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«Ich… ich werde alles ausrichten, Herr Stabsarzt«, sagte Unterarzt Blankenhorn mit schwerer Zunge.

«Leben Sie wohl. «Portner klopfte ihm auf die Schulter.

«Auf Wiedersehen, Herr Stabsarzt…«

Dr. Portner schwieg. Er stand auf einem Trümmerberg und winkte, bis der letzte Wagen im Morgendunst untergegangen war. Die beiden Geistlichen standen neben ihm, der verwundete Pastor Sanders klapperte mit den Zähnen, das Fieber überfiel ihn wieder, die Rückenwunde stach und brannte.

«Sie können noch mit…«Pfarrer Webern legte den Arm um Sanders’ Schulter. Der evangelische Pastor schüttelte stumm den Kopf. So standen sie nebeneinander, im Schneedunst, den Arm um die Schulter des anderen. Zwei Freunde in Gott. Hatte es jemals einen Luther gegeben? Wo waren die päpstlichen Dogmen?

In Stalingrad galt nur das eine… Vater unser, der du bist im Himmel…

Mit ihm starben Gerechte und Ungerechte, Getaufte und Abtrünnige, Katholiken, Evangelische, Reformierte, Baptisten, Heiden.

Vater unser…

Die fünf Lkws kamen nie in Stalingradski an.

In der Steppe ging ihnen das Benzin aus. Bei 40 Grad Frost wurden die Motoren nie richtig warm… sie verbrauchten das Dreifache der Menge, die man berechnet und den Fahrern mitgegeben hatte.

Hilflos lagen sie im Schnee. Und auch das Beten half nichts mehr.

Drei sowjetische Panzer vpranstalteten ein Punktschießen auf die fünf einsamen Lastwagen. Sie fingen Feuer, brannten aus, und selbst, als nur noch die Fahrgestelle glühten, lagen die Schreie in der Luft, mit denen 240 Verwundete, ein Unterarzt, sechs Sanitäter, ein Fähnrich und fünf Fahrer verbrannten.

General Gebhardt fragte nicht mehr nach, ob alles geklappt habe… er wußte es nach vier Stunden. Der Platzkommandant Stalingradskis hatte andere Sorgen… er mußte räumen, die Panzer der Sowjets rollten unaufhaltsam heran. Man hätte die 240 Mann sowieso nicht ausfliegen können. Der Kessel wurde schneller aufgespalten als gedacht. Und auch Major Bebenhausen von der Transportabteilung konnte nicht mehr fragen… er war früh um 5.18 Uhr gefallen, als die Panzerspitze der Russen seine Werkstatt niederwalzte. Er hatte sich über seine 2000 Liter Sprit nur drei Stunden und zweiundzwanzig Minuten freuen können…

Kapitel 14

Noch einmal erschienen Parlamentäre der Sowjets, um in letzter Minute das große Sterben abzubrechen. Dieses Mal standen sie auf einer Höhe südlich der Zariza im Südabschnitt des Kessels. Sie schwenkten eine große weiße Fahne und hatten einen Trompeter mitgebracht, der ein Signal blies. Es war 10 Uhr vormittags… man ließ die sowjetischen Parlamentäre nicht heran, weil — wie sich herausstellte — kein Offizier unter ihnen war. Nach dem alten Ehrenkodex des Soldaten muß eine Parlamentärgruppe immer unter Führung eines Offiziers sein, denn auf nichts wird mehr Wert

felegt als auf ein Offiziersehrenwort. Auch in Stalingrad. Auch ei Männern, die als lebende Leichname in den Schneelöchern und Granattrichtern hockten.

Um zwölf Uhr kamen die sowjetischen Parlamentäre wieder, an der Spitze ein Major der Gardedivision. Dieses Mal war es richtig. Der sinnlose und nie geklärte Befehl vom 9. Januar 1943, daß Parlamentäre durch Feuer abzuweisen seien, wurde nicht ausgeführt.

So erfuhr man, daß die Totenglocken bereitstanden, das Ende der 6. Armee einzuläuten. Am 26. Januar wollten die Sowjets mit allen verfügbaren Kräften die Südfront angreifen. Gleichzeitig würde in Stalingrad-Mitte und im Norden der Stadt die Feuerwalze alles in die Trümmer drücken. Noch einmal wurde wiederholt, was Generalleutnant Rokossowskij in seinem großen Ultimatum angeboten hatte: ehrenvolle Behandlung, Verpflegung für jeden, ärztliche Betreuung der Verwundeten und Kranken, Belas-sung der Degen für die Offiziere.

