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Michael drei zitternde Menschen, auf die die Faust der Gnadenlosigkeit herabhieb, ohne daß sie begriffen, warum.

Dr. Körner zuckte hoch. Knösel kaute auf seinem Pfeifenstiel und schielte zur Seite.

«Haben Sie in Pitomnik Nachrichten gehört, Knösel?«fragte Dr. Körner.»Den neuen Wehrmachtsbericht?«

«Jawohl, Herr Assistenzarzt.«

«Was Neues?«

«Immer dasselbe, Heldenkampf in Stalingrad, an den anderen Fronten ebenso Scheiße.«

«Und in der Heimat?«

«Störangriffe, harmlos.«

«Gott sei Dank. «Dr. Körner legte den Kopf wieder zurück und schloß die Augen. Er hatte das Empfinden großer Sehnsucht nach Wärme, nach einem fraulichen Körper, nach Liebkosung und Geborgenheit. Leise seufzte er und ließ sich wegschaukeln in einen unruhigen, oft unterbrochenen Halbschlaf.

Auf der Rückfahrt hatten sie entdeckt, daß sie das kleine Paket des Oberleutnants vergessen hatten. In Pitomnik bei der Feldpost hatten sie es abgeben wollen. Jetzt lag es noch immer auf dem Hintersitz des Kübelwagens. An Frau Erna Budde, Hildesheim.

Jenseits des Platzes, im toten Winkel der russischen Artillerie, lagen andere Verbände. Dr. Körner erkundigte sich nach Oberleutnant Budde, man kannte ihn nicht.»Lieber Doktor«, sagte ein Hauptmann, der die Gefallenenliste seiner Kompanie vervollständigte,»seit gestern geht es hier zu wie in einer Bäckerei… frische Brötchen 'rein in den Ofen, kräftige Hitze, und dann 'raus aus dem Ofen. Nur scheint da ein Materialfehler zu sein. Was man 'rausholt, ist verbrannt und unbrauchbar…«

Dr. Körner verabschiedete sich. Der gallige Witz, der sich gerade in den unteren Führungsschichten breitmachte, war ein Humor der Hoffnungslosigkeit. Er sollte frivol und kaltschnäuzig klingen, doch in jedem Wort schwang die Angst mit. In Pitomn k hatte Körner einmal den Wehrmachtsbericht gehört. Er klang zuversichtlich, stolz, wie ein Fanfarenstoß. Der größere Teil der Stadt ist in deutscher Hand. Die Zeitungen aus dem Reich brachten seitenlange Artikel über den Sturm an die Wolga. Bilder mit Bergen sowjetischer Toten, Bilder vom Angriff deutscher Panzer in der Trümmerwüste von Stalingrad, Bilder aus dem Labyrinth von Eisenträgern und Beton der Fabrik >Roter Oktober< und darin siegessichere, lachende deutsche Landser. Ein Bild heldenhafter Fröhlichkeit.

Körner hatte dieses Bild Oberst von der Haagen gezeigt.»Man sollte so etwas nicht tun«, hatte er gesagt.»Allein um meinen Lazarettkeller herum sind vier große Trichter randvoll mit Leichen…«

Oberst von der Haagen hatte Körner daraufhin verwundert angesehen und geantwortet:»Aber lieber Doktor, als Arzt müssen Sie doch den Anblick von Toten gewöhnt sein…«

Dann hatte er sich umgedreht und Dr. Körner einfach stehen lassen.

Im Lazarettkeller hatte sich nichts geändert. Feldwebel Wallritz sortierte alle zwei Stunden immer noch die Leiber aus, drei Sanitäter verbanden die leichteren Fälle an der Treppe, und im OP-Keller stand Stabsarzt Dr. Portner am Küchentisch und amputierte, schnitt auf, entfernte Splitter, schiente, gab Spritzen und fluchte. Als Dr. Körner und Knösel in den Keller polterten — sie fielen fast hinein, weil wenige Meter von ihnen entfernt eine schwere sowjetische Granate eine ganze Hauswand umfegte —, warf er gerade eine amputierte Hand in den Blecheimer.

«Was machen Sie denn hier?«fragte er.

«Ich melde mich zurück, Herr Stabsarzt.«

«So etwas Dämliches müßte man einrahmen!«Dr. Portner säuberte den Armstumpf. Der Verwundete stöhnte und wimmerte in der Narkose.»Ich denke, Sie sind auf dem Weg nach Deutschland? Hinein in die Arme der jungen Frau Körner!«

«Davon war nie die Rede«, sagte Körner heiser.

«Ja, hat man Ihnen denn in Pitomnik nichts gesagt?«

«Nein! Was denn?«

Dr. Portner ließ den Stumpf auf eine Lage Zellstoff fallen. Es folgte die am Tage hundertmal wiederkehrende Handbewegung, ein Streichen des Handrückens über Gesicht und Stirn.

