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«Turm?«

«An einem Haus. Ein viereckiger Turm. Auf dem stand was drauf… aber ick kann ja keen Russisch lesen…«

«Turm mit flachem Dach?«

«’n Dach war nicht mehr da!«

«Ich glaube, ich weiß…«Kaljonin wiegte den Kopf hin und her.»Wird schon von Roter Armee erobert sein.«

«Det wäre Mist, Iwan.«

«Gähen wir sähen — «

Nach einer halben Stunde Kriecherei erreichten sie die Stelle, die Kaljonin meinte. Ein Turm war nicht mehr zu sehen… die Gebirge der Steine und Betonreste glichen sich wie nebeneinandergestellte Massenartikel. Knösel setzte sich in ein Granatloch und sah sich um.

«Hier?«

«Ja.«

«Warte mal. «Er kratzte sich den Kopf und schob die Unterlippe vor.»Wo war der Turm?«

«Dort. Wo du hinsiehst.«

«Dann müßte det Loch dort sein. «Knösel zeigte auf einen Ruinenberg. Er war einmal ein Wohnblock gewesen mit verschiedenen Höfen. Die Höfe konnte man noch erkennen, die Häuser nicht mehr.

«Natürlich, det is et!«Knösel wurde unruhig.»Da… in dem Viereck… da war’n schöner flacher Trichter. Da ha’ ick det Pferd reinjelegt und mit Steinen zujedeckt. «Er schob den Helm wieder nach vorn in die Stirn und rieb die Hände aneinander.»Los, Iwan… wenn wir det finden, reicht’s bis zum Jüngsten Jericht…«

Kaljonin hielt Knösel fest, als dieser aus dem Trichter klettern wollte.

«Nix, nix…«, sagte er hastig.»Dort Rote Armee…«

«Wo?«

«Gegenüber in Haus.«

«Seh ick nich…«

«Ich aber! Ich gehen allein.«

«Iwan, bei dir piept’s!«

«Wo ist Loch mit Konij?«

«Da, im ersten Hof. An der Mauer… vielleicht fünf Meter nach innen. «Knösel hielt nun Kaljonin fest, als dieser den Trichter verlassen wollte.»Junge, mach keenen fiesen Ärjer… die knallen dich sonst ab…«

«Njet, ich doch Genosse!«

«Aba in deutscher Uniform, du Scheich!«

Kaljonin ließ sich zurückfallen. Der Schreck stand ihm im Gesicht. Die deutsche Uniform, er hatte sie ganz vergessen. Es würde nichts helfen, zu rufen und zu winken.»Nicht schießen, Brieder-chen. lch bin Iwan Iwanowitsch Kaljonin von der 2. Gardedivision. «Sie würden ihn gar nicht hören… sie würden nur seine Uniform sehen und schießen, bevor er rufen konnte.

«Is det ’ne Scheiße!«brüllte Knösel.»Een janzen Zentner Fleisch! Auge in Auge… und du kommst nich ’ran!«

«Warten. «Kaljonin lächelte seinen Freund an.»In einer Stunde wir habenn Fleisch.«

«Und wie?«

«Mit richtige Uniform.«

«Dann knallen dich unsere ab, Iwan!«

«Man muß immer rechnen mit Risiko…«

«Ick weeß nich. Ick hab’n komisches Jefühl im Magen«, sagte Knösel.»Vagessen wir det Fleisch. Komm, Iwan…«

Sie krochen zurück zum Kino und schwiegen über ihre Pläne.

In der Nacht waren sie wieder draußen, in einem Trichter zog sich Iwan Iwanowitsch um und kroch weiter in den Häuserblock hinein. Knösel wartete hinter einer herunterhängenden Betondecke, die Maschinenpistole im Anschlag. Er hörte Stimmen, russische Worte… er vernahm Kaljonins Organ, er lachte… dann war es still, aber nur für einen Augenblick. Dann hämmerte es aus einem versteckten Bunker über den Häuserblock. Ein deutscher Beobachtungsposten kämmte das Niemandsland vor sich ab. Er hatte eine Bewegung gesehen.

«Idiot!«sagte Knösel halblaut.»Wennste wüßtest, wat da jeholt wird.«

Es dauerte über zwei Stunden. Knösel wurde ungeduldig, Angst umklammerte sein Herz. Sie haben Iwan erwischt, dachte er. Hätte ich doch bloß die Fresse gehalten…

Er wollte schon zurück zum Kino, als er vor sich das Prasseln von Steinen hörte, Rumoren, Schleifen, Keuchen. Von dem deutschen Bunker aus ballerte wieder eine Salve über das Vorfeld.

