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Sie liefen zu der Bombe und brachen den Deckelverschluß auf. Knösel betrachtete sie fachmännisch und grinste breit.

«Kommt vom Iwan! ’ne russische Labung! Wetten, det Sojabohnen in Tomatensoße drin sind? Oder Jrütze?«

Sie stemmten den Deckel ab und zogen einen länglichen Holzbehälter heraus. In der Holzrolle war zusammengerollte Leinwand… Knösel zerrte sie heraus, stülpte die Bombe um und sah wieder hinein.

«Is det alles?«

«Ja.«

«Noch ’n Tuch! Aufrollen, Junge.«

Er legte die Leinenrolle auf den Boden und gab ihr einen Tritt. Sie entrollte sich… ein Bild wurde sichtbar… erst Himmel… dann graue, stehende Haare… Augen mit buschigen Brauen…

eine starke Nase… Schnurrbart… ein energisches Kinn… Der Kopf Stalins lachte Knösel an, riesengroß, jovial, ein auf Leinen gedrucktes Meisterwerk.

An diesem 8. Januar 1943 schien es, als wolle das Schicksal davor zurückschrecken, Hunderttausende von Menschen einer Sinnlosigkeit zu opfern.

Durch einen Funkspruch in deutscher Sprache ließ das Oberkommando der Roten Armee dem Oberbefehlshaber der 6. Armee vor Stalingrad, Generaloberst Paulus, mitteilen, daß drei Parlamentäre sich der nördlichen deutschen Stellung nähern würden, um ein wichtiges Schreiben zu überbringen. Man bitte darum, sie zu empfangen.

Generaloberst Paulus sagte zu. Um 10 Uhr vormittags erschienen die sowjetischen Offiziere mit der weißen Fahne. Als sollte ihre Mission deutlich unterstrichen werden, schwiegen die russischen Angriffe bis auf ein Minimum. Man beschränkte sich auf die Abwehr deutscher Stoßtrupps.

Die drei Parlamentäre brachten ein Schreiben mit, das sofort an den Befehlsstand der 6. Armee weitergereicht wurde. Generaloberst Paulus und sein Stabschef, General Schmidt, studierten den Brief… es war ein Ultimatum des Oberbefehlshabers der Truppen der Don-Front, Generalleutnant Rokossowskij. Das Ultimatum lautete folgendermaßen:

«An den Befehlshaber der deutschen 6. Armee, Generaloberst Paulus, oder seinen Stellvertreter und an den gesamten Offiziersund Mannschaftsbestand der eingekesselten deutschen Truppen von Stalingrad.

Die deutsche 6. Armee, die Verbände der 4. Panzerarmee und die ihnen zwecks Verstärkung zugeteilten Truppeneinheiten sind seit dem 23. November 1942 vollständig eingeschlossen.

Die Truppen der Roten Armee haben diese deutsche Heeresgruppe in einen festen Ring eingeschlossen. Alle Hoffnungen auf Rettung Ihrer Truppen durch eine Offensive des deutschen Heeres vom Süden und Südwesten her haben sich nicht erfüllt. Die Ihnen zu Hilfe eilenden deutschen Truppen wurden von der Roten Armee geschlagen, und die Reste dieser Truppen weichen nach Rostow zurück. Die deutsche Transportluftflotte, die Ihnen eine Hungerration an Lebensmitteln, Munition und Treibstoff zustellte, ist durch den erfolgreichen und raschen Vormarsch der Roten Armee gezwungen worden, oft die Flugplätze zu wechseln und ausgroßer Entfernung den Bereich der eingekesselten Truppen anzufliegen. Hinzu kommt noch, daß die deutsche Transportluftflotte durch die russische Luftwaffe Riesenverluste an Flugzeugen und Besatzungen erleidet. Ihre Hilfe für die eingekesselten Truppen wird irreal.

Die Lage Ihrer eingekesselten Truppen ist schwer. Sie leiden unter Hunger, Krankheiten und Kälte. Der grimmige russische Winter hat kaum erst begonnen. Starke Fröste, kalte Winde und Schneestürme stehen noch bevor. Ihre Soldaten aber sind nicht mit Winterkleidung versorgt und befinden sich in schweren sanitätswidrigen Verhältnissen.

Sie als Befehlshaber und alle Offiziere der eingekesselten Truppen verstehen ausgezeichnet, daß Sie über keine realen Möglichkeiten verfügen, den Einschließungsring zu durchbrechen. Ihre Lage ist hoffnungslos und weiterer Widerstand sinnlos.

In den Verhältnissen einer aussichtslosen Lage, wie sie sich für Sie herausgebildet hat, schlagen wir Ihnen zur Vermeidung unnötigen Blutvergießens vor, folgende Kapitulationsbedingungen anzunehmen:

1) Alle eingekesselten deutschen Truppen, mit Ihnen und Ihrem Stab an der Spitze, stellen den Widerstand ein.

