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Er verzog sein Gesicht und nahm Mary den Brief und den Zeitungsausschnitt aus der Hand.

„Ja, ich erinnere mich.“ Er sah aus, als wäre er gerade in etwas Faules getreten.

„Komm schon, Dad, er war cool.“

Deanna, die geborene Diplomatin, schaltete sich ein. „Er war ein sehr geübter Beobachter des Übernatürlichen, Samuel.“

„Und ein noch ‚geübterer Beobachter‘ unserer Tochter“, sagte Samuel, ohne aufzusehen.

Die Campbells waren vor einem Jahr in San Francisco gewesen, um eine Hexe zu verfolgen, die sich in einem mystischen Blutrausch nach Westen bewegt hatte. Bartow hatte geholfen, die Hexe zu finden. Er war nur ein paar Jahre älter als Mary. Seine Familie hatte ebenfalls zusammen gejagt, bis sie von einem Rudel Höllenhunde umgebracht wurden.

Mary hatte Bartow unheimlich groovy gefunden, was Samuel natürlich ganz verrückt machte. Sie hatten viel gemeinsam, aber Samuel sah einzig und allein, dass Jack ein Junge war und sich für Mary interessierte.

Samuel mochte sowieso niemanden und er mochte ganz besonders nicht, wenn jemand, wie er es nannte, „um sie herumscharwenzelte“. Sie hatte diesen Ausdruck schon immer gehasst.

Deanna ging hinüber und stellte sich hinter ihn. Über seine Schulter gebeugt las sie den Brief und den Artikel.

Dann sah sie auf.

„Er glaubt, es sei ein Drache?“

„So etwas gibt es nicht“, sagte Samuel mit Nachdruck.

„Vielleicht“, sagte Mary. „Aber etwas hat diese Leute umgebracht, so, dass es nach einem Drachen aussieht. Die Leichen waren in Stücke gehackt und verbrannt.“

Deanna nahm den Chronicle-Artikel sanft aus Sams Hand.

„Hier heißt es, dass die erste Leiche – die im Inner Mission District – am Morgen des 4. November gefunden wurde.“

Mary war verwirrt.

„Und?“

Samuel knurrte erneut.

„Der 3. November war der letzte Tag des Neumonds.“

Beschämt senkte Mary den Kopf.

„Richtig, entschuldige.“ Ihre Eltern hatten ihr beigebracht, auf die Mondphasen zu achten. Neumond und Vollmond waren immer voller übernatürlicher Aktivitäten. Es war dumm von ihr, das zu vergessen.

„Vielleicht ist es ja nur ein Geist, der sich zufällig wie ein Drache benimmt“, sagte Deanna. „Aber es hilft auch nicht weiter, dass der dritte und vierte Mord in Chinatown waren.“

„Also, fahren wir?“, fragte Mary hoffnungsvoll. Es hatte ihr das letzte Mal in San Francisco gefallen und sie wollte die Stadt wirklich noch einmal sehen.

Außerdem stand morgen eine Geschichtsarbeit auf dem Stundenplan, für die sie keine Zeit zum Lernen gehabt hatte. Das war die perfekte Gelegenheit, aus dieser Sache rauszukommen.

Samuel blickte zu Deanna hoch, die nickte.

„In Ordnung“, sagte er. „Lasst uns packen.“

„Ich rufe Marty an“, sagte Deanna und meinte Martin Jankovitz aus ihrem Reisebüro. Er konnte ihnen immer sehr schnell relativ günstige Flüge besorgen.

Mary rannte hinauf in ihr Zimmer. Da es nach San Francisco ging, würde sie definitiv ihre Batikshirts einpacken, egal was ihr Vater dazu sagte …

Fünf

Deanna Campbell widerstand dem Drang, ihren Mann nochmals unter dem Tisch zu treten.

Sie saß mit Samuel, Mary und Jack Bartow in einem italienischen Restaurant an der Columbus Avenue. Bei ihrer Ankunft in San Francisco hatte Mary Jack aus einer Telefonzelle angerufen, um Zeit und Ort für ein Treffen abzumachen und weitere Informationen über den vermeintlichen Drachen zu bekommen. Samuel und Deanna hatten auf das Gepäck gewartet.

Sie hatten zwei Koffer gepackt. In einem war genug Kleidung für alle für eine Woche und in dem anderen Vorräte und Waffen, die sie vielleicht brauchen würden. Es dauerte ewig, bis der zweite Koffer – der mit den Kleidern – ankam. Samuel war kurz davor gewesen, ihn zurückzulassen, als er endlich auf dem Kofferlaufband zum Vorschein kam.