«Ich habe für Sie einen schönen Trick herausgefunden, Körner. Ich habe ihn sofort, als Sie weg waren, durch die Funkleitstelle an den Generalarzt durchgegeben, und man hat mir versichert, daß man Ihnen das anvertrauen wolle. Es kam alles paketweise, kurz nachdem Sie Ihre Brautfahrt nach Pitomnik angetreten hatten. Zunächst: Man denkt auch beim Generalarzt schon voraus. Man will in Stalingrad einige Lazarettschwerpunkte errichten. Krankenhäuser mit mehreren hundert Betten. Die Verwaltungsbeamten sind schon bestimmt, und sie haben — wie man mir sagte — in einer fleißigen Tag- und Nachtarbeit einen Aufbauplan ausgearbeitet. Wir Deutschen waren schon immer gründliche Planer…«

«Ja, ist man denn völlig verrückt geworden?«Dr. Körner zog seinen Mantel aus.»Wir verbluten in den Trümmern Stalingrads, und die planen, als sei…«

«Körner, seien Sie still! Für Sie hat es etwas Gutes!«Dr. Portner vernähte die großen Blutgefäße.»Ich habe Sie als Mitglied einer Kommission vorgeschlagen, die in den nächsten Tagen nach Warschau fliegt, um dort mit dem Heeres-Generalintendan-ten planmäßige Windeier zu legen. Es geht vor allem um die Einrichtung beweglicher, sogenannter >fliegender< OPs, und da will man einige Fachleute aus der vorderen Linie dabeihaben, weil diese die Erfordernisse der kämpfenden Truppe genau kennen. So im besten Amtsdeutsch.«

«Aber das ist doch Blödsinn! Medikamente braudien wir, Verbände, schmerzstillende Mittel, Morphium, Evipan, Schienen und, wenn es möglich ist, Betten — «

«Sehen Sie, genau das sagen Sie denen mal! Aber das Wichtigste ist, daß Sie nach Warschau kommen! In den tiefsten Frieden! Mensch, Körner… schalten Sie doch mal! Köln — Warschau, das ist gar kein Problem!«

Körners Augen wurden groß und glänzend.»Das ist phantastisch, Herr Stabsarzt.«

«Na, sehen Sie! Die Idiotie der einen ist die Wonne der anderen! Sie können jetzt sofort Ihr kleines Frauchen nach Warschau kommen lassen, und während die anderen um den runden Tisch sitzen und planen, liegen Sie Händchen in Händchen im warmen Ehebett. Ich schlage Ihnen das Hotel >Ostland< vor… früher hieß es anders, aber jetzt nennt man es germanisch-kernig >Ost-land<. Es wird sogar möglich sein, über einige Leitungen des Generalarztes ein Doppelzimmer zu bestellen.«

Dr. Körner stand an der Zinkwanne, die als Waschbecken diente, und seifte sich die Hände und Arme. Dann tauchte er sie in eine Lysollösung und war das, was man in einem Keller von Stalingrad steril nannte.

«Wenn das möglich wäre, Herr Stabsarzt…«, sagte er leise.

«Es läuft doch schon alles, mein Lieber! Darum wundere ich mich, daß Sie überhaupt zurückgekommen sind!«Wallritz begann den Armstumpf zu verbinden. Zwei Sanitäter trugen einen neuen Körper in den OP-Keller. Ein frisch Verwundeter. Ein Granatsplitter hatte ihm die linke Schulter aufgerissen und das Oberarm-Kugelgelenk zerfetzt. Dr. Portner kratzte sich den Kopf. Der Verwundete war bei vollem Bewußtsein und starrte den blutbeschmierten Arzt stumm und bittend an.»Eine große Scheiße, mein Sohn«, sagte Portner und beugte sich über die zerrissene Schulter.»Das weißt du doch?«

«Ja, Herr Stabsarzt. «Der Verwundete schluckte. Als sie ihn auf den geräumten Küchentisch hoben, biß er knirschend die Zähne zusammen.

«Muß der Arm weg…?«

«Wie soll ich das machen? Ich kann dich doch nicht halbieren'«

«Was… was dann, Herr Stabsarzt?«

«Ich suche dir die Splitterchen 'raus, mache eine schöne Schiene und aus! In einem vernünftigen Lazarett hätte man Chancen… aber hier biste in einer Knochenmühle, mein Junge.«

«Reicht… reicht denn der Schuß nicht für die Heimat…«Die Augen des Verwundeten füllten sich mit Tränen. Er wollte tapfer sein, aber von innen her drängte die Verzweiflung. Und sie war stärker.