«Aufhören!«brüllte Knösel.»Eigene Leute! Aufhören. Ihr Hornochsen! Eigene Leute…«

Der Posten verstand zwischen zwei Feuerstößen den Ausdruck Hornochse und stellte sofort das Feuer ein. Die Nacht war dunkel und voll Schneenebel. Man sah nichts… aber die Geräusche wurden weitergetragen, klar und überdeutlich wie durch einen Sprechtrichter. Knösel stützte sich auf den Rand seiner herunterhängenden Decke.

«Hier Sanitäter Feldlazarett III! Verstehst du?«

«Ja…«Eine Stimme, wie aus der Weite des Himmels.»Kann ich das riechen…«

Eine Leuchtkugel auf russischer Seite zischte auf. Knösel sah einen Schatten, der sich blitzschnell hinwarf. Er wartete, bis die Leuchtkugel wieder versunken war, dann sprang er vor und erreichte Kaljonin in der Haustür eines Hauses. Die Tür und ein bißchen Mauer herum waren das einzige, was von diesem Haus noch aufrecht stand. Kaljonin lehnte an der Mauer und keuchte. Er hatte keinen Atem mehr. Neben ihm lag ein großer Klumpen Fleisch, steinhart und schwer wie Blei. Die linke Hüfte des Pferdes.

«Ich nicht mehr kann tragen…«, stöhnte Kaljonin.

«Mensch, Iwan!«Knösel umarmte Iwan Iwanowitsch.»Die ganze Hüfte. Det reicht! Det reicht! Det wird ’ne Fettlebe!«Plötzlich ließ er Kaljonin los und lehnte sich neben ihm an die Türwand.»Kumpel, weißt du, daß du uns allen das Leben gerettet hast…«

Kaljonin schwieg. Sein Atem pfiff.

«Noch zwei Tage, und wir wären umjefallen wie de Mücken am Mottenpulver! Junge…«Knösel schluckte und legte den Arm um Kaljonins Schulter.»Warum is Krieg? Warum müssen wir zwee Feinde sein? Wär det nich schön, wenn wir alle Freunde sein könnten?«

«Sähr schönn, Briederchen. «Kaljonin hob beide Arme in die Luft, er japste nach Atem. In seinem Brustkorb stach es wie mit tausend Nadeln.»Wir sind Freunde…«, sagte er röchelnd.

«Aba nebenan hauen se sich die Birne ein! Is det nich zum Kotzen? Nur weil wir eenen Hitler haben und ihr ’nen Stalin! Sind wir nich blöde, Iwan?«

«Ja. «Kaljonin nickte.»Aber kannst du machen Welt anders?«

Nach vier Stunden Abwesenheit kamen sie zurück in den Kinokeller, zwischen sich die vereiste Pferdelende. Man hatte sie schon gesucht. Dr. Portner brauchte Knösel als Ordonnanz. Besuch war gekommen. Hoher Besuch.

Im OP-Keller saß General Gebhardt. Verdreckt, mit zerrissener Uniform, hohlwangig, unrasiert, müde und seelisch zerbrochen. Ein General ohne Truppen.

Der Kessel Stalingrad-Mitte war die erste der drei deutschen Widerstandsgruppen, die sich unter der massiven Beschießung und durch die Straße nach Straße, Ruine um Ruine abwalzenden T 34 auflöste. Regimenter bestanden nur noch aus vierzig Mann. Divisionen waren nur noch Nummern oder armselige Haufen von zweihundert Verhungerten und Verletzten, die sich in den Kellern verbargen, überrollen ließen, hinauskrochen, wie Schmeißfliegen an den Panzern klebten und sie in die Luft sprengten. Es gab keine Front mehr, kein Hüben und Drüben… alles verschmolz miteinander, ein Haus gehörte im Keller den Deutschen, in der zweiten Etage den Sowjets, man hockte Kellerwand an Kellerwand, hörte sich sprechen, begegnete sich an der Treppe und schoß aufeinander oder schlug sich die Köpfe ein. Es war ein völlig sinnloses Sterben, aber man starb, weil es nichts anderes mehr gab.

General Gebhardt hatte am Nachmittag die letzten Meldungen bekommen. Zwei Meldegänger überbrachten die Nachrichten.

Seine Division bestand nicht mehr. Es gab nur noch die Offiziere seines Stabes und ein paar Männer, die sich vor den Flammenwerferpanzern und der Lawine der sowjetischen Infanterie gerettet hatten. Das kleine Funkgerät, die letzte Verbindung mit anderen Divisionen und dem Armee-Befehlsstand, war durch den Ausfall der Batterien unbrauchbar geworden. Man wußte nicht, wie es im Südkessel stand, was der Nordkessel machte… man sah nur die hohen Qualmwände in den Fabrikvierteln >Rote Barrikade< und >Dershinski< und ahnte, was sich dort abspielte. General Gebhardt versammelte in dieser Nacht seine letzten Offiziere um sich.