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Leiber der Verwundeten über das Fließband seines Operationstisches. Er schien keine Müdigkeit zu kennen, keine physische Erschöpfung… der Anfall von Schwäche, den er nach der Operation an Oberst Sabotkin gehabt hatte, war der einzige gewesen. Seitdem stand er da, hemdsärmelig, blutbespritzt, nach Eiter stinkend… operierte, wusch sich, operierte weiter, stumm, mit zusammengezogenen Brauen, verkniffenen Lippen. Mit einem Skalpell, ein paar Klammern, einem scharfen Löffel, Nähmaterial aus zerrupften Seidenschals und seinem umwickelten Hammer, mit dem Auge Stalins auf der Schlagfläche.

Dr. Portner wollte etwas sagen, aber er schwieg. Neben ihm war Dr. Körner im Sitzen eingeschlafen. Auch die Sorge um die Pannarewskaja war nicht so stark wie seine Erschöpfung.

Dr. Portner stand auf und trat neben Dr. Sukow.

«Ich mache weiter.«

«Warum?«

«Sie müssen doch umfallen vor Müdigkeit.«

«Wir fallen erst um, wenn es nötig ist!«Das klang stolz und unwiderruflich. Dr. Portner ging zu seinem Strohsack zurück und setzte sich wieder.

Er ist ein Asiate, dachte er. Er ist zäh wie Steppengras.

Iwan Iwanowitsch Kaljonin war ein armer Mann. Das muß jeder einsehen, der begreift, was es heißt, sechs Tage lang durch eine Ruinenwüste zu irren und sein Weibchen zu suchen.

Dazu verfolgte ihn das Pech. Immer, wo er auftauchte, hatte man Veraschka gerade gesehen. Schließlich war es so, daß man sich selbst nachlief und im Kreis herumirrte. Wo Vera erschien, erzählte man ihr von Kaljonin.»Wo ist er jetzt? Wo?!«rief sie und rannte davon. Das gleiche passierte Kaljonin. Er hüpfte vor Freude, wenn er erfuhr, daß Vera noch lebte, und rannte davon. Irgendwo mußte man sich ja treffen, so groß war keine Stadt, daß sich zwei Liebende nicht begegnen mußten. Aber es gab in Stalingrad einige tausend Keller, und in diesen Kellern hockten Frauen und Kinder, aßen Hirsebrei in Schneewasser oder fauligen Kohl. Ein Glücksfall war es, daß ein Trupp der zivilen Miliz im staatlichen Magazin einen zugeschütteten Keller aufgeschaufelt hatte, in dem man sechshundert Sack Hühnerfutter fand.

Das war ein Fest, anders konnte man es nicht nennen. Man umarmte sich, man küßte sich auf beide Backen, als sei es Osterfest, man betastete die Säcke und freute sich über den Bauch, der beim Anblick des Eßbaren wieder knurren konnte.

Am frühen Morgen des 17. Januar saß Iwan Iwanowitsch Kai-jonin müde in einem Trichter und rauchte. Er hatte die Spur Veras verloren. Außerdem war niemand mehr in der Stimmung, einem sein Weibchen Suchenden unter die Arme zu greifen. Man hatte noch immer Durst von dem Hühnermehl, und Durchfall dazu. Aus jedem Keller, in dem Kaljonin nachfragte, schlug ihm der Gestank voller Hosen entgegen. Ehrlich — wer so mit sich selbst beschäftigt ist, hat keinen Sinn für einen fragenden Ehemann. Kaljonin sah das ein und kroch in seinen Trichter.

Knösel hatte mal wieder nach seinem Markierungstuch gesehen. Er tat das jede Nacht, nachdem nach der ersten Bombe mit dem Bilde Stalins noch zwei andere Kanister in den Hof geplumpst waren. Einmal mit Seife und das andere Mal mit Mehl. Die Seife wurde im Lazarettkeller gebührend bestaunt. So etwas kannte man seit Wochen nicht.

«Wenn das alles Gulaschstücke wären!«sagte Dr. Portner böse.

«Seife! Was soll das?! Soviel Seife gibt es gar nicht, daß wir uns damit reinwaschen könnten…«

An diesem frühen Morgen hockte Knösel an der Mauer des Hofes, sah über die Trümmer und wunderte sich über einen dünnen Rauchfaden, der zwischen Steinen aus der Erde ringelte.

«Da raucht doch eener«, sagte er und klopfte seine Pfeife aus.»Det muß man sich begucken.«

Er robbte durch die Ruinen, kroch bis zum Rand des Trichters und sah hinein. Vorher schnupperte er noch an dem Rauch und stellte fest, daß es weder Gras noch Matratzenfüllung war, sondern echter, kerniger Machorka. Das trug dazu bei, seine letzten Hemmungen zu zerstören. Ein Mensch, der noch Tabak rauchte, konnte einfach nicht davor entrinnen, in den Bekanntenkreis Knösels aufgenommen zu werden.