Man hörte sich den Major der Gardedivision an und schickte ihn zurück. Ohne Antwort. Das alte Mißtrauen gegenüber russischen Versprechungen bestimmte in dieser letzten Stunde das Handeln. Ein Mißtrauen, das die Armeeführung davon abhielt, sich eines Besseren belehren zu lassen. Und der Gehorsam des deutschen Soldaten, der ihn noch zur Pflicht zwingt, wenn die Sinnlosigkeit offensichtlich ist… ein menschliches Phänomen!

Das letzte Kapitulationsangebot war vertan.

In der Nacht zum 26. Januar trat rund um den zusammengeschrumpften Kessel, der nur noch die Stadt und einige Außenbezirke und Vororte umschloß, die Rote Armee zum letzten Schlag an.

135 000 deutsche Soldaten machten sich zum Sterben bereit.

Am Morgen des 26. Januar, umtost von dem ununterbrochenen Donner sowjetischer Artillerie, eingekreist von zwei Roten Armeen, in die Zange genommen von Hunderten von Panzern, lagen Knösel, Emil Rottmann und Dr. Körner in einem überdachten MGStand und beobachteten die Straße vor sich. Sie warteten auf eine Atempause der Geschütze. Fünfzig Meter vor ihnen war einmal ein deutscher Bataillonsgefechtsstand gewesen. Ein Panzergranatenvolltreffer hatte ihn aufgerissen, nun lagen in den Trümmern des Bunkers drei Offiziere und vier Landser, verwundet, zugedeckt von einer Granatglocke, unter der sie wie in einem luftleeren Raum lebten.

Das Artilleriefeuer wurde vorgelegt. Eine Feuerwand wanderte durch die Trümmer, ein flammender Tornado, der hinter sich Staub und Steine ließ, aus denen einmal Häuser bestanden hatten.

Knösel, der hinter dem MG hockte und aus seiner schmurgeln-den Pfeife rauchte, hob plötzlich den Kopf und drückte den Sicherungsflügel weg.

Durch die Ruinenreste sprang eine dunkle Gestalt, warf sich hin, robbte weiter, blieb wie tot liegen, rollte dann in Trichter, krabbelte wieder heraus und hetzte durch die Trümmer, schnell, gazellenhaft springend, ein dunkler, tanzender Punkt.

«Da kommt Besuch«, sagte Knösel und visierte die Gestalt an.»Direkt auf uns zu. Nur kann ick nich sehen, ob det eener von uns is…«

«Warten Sie ab«, sagte Dr. Körner.

Emil Rottmann starrte mit brennenden Augen zu der laufenden Gestalt. Für ihn war der Augenblick des Überlaufens versäumt. Vor drei, vier Tagen wäre es noch möglich gewesen, jetzt war es Selbstmord, in diese Flammenwand hineinzulaufen… Wahnsinn, wie diese Gestalt, die aus dem Flammenmeer herausstürzte und vor ihm herlief.

Rottmann legte sein Gewehr auf die Steinbrüstung des Unterstandes und zielte auf den hüpfenden Körper. In diesem Augenblick, bei einer Wendung des Kopfes, sah er das Flattern langer, schwarzer Haare. Dann war die Gestalt hinter einer Mauer verschwunden.

Auch Körner hatte es gesehen. Ein Schlag fuhr durch ihn, eine Betäubung, nicht länger als ein Wimpernzucken, lähmte ihn. Dann sprang er auf und wollte aus dem Unterstand laufen. Knösel hielt ihn am Mantel fest.

«Herr Assistenzarzt!«schrie er.»Det is doch Blödsinn!«

«Lassen Sie mich, Knösel!«Dr. Körner zerrte an seinem Mantel.»Sehen Sie denn nicht… das ist doch Olga Pannarewskaja… das ist Olga…«

«Und wenn… Die Iwans schießen nich mit Pappkorken…«

«Loslassen…!«Dr. Körner schlug auf Knösels Hände. Fast rangen sie miteinander, aber es gelang Knösel, Dr. Körner unter das Schutzdach des Unterstandes zurückzuziehen.

Sie kamen im richtigen Augenblick zurück. Emil Rottmann stand mit einer unheimlichen Ruhe an seiner Schießscharte. Er hatte den springenden Körper im Visier, er verfolgte mit dem Gewehrlauf die Bewegung und wartete auf den Moment, in dem er genau auf die Mitte abdrücken konnte. Sein Finger lag bereits gekrümmt am Druckpunkt des Abzugs.

«Nein!«brüllte Dr. Körner.»Rottmann! Nein! Nicht schießen!«

«Dieses verfluchte Aas…«, sagte Rottmann mit seiner gutturalen Stimme.

«Dieses verfluchte rote Aas…«

«Nicht schießen!«Körner sah, wie Olga Pannarewskaja über einen Mauerrest sprang und frei, ohne noch weiter nach Deckung zu suchen, über die Straße lief, genau auf ihren Unterstand zu… genau in das kleine, dunkle Loch hinein, aus dem Rottmann die tödliche Kugel abfeuern würde.