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Knösel und Kaljonin bargen ihre drei Bomben in einem Splitterregen. Sie schleiften die Behälter hinter sich her, bis sie im Keller des Lagers erschöpft gegen die Wand fielen und erst verschnauften, ehe sie an den Inhalt der Bomben dachten. Dann stemmten sie die Verschlüsse auf und schütteten den Inhalt auf den Kellerboden.

In einer der Verpflegungsbomben war Naßbrot und Kaffeemehl, Grieß und Saftschinken, Marmelade und Butter. Die dritte Bombe aber enthielt einen dicht versiegelten Karton mit dem schriftlichen Befehclass="underline" Abzuliefern bei Kommandeur zur Weitergabe an das Armeehauptquartier der 6. Armee.

«Det wird ’ne schöne Scheiße sein!«sagte Knösel. Er schlitzte mit seinem Seitengewehr respektlos den Karton auf und starrte auf den Inhalt.

Vor ihm lagen einige hundert Eiserne Kreuze I. und II. Klasse, Nahkampf Spangen und Deutsche Kreuze in Silber und Gold. Auch Kaljonin starrte verblüfft auf den Segen militärischer Auszeichnungen, der vom Himmel gefallen war.

«Orden!«sagte er und grinste plötzlich.

Knösel antwortete nicht. Sein Gesicht war rot geworden. Und plötzlich wurde der gute, ruhige Knösel wild, er griff mit beiden Händen in die Eisernen Kreuze, schaufelte sie aus dem Karton und warf sie gegen die Kellerwand.

«Hunde!«brüllte er.»Schufte! Scheißkerle! O ihr Schweine…«

Und er griff wieder in den Karton und warf die Orden an die Kellerwand… das Blech schepperte über den Boden, der Lack spritzte ab, die Nahkampfabzeichen zersprangen. Seine ganze verzweifelte Wut legte Knösel in diese Würfe, er schrie dabei, daß Kaljonin sich still in eine Ecke des Kellers verzog und ruhig blieb, bis der Karton geleert war und der Ordensegen für eine Armee verstreut auf dem Boden lag.

Ein Teppich aus Eisernen Kreuzen, über den Knösel hinwegstampfte zum Ausgang.

Am Morgen waren sie dann beschäftigt, die Büchsen aus den beiden Verpflegungsbomben und das gerettete Pferdefleisch in winzige Portionen aufzuteilen. Sie saßen in einem Nebenkeller und zählten ab.

Ein Löffel Grieß… eine dünne Scheibe Brot… ein Löffel Milchpulver… zwei Löffel Rindfleisch… ein Stück Pferdefleisch, so groß wie ein kleiner Finger.

Vera Kaijonina saß bei ihnen… sie half, die Portionen zu ordnen. Wenn hundert fertig waren und auf dem Kellerboden lagen, kamen die Essenträger mit Munitionskistendeckeln und schoben die Portionen für ihre Kameraden im Lazarettkeller darauf.

Kaljonin unterbrach das Herumschneiden an seiner Pferdekeule und hob den Kopf.

Über ihnen war es ganz still. Der Morgen war gekommen, und mit der Sonne begann sonst auch die Artillerie zu schießen oder die Panzer kämmten die Straßen durch. Aber jetzt schwieg alles… es war, als lebten sie in einer völlig leeren Stadt.

«Ganz still…«, sagte Kaljonin und stieß Knösel an.»Hörst du…?«

«Ja. «Knösel zählte Erbsen ab. Pro Mann sechs Stück.»… vier… fünf… sechs… Ooch, deine Genossen müssen ja mal Pause machen…«

«Gucken!«

«Wat?«Knösel legte den kleinen Erbsensack weg.»Wat willste?«

«Gucken.«

«Mensch, sei froh, det se ruhig sind.«

«Nix Panzer, nix Kanone, gar nix…«

«Jloob nich, det jetzt ’ne Winterfrische beginnt…«

«Komm mit…«

Kaljonin hielt es nicht mehr im Keller. Ein Instinkt trieb ihn hinaus in den diesigen, trüben Morgen. Er konnte nicht erklären, woher seine Unruhe kam… sie war einfach da und stak kribbelnd in seinen Beinen.

Zusammen mit Knösel und Vera stieg er hinauf in die Trümmer und sah sich um. Plötzlich zuckte er zusammen und sprang auf, warf die Arme weit zurück und brüllte. Auf dem Gebäude des Verteidigungskomitees der Partei, dem großen Häuserblock am Roten Platz, schräg gegenüber dem Kaufhaus Univermag, in dessen Kellern Generalfeldmarschall Paulus und sein Stab saßen, wehte weithin sichtbar eine große rote Fahne.

Parteisekretär Genosse Iwan Grodnidsche, der seit seinem Desaster mit dem Hühnerfuttermehl sehr still geworden war, hatte sie eigenhändig aufgezogen, umbraust vom Jubel seiner Freunde und der Zivilisten, die rund herum aus den Kellern krochen und in den frühen Morgen blinzelten.