Unten im Trichter saß nichtsahnend Kaljonin und dachte an sein Weibchen. Er schrak zusammen, als eine Stimme von oben sagte:

«Junge, davon jiebste mir eene mit — «

Kaljonin riß seine Maschinenpistole empor. Dann erkannte er vor dem Abdrücken das Gesicht Knösels.

«Komm häärr — «sagte er. Knösel ließ sich in den Trichter rutschen. Ohne Hemmung nahm er Kaljonin die Zigarette aus den Fingern, machte zwei tiefe Züge und gab sie ihm dann zurück.

«Det is wie’n Frühlingsabend mit Emma«, sagte er seufzend und schnupperte dem Rauch nach.»Junge, Emma im Hemd ist nischt dagegen…«

Sie saßen nebeneinander auf der gefrorenen Trichtersohle und rauchten abwechselnd die Zigarette. Ein Zug Kaljonin, ein Zug Knösel. Die Kippe schenkte Kaljonin mit einer Handbewegung dem Deutschen. Knösel steckte sie weg, als sei sie aus Gold.

«Det is wahre Freundschaft, Iwan«, sagte er.»Aba nu was anderes. Der Stengel is alle… nun hab’n wir wieder Krieg. Wat machen wir jetzt? In Berlin würd ick sajen: Junge, det war det zweitemal, beim drittenmal lä’ßte ’ne Molle jubeln, und ’nen Kümmel druff! Aba hier?«

«Nix verstähnn…«, sagte Kaljonin und grinste.

«Du woijonnoplenny — «

«Njet!«sagte Kaljonin ebenso selbstbewußt.

«Junge, sei brav. «Knösel schob den Helm von der Stirn.»Wir verstehen uns so gut. Warum sollen wir uns vor die Rübe hauen?«

«Du mit mir?!«

«Bejinnt wieder det alte Spiel? Ick bleibe bei meinem Stabsarzt.«

«Du bei Arzt?«

«Ja. Und von euch habn wir ooch zwei da. ’ne tolle Matka. Pannarewskaja heißt se…«

Kaljonin blieb das Herz stehen.»Bei dir… Olgaschka? Und Dr. Sukow?«

«Jenau! Kennste die?«

«Und Vera?«

«Wer ist Vera?«

«Frau. Mir!«Kaljonin zeigte auf sich.»Ich suchen.«

«Hier?«

«Ja.«

«Hübsch?«

«Ja.«

«So richtig Matka, was?«Knösel zeichnete mit beiden Händen die Umrisse einer üppigen Form. Kaljonin grinste. Er nickte und blinzelte.

«Du gesehen?«

«Nee.«

Kaljonin faßte in seine Tasche und holte zwischen den Fingern Tabak heraus. Es waren armselige Krümel, vermischt mit Woll-fäden und Zeitungspapier. Knösel hielt die Hand auf und empfing das wertvolle Geschenk.

«Ich suchen«, sagte Kaljonin, wie um Entschuldigung bittend.»Do swidanja — «

Er kroch aus dem Trichter, duckte sich, sicherte zu den deutschen Bunkern hin und rannte um eine Ruinenecke in Sicherheit. Über die Mauer hinweg, hinter der Knösels Markierungskreuz ausgebreitet lag, bellte eine Maschinenpistolengarbe dem flüchtenden Kaljonin nach. Knösel stemmte sich fluchend aus dem Trichter.

«Aufhören, du Windpisser!«schrie er. Auf allen vieren kroch er der Mauer zu. Gegenüber in den Ruinen wurde es lebendig. Die sibirischen Scharfschützen bezogen ihre Schießscharten. Der deutsche Feuerstoß hatte sie aus dem Schlaf gescheucht. Mit einem Satz sprang Knösel über die Mauer und fiel neben Emil Rottmann in die Steine. Hinter ihm, die Mauerkuppe aufstaubend, zwitscherten die Geschosse der Sowjets.

«Det hätte in’n Arsch gehen können, du Pfeife!«Knösel lag schweratmend auf dem Rücken wie ein vom Baum geschüttelter Maikäfer.

«War das nicht ein Russe?«fragte Rottmann und preßte sich an die Mauer. Die Sowjets waren verrückt geworden, sie tasteten mit Gewehrgranaten das ganze Gelände ab.

«Wo?«

«Bei dir im Trichter.«

Knösel schielte zu Rottmann.»Haste ’n Koller, Kumpel?«fragte er gedehnt.»Ick kannte eenen, bei dem war’s besonders schlimm. Der sah in jeder Haustür nackte Meechen. Mit der Hose übern Rücken lief der nun, bis sie’n kassierten. «Knösel tippte an seine Stirn.»Und du siehst ’nen Russen bei mir. Emil, werd mir nich schräg…«

Beleidigt kroch Rottmann zurück in den sicheren Lazarettbereich. Knösel folgte ihm nach einigen Minuten. Er stopfte sich erst seine Pfeife mit dem Tabak und der Kippe Kaljonins. Dann lehnte er sich an die Mauer, und während um ihn herum die Gewehrgranaten explodierten, rauchte er genußvoll seine Pfeife leer.