasse Gesicht Pfarrer Weberns huschte ein leichtes Lächeln.

«Ich beobachtete nur, Doktor.«

«Mich?«

«Den illustren Kreis. Es ist erstaunlich, welch erdkundliche Kenntnisse die Herren besitzen.«

«Warum so sarkastisch, Herr Pfarrer?«

«Ich bin nur ein paar Tage hier in Pitomnik. Bis vorigen Mittwoch lag ich in einem Keller westlich des Stalingrader Hauptbahnhofes. Ich hörte, Sie kommen vom >Tennisschläger<…«

«Ja.«

«Ist Ihnen da unten in Ihrem Keller schon der Gedanke gekommen, daß wir an der chinesisch-mandschurischen Grenze vorbeistoßen könnten bis Wladiwostok…?«

Dr. Körner verstand. Er blickte auf Oberst von der Haagen. Die Herren standen vor einer hohen Rußlandkarte, die einen großen Teil der Breitwand des Zimmers einnahm. Mit einem Lineal bewies von der Haagen, welche Schwenkungen die Heeresgruppe Süd und die Heeresgruppe Mitte vollführen mußten, um in einer riesigen Zangenbewegung nach dem Fall von Stalingrad die kopflosen sowjetischen Armeen noch vor dem Ural abzufangen und aufzureiben.

«Was dann kommt, meine Herren, ist nur ein Spaziergang«, schloß von der Haagen seinen strategischen Vortrag.»Vor uns liegt leeres Land… im Norden die Tundra, in der Mitte die Taiga, im Süden die Steppen und Wüsten. Wir werden sie durchrollen wie früher der Transsibirische Expreß. Interessant wird es wieder bei Irkutsk. Aber Widerstand? Nee, meine Herren! Haben Sie schon mal 'nen Knaben mit Rückenmarksschwund Walzer tanzen sehen?!«

Man lachte laut über diesen Witz. Oberst von der Haagen war doch ein charmanter Kerl. Wie er die Gedanken des Führers in

Tatsachen umsetzte, das war gekonnt und beste, alte Generalstabsschule. Nach dem verebbten Lärm von Anerkennung und Fröhlichkeit sah der Oberst auf die Uhr und winkte Dr. Körner zu.

«Unser Hochzeiter, meine Herren! Steht da in der Ecke, wie ein verwelkter Primelpott! Lieber Körner… Angst vor der Ehe? Was kann Ihnen schon passieren… liegen ja zweitausend Kilometer dazwischen!«Man lachte wieder und fand die Andeutung witzigfrech.»In zwanzig Minuten ist es soweit. Nehme an, daß Fräulein Braut schon im Standesamt I in Köln sitzt und den Stahlhelm ansieht, der neben ihr auf dem Stuhl liegt und den Ehemann symbolisiert. Ich schlage vor, meine Herren, wir gehen hinüber. Herr Pfarrer, alles bereit?«

«Ja«, sagte Webern schlicht.»Gott ist immer bereit…«

Oberst von der Haagen stutzte etwas. Eine passende Antwort fiel ihm so schnell nicht ein. Es war schwer, im Zusammenhang mit Gott witzig zu sein. Mit forschen Schritten ging er voraus, eine Ordonnanz riß die Tür des >Trauzimmers< auf. Vor dem Tisch stand Knösel und steckte eine Kerze an. Oberst von der Haagen blieb auf der Schwelle stehen.

«Wer ist denn dieser Neandertaler?«

Knösel fuhr herum. Er hielt ein brennendes Streichholz in der Hand und knallte die Hacken zusammen.

«Obergefreiter Schmidtke, 2. Kompanie, Infanterie-Regiment… Au, so'n Mist!«Er schüttelte die Hand.»Habe mich soeben verbrannt, Herr Oberst…«

«Ordonnanz!«brüllte von der Haagen.»Wie kommt ein Halbaffe in diesen Raum?«

«Er ist mein Fahrer. «Körner winkte KnöseL Der Obergefreite machte eine Kehrtwendung und marschierte an dem Oberst vorbei hinaus.»Ich wußte nicht, daß er eine Kerze organisiert hat. Er wollte mir eine Freude machen.«

«Leute sind in der Armee — na ja, gehen wir!«Der Oberst sah wieder auf seine Uhr.»Gleich geht es in Köln los. Wir müssen das alles synchron machen, meine Herren, um den feierlichen Augenblick voll auszuschöpfen. In Stalingrad heiratet ein Kamerad. Im Angesicht des täglichen Todes, umgeben von einem mitleidlosen, brutalen, vertierten Feind, ehelicht er ein deutsches Mädchen, das über zweitausend Kilometer entfernt in Köln im gleichen Augenblick vor dem Standesbeamten steht, stolz und aufrecht, eine echte, deutsche Maid, gewillt, nach dem Sieg unserer Truppen und dem Triumph des Führers über eine geifernde, feindliche Welt dem Vaterlande eine neue Mutter zu sein, eine treue Ehefrau, eine Trägerin heiligen germanischen Blutes…«