Die Fahne des Sieges!

Stalingrad gehörte wieder ganz zu Mütterchen Rußland.

Kaljonin zeigte mit beiden Armen auf die wehende Fahne.

«Krieg kaputt!«brüllte er» Briederchen… Krieg kaputt…«

Er umarmte seine Frau Vera und küßte sie, er umarmte den starren Knösel und drückte ihn an sich, er tanzte auf den Trümmern, lachte und weinte in einem Atemzug und benahm sich gar nicht so, wie sich ein Mladschij Sergeant der Roten Armee eigentlich benehmen mußte. Dann riß er Knösel die Maschinenpistole von der Brust, warf sie hoch in die kalte Luft, fing sie auf, lud durch und feuerte übermütig in den Himmel. Die letzten vierundzwanzig Schuß waren es… Knösel hatte sie gezählt… er hatte Buch geführt über jede Patrone. Noch vierundzwanzig waren geblieben… und nun jagte Iwan Iwanowitsch Kaljonin sie mit einem Freudentanz in den Morgen.

Gegenüber, in einer Hausruine, tauchte eine Gruppe Rotarmisten auf. Kaljonin schwenkte die Waffe Knösels…»Sieg!«schrie er.»Freunde! Sieg!«Er sprang über die Trümmer auf seine Kameraden zu, das Gesicht wie verklärt vor Freude, und dabei schoß er noch einmal in die Luft, ein kleines privates Feuerwerk zur Stunde des Triumphes.

Mit ungläubigen Kinderaugen blieb er stehen, als aus der Gruppe der Rotarmisten eine einzelne Maschinenpistole aufbellte. Als die Kugeln in seinen Leib fuhren, wurde ihm klar, daß er ja eine deutsche Uniform trug und daß es das Recht der Rotarmisten war, auf einen deutschen Soldaten zu zielen, der schießend auf sie losstürmte.

«Genossen…«, stammelte Kaljonin und sank in die Knie. Er hielt sich den Magen fest, preßte seine Fäuste dagegen, denn seine Därme brannten und sein Magen war eine glühende Hölle geworden.»Genossen… was tut ihr denn…? Brüder.. ein Irrtum… ein Irrtum ist’s… Genossen…«

«Wanja!«schrie Vera Kaijonina auf. Sie stieß Knösel weg, der sie zurückhalten wollte, und rannte zu dem zusammensinkenden Kaljonin. Auch die Rotarmisten merkten, daß etwas Tragisches geschehen war… sie kamen langsam näher, mit vorgestreckten Karabinern, nach allen Seiten sichernd, Knösel, der Vera nachlief, mißtrauisch anstarrend. Es waren kleine Kalmücken, Reiter aus den Steppen, mit gelben Gesichtern und winzigen, schrägen Augen.

Vera kniete bei Kaljonin und legte seinen Kopf in ihren Schoß.

«Ihr Hunde!«schrie sie, als die Rotarmisten sie umringten.»Ihr räudigen Schweine! Ihr habt ihn erschossen… er stirbt… mein Wanja stirbt…«

Sie umklammerte ihn, küßte ihn in wilder Verzweiflung und weinte laut.

Ein junger Feldwebel nahm seine Fellmütze ab und drehte sie zwischen den Händen.

«Verzeiht, Genossin…«, stammelte er.»Aber er hatte eine deutsche Uniform… und er schoß… wie können wir wissen, wer er ist… Es trifft uns keine Schuld…«

Kaljonin schlug noch einmal die Augen auf. Er sah Vera über sich gebeugt, er sah Knösel fahlbleich, wie in Milch getaucht, er sah die kleinen Kalmücken und dachte an die rote Fahne, die auf dem Parteihaus wehte.

«Sieg, Genossen!«sagte er stockend. Dabei blutete er aus dem Mund… das Blut lief über sein Kinn und über Veras Hände, die seinen Kopf hielten.»Er ist mein Freund…«Er sah Knösel an.»Ein guter Freund, Brüder…«In seinen Därmen rissen tausend Teufel. Er bäumte sich auf und stöhnte.»Das hättet ihr nicht tun dürfen, Genossen… das nicht…«

Sein Kopf fiel zurück, gegen die Brust von Veraschka, er lächelte, als er sie spürte, das Feuer in ihm ergriff ihn völlig, aber es war eine merkwürdige Hitze.

«Wanja…«, stammelte Vera.»Mein Wanja…«

Dann war der Mladschij Sergeant Iwan Iwanowitsch Kaljonin gestorben.

Er war der letzte Tote in Stalingrad-Mitte, der durch einen Schuß fiel.

Während vor dem Kaufhaus Univermag ein Wagen vorfuhr, um Generalfeldmarschall Paulus zu einem Frühstück bei Generalleutnant Rokossowskij abzuholen, kamen die lebenden Leichname aus den Kellern und hoben die Hände hoch in den kalten Wintermorgen.