2) Sie übergeben organisiert unserer Verfügungsgewalt sämt liche Wehrmachtsangehörige, die Waffen, die gesamte Kampf ausrüstung und das ganze Heeresgut in unbeschädigtem Zu stand.

3) Wir garantieren allen Offizieren und Soldaten, die den Wi derstand einstellen, Leben und Sicherheit und nach Beendi gung des Krieges Rückkehr nach Deutschland oder in ein be liebiges Land, wohin die Kriegsgefangenen zu fahren wün schen.

4) Allen Wehrmachtsangehörigen der sich ergebenden Truppen werden Militäruniform, Rangabzeichen und Orden, persön liches Eigentum und Wertsachen, dem höheren Offizierskorps auch die Degen belassen.

5) Allen sich ergebenden Offizieren, Unteroffizieren und Solda ten wird sofort normale Verpflegung sichergestellt.

6) Allen Verwundeten, Kranken und Frostgeschädigten wird ärztliche Hilfe erwiesen werden.

Es wird erwartet, daß Ihre Antwort am 9. Januar 1943 um 10 Uhr Moskauer Zeit in schriftlicher Form übergeben wird. Durch einen von Ihnen persönlich genannten Vertreter, der in einem Personenkraftwagen mit weißer Fahne auf der Straße nach der Ausweichstelle Konny, Station Kotlubani zu fahren hat. Ihr Vertreter wird von russischen bevollmächtigten Kommandeuren im Bezirk B 0,5 Kilometer südöstlich der Ausweichstelle 564 am 9. Januar 1943 um 10 Uhr empfangen werden.

Sollten Sie unseren Vorschlag, die Waffen zu strecken, ablehnen, so machen wir Sie darauf aufmerksam, daß die Truppen der Roten Armee und der Roten Luftflotte gezwungen sein werden, zur Vernichtung der eingekesselten deutschen Truppen zu schreiten. Für ihre Vernichtung aber werden Sie die Verantwortung tragen.

Der Vertreter des Hauptquartiers des Oberkommandos der Roten Armee,

Generaloberst der Artillerie Woronow

Der Oberbefehlshaber der Truppen der Don-Front,

Generalleutnant Rokossowskij.«

Noch einmal stellte sich die Vernunft vor Blindheit und Wahn. Wohl nie ist in einer solchen Situation einer besiegten Armee ein solch großzügiges Angebot gemacht worden. Das Schicksal von gegenwärtig 230 000 eingeschlossenen deutschen Soldaten hing an einem einzigen Ja oder Nein.

Generaloberst Paulus erfaßte die letzte Chance, ehrenvoll zu kapitulieren und seiner Armee das Leben zu retten. Er gab das Ultimatum per Funkspruch an das Führerhauptquartier durch und bat um Handlungsfreiheit. Er sprach diese Bitte aus, weil es ihm als Offizier alter preußischer Schule nie und nimmer in den Sinn gekommen wäre, selbständig zu handeln, wie es seit Wochen immer wieder der Kommandeur des LI. Armeekorps, General v. Seydlitz, forderte.

Die Antwort aus dem sicheren Führerhauptquartier kam sofort, bedenkenlos und kalt. Es war das Verbot, zu kapitulieren:

Jeder Tag, den die 6. Armee länger halt, hilft der gesamten Front und zieht von dieser russische Divisionen ab.

Das Todesurteil über 230000 Menschen war endgültig gesprochen. Generaloberst Paulus wußte es, als er die Ablehnung Hitlers in der Hand hielt… ein kleiner Zettel mit wenigen Zeilen, den ihm die Funker gereicht hatten. Ein paar Worte, ein paar heroisch klingende Sätze… das Sterben einer ganzen Armee!

Am 9. Januar 1943 wurde das sowjetische Oberkommando benachrichtigt, den Parlamentären das Schriftstück übergeben. Es war mit Generaloberst Paulus unterschrieben. Mit dieser Unterschrift übernahm er allein die Verantwortung für das Sterben seiner Armee.

Am selben Tag, diesem 9. Januar 1943, ging ein mysteriöser Funkspruch an alle Generalkommandos im Kessel zur Weitergabe an alle Truppenkommandeure. Absender war das Armee-Oberkommando. Der Funkspruch lautete:

Die Truppe ist davon zu unterrichten, daß Parlamentäre in Zukunft durch Feuer abzuweisen sind.

Die letzte hingestreckte Hand des Lebens wurde weggeschossen. Die Kommandeure, die den Funkspruch erhielten, sahen entsetzt auf den Fetzen Papier. Der Selbstmord einer Armee war perfekt geworden. Alle Rückfragen beim Armee-Oberkommando liefen sich tot… niemand wußte, wer diesen letzten, wahnwitzigen Befehl gegeben hatte, wer für ihn verantwortlich zeichnete… Generaloberst Paulus wußte nichts von ihm, Stabschef General Schmidt, die >Graue Eminenz< der 6. Armee, schwieg… aber der Befehl blieb weiterhin bestehen!