„Hätte schlimmer kommen können“, flüsterte Deanna ihrem Mann zu. „Der andere hätte verloren gehen können.“

Samuel verzog das Gesicht. Beide Koffer waren zu groß für die Gepäckfächer im Flugzeug gewesen, sodass sie sie aufgeben mussten. Das machte Samuel nervös. Die Waffen, die sie angehäuft hatten – Pistolen, Armbrüste, Gewehre, Langbogen, Macheten, Schwerter – waren extrem teuer und daher nur schwer zu ersetzen. Samuels Reinigung und Deannas gelegentliche Tätigkeit als Aushilfslehrerin brachten genug Geld für Marys Ausbildung ein und um ihr Waffenlager gefüllt zu halten.

Gelegentlich auch für Flugtickets in letzter Minute.

Trotzdem gab es Zeiten, in denen sie von Rechnungen überschwemmt zu werden drohten. Das war das Problem mit der Jagd – es war eine Berufung und kein Beruf. Die Jagd brachte kein Essen auf den Tisch.

Mary war immer noch am Telefon, als ihre Eltern sie fanden.

„Hör mal“, sagte sie als sie sich näherten, „das war mein letztes Kleingeld und ich muss wirklich nicht – oh! Hier sind Mom und Dad. Wir sehen uns bald, okay? Bis dann, Jack. Bye!

„Du hast dein ganzes Kleingeld verbraucht?“, fragte Deanna, bevor Samuel etwas sagen konnte.

„Wir haben uns nur auf den neuesten Stand gebracht“, sagte Mary und wagte einen kurzen Blick zu ihrem Vater. „Es ist ja nicht so, als hätten wir ihn vorgewarnt, dass wir kommen.“

Samuel hatte das Ferngespräch nach Kalifornien nicht bezahlen wollen.

Mary wandte sich wieder an ihre Mutter und sagte: „Wie auch immer, er wird heute Abend um sechs Uhr in einem Restaurant in North Beach für uns reservieren.“

Sie mieteten ein Auto und fuhren in ihr Hotel – die Emperor Norton Lodge an der Ellis Street im Tenderloin District. Sie wollten auspacken und sich versichern, dass alle Waffen sauber und einsatzbereit waren.

Es war Deannas Idee gewesen, mit dem Bus nach North Beach zu fahren, das eigentlich von allen „Little Italy“ genannt wurde. So mussten sie sich nicht mit der Parkplatzsuche in dieser von Menschen wimmelnden Gegend plagen.

„Aber ich will nicht unbewaffnet gehen“, protestierte Samuel.

„Die Morde sind in Chinatown passiert, Samuel.“

„Ich mache mir ja auch nicht wegen des Drachen Sorgen.“

Deanna seufzte nur und Mary rollte mit den Augen.

Sie waren nicht vollkommen unbewaffnet, natürlich nicht, aber sie hatten die Feuerwaffen im Motel gelassen. Es war in diesen Tagen mit ihren Bürgerunruhen nicht gerade klug, wenn Zivilisten bewaffnet durch die Großstädte stolzierten. Die lokalen Gesetzeshüter hielten ein Auge auf Bewaffnete und das Letzte, was die Campbells wollten, war, die Aufmerksamkeit des San Francisco Police Departements zu erregen.

Während sie auf das Restaurant zugingen, versuchte ein langhaariger, barfüßiger Mensch dreimal, Samuel eine Blume zu schenken. Seine Miene wurde darauf so finster, dass Deanna fürchtete, sein Gesicht würde in sich zusammenfallen.

Bartow kam zu spät zum Essen und ließ die drei vor dem Restaurant warten. Die Reservierung lief auf seinen Namen und Samuel weigerte sich, mit einem minderjährigen Mädchen an der Bar zu warten, obwohl das im Restaurant niemandem etwas auszumachen schien.

Endlich humpelte Bartow den Hügel an der Columbus Avenue herauf, nachdem er aus dem City Lights Bookstore gekommen war. Seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatten, hatte er seine schlichte Holzkrücke gegen einen kunstvoll verzierten Gehstock mit einem Drachenkopf ausgetauscht.

Samuels Augen wanderten sofort zu Bartows linkem Fuß – oder zu dem, was von ihm übrig war. Er hatte die Verletzung schon gehabt, als sie ihn vor mehr als einem Jahr kennengelernt hatten, damals war er gerade siebzehn geworden. Er hatte behauptet, es wäre ein Unfall mit einer schlecht gewarteten Handfeuerwaffe gewesen.