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„Meinst du?“, fragte sie.

Deanna warf dem jungen Mann einen dankbaren Blick zu. Sie hatte das Gleiche in den vergangenen Stunden immer wiederholt, aber Mary hatte es nicht hören wollen, als es von ihrer Mutter kam. Also half es eine Menge, wenn sie es von jemandem hörte, der nur etwas älter als sie war. Es war auch nicht schlecht, dass es ein niedlicher Junge sagte.

Die Frau in der blauen Strickjacke war fort und eine ältere Dame mit dunklen Haaren, die zu einer Bienenkorb-Frisur aufgetürmt waren, saß jetzt am Informationsschalter. Sie sah aus, als wäre sie orientalischer Abