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Die Welt veränderte sich. Jeder wusste das natürlich. Dank des Fernsehens konnten alle sehen, was gerade passierte – Woodstock, Kent State, Watts, Vietnam, das Gesetz über die Bürgerrechte, der Marsch auf Washington, die Attentate auf Dr. King und Senator Kennedy, Neil Armstrong auf dem Mond – und niemand erwartete, dass alles so blieb wie gehabt.

Mary dagegen wusste seit ihrem elften Lebensjahr wie groß diese Veränderung tatsächlich war, weil sie gesehen hatte, wie ihre Eltern einen rachsüchtigen Geist exorziert hatten.

Die Mondlandung war erst ein paar Monate her. Für Mary war es fast wie ein Wunder. Weder Deanna noch Samuel schienen sich damals sonderlich dafür zu interessieren, insbesondere, weil es so aussah, als würde sich in St. Louis ein Formwandler herumtreiben. Sie bereiteten gerade den Truck darauf vor, auf die Autobahn zu fahren, um Nachforschungen anzustellen.

„Aber Dad“, hatte Mary damals gesagt. „was wäre, wenn wir in den Weltraum fliegen und vor den Monstern fliehen?“

Darauf hatte Samuel keine gute Antwort gewusst, also hatte er nur die Schultern gezuckt und seine Vorbereitungen fortgesetzt.

Es gab Zeiten, in denen Mary sich fragte, wie es wohl wäre, ein normales Leben zu führen. Meistens war sie ganz glücklich, dass es nicht so war, weil das nur ging, wenn man schlicht und einfach ignorant war. Sicher, sie würde zu Geburtstagspartys gehen und mit ihren Freunden herumhängen und alle anderen Sachen tun können, die man als Teenager eben so macht. Aber sie hätte niemals gewusst, dass jeden Moment ein Vampir, Formwandler oder eine andere eklige Kreatur sie angreifen könnte, um sie zu töten.

Nein, Wissen war Macht. Sie zog es vor, zu wissen, was sie erwartete. Wenn das bedeutete, dass sie weniger Verabredungen hatte, so war das in Ordnung.

Sie fuhren von Big Springs nach Hause, nachdem sie die Vampire und ihr Haus niedergebrannt hatten. Sobald sie angekommen waren, war Marys erstes Ziel das Badezimmer. Ihr langes blondes Haar war mit Vampirblut verklebt, es war einfach ekelhaft. Außerdem, hätte sie ihren Vater oder ihre Mutter vorgelassen, hätten sie ewig gebraucht.

Sie pellte sich die Bluse und die Latzhose vom Leib und warf sie in den Wäschekorb. Wenn sie alle mit Duschen fertig waren, würde Deanna die Sachen mit einem Spezialpulver waschen, das Xin – ein anderer Jäger – ihr empfohlen hatte. Sie stand im heißen Wasserstrahl und massierte sich Baby-Shampoo ins Haar, weil sie festgestellt hatte, dass sie damit organische Rückstände am besten herausbekam. Sie dachte darüber nach, dass der nächtlichen Vampirjagd ein normaler Schultag mit ihren ignoranten Klassenkameraden folgen würde.

Es gab Zeiten, da wünschte sie sich, sie könnte beides haben, ein normales Leben führen und trotzdem eine Jägerin sein. Aber sie wusste, dass das unmöglich war. Traurigerweise machte sie das zu einer Außenseiterin. Ihre Mitschüler hielten sie für seltsam und die Lehrer und Schulangestellten waren wegen ihrer allzu regelmäßigen Fehlzeiten verstimmt. Sehr zu deren Leidwesen schienen auch Gespräche mit den Eltern zu nichts zu führen.

Das war wahrscheinlich der Grund, warum sie so viel Zeit nach der Schule in der Werkstatt verbrachte. Sie ging dorthin, sooft sie konnte. John Winchester arbeitete dort. Er war ein netter Junge und erfrischend normal. Und er war nicht wie viele der anderen Jungen in der High School, die einfach nur total dämlich waren. John dachte immer genau über alles nach, ob es Hausaufgaben waren, der Krieg oder Politik …

Außerdem verurteilte er Mary nicht, so wie die anderen. Er respektierte ihre Privatsphäre und in einer Zeit, in der Frauen ihre BHs verbrannten und gleiche Rechte forderten, behandelte er sie wie einen Menschen und nicht wie ein Mädchen.

Natürlich gab es Gelegenheiten, bei denen sie gern als Mädchen behandelt werden wollte. Trotz des heißen Wassers in der Dusche erschauerte sie bei dem Gedanken, was Samuel wohl sagen würde, wenn er wüsste, was sie gerade dachte.

Solche Gedanken waren nichts im Gegensatz zu dem, was einige Mädchen in der Schule taten. Tatsächlich hatten einige von ihnen ihre BHs weggeworfen, rasierten sich nicht mehr die Achseln und taten weitaus irrere Dinge.

Sie schmunzelte, als sie die Dusche abstellte. Sie wäre gern noch ein paar Minuten geblieben, aber das wäre ihren Eltern gegenüber nicht fair gewesen, die inzwischen bestimmt auch ziemlich stanken. Während sie sich abtrocknete, stellte sie lächelnd fest, dass gerade sie, die den Abend mit einem Vampir verbracht hatte, der auf ihr Blut aus war, Achselhaare und das Verbrennen von BHs „abgedreht“ fand. Normalerweise würde sie sich jetzt die Haare föhnen, aber sie entschloss sich, sie an der Luft trocknen zu lassen, damit Deanna ins Bad konnte. Sie wickelte sich in ein Handtuch und öffnete die Badezimmertür, wobei ihr ein kühler Hauch entgegenschlug.

Deanna stand mit verschränkten Armen draußen und klopfte mit dem Fuß.

„Wird auch Zeit.“

„Entschuldige“, sagte Mary, obwohl sie so schnell gemacht hatte, wie sie konnte.

„Da ist ein Brief für dich“, sagte Deanna, während sie ins Bad ging. „Ich habe ihn auf deine Kommode gelegt.“

„Danke, Mom“, sagte Mary als sie über den Flur zu ihrem Schlafzimmer patschte.

Sie zog die Tür hinter sich zu, zog das Handtuch weg und warf es auf den Boden. Es landete unordentlich neben ihrem Wäschekorb, für den – wie sie immer sagte – ihre Mutter Geld hinausgeworfen hatte. Die Sachen endeten sowieso immer daneben statt darin. Mary öffnete eine Schublade und nahm Unterwäsche heraus.

Dann sah sie den Umschlag, den Deanna ihr hingelegt hatte.

Die Briefmarke war eine Sechs-Cent-Sondermarke mit einem „Pflanzen für schönere Städte“-Aufdruck und einem Stempel aus San Francisco.

Einen Absender gab es nicht, aber sie brauchte auch keinen, weil sie die Handschrift sofort erkannte.

Sie riss den Umschlag auf und las sofort sowohl den Brief als auch den Ausschnitt aus dem San Francisco Chronicle. Dann zog sie ein Batik-T-Shirt und eine Latzhose mit weiten Beinen über.

Als sie die Tür öffnete, überkamen sie Zweifel. Sie zog das T-Shirt wieder aus und ging stattdessen mit einer weißen Bluse los. Wenn sie ihren Vater überzeugen wollte, nach San Francisco zu fahren, durfte sie auf keinen Fall das tragen, was er als „Hippie-Klamotten“ bezeichnete.

Deanna hatte wie üblich in Rekordzeit geduscht und trocknete sich bereits ab, als Mary aus dem Zimmer kam. Sie ging in ihren terrakottafarbenen Bademantel gehüllt zusammen mit Mary die Treppe hinunter. Sie fanden Samuel über den Sportteil des Lawrence Journal gebeugt am Esszimmertisch vor. Er hatte keine Lust gehabt, auf die Frauen zu warten und sich stattdessen in der Küchenspüle gewaschen. Das bedeutete, er war sauber, aber sein Hemd und seine Hose waren voller Wasserflecken.

Mary ging die Sache frontal an.

„Da ist vielleicht ein Job in San Francisco“, kündigte sie an.

Ihr Vater sah von der Zeitung auf.

„Wie bitte?“

„Der Brief, den ich bekommen habe?“ Mary reichte ihm den Umschlag und den Ausschnitt. „Er war von …“

Samuel zuckte zusammen.

„Sag nicht, er war von Yaphet. Dieser verrückte Hippie ist …“

„… in Florida“, sagte Deanna. „Erinnerst du dich, er ist letztes Jahr dort hingezogen.“

„Nein, ich erinnere mich nicht“, sagte Samuel mit einem Seufzen. „Ich behalte schlechte Geschichtenerzähler nicht im Gedächtnis.“ Dann konzentrierte er seine Aufmerksamkeit wieder auf Mary. „Also, von wem ist er denn?“

„John Bartow“, antwortete sie. „Erinnerst du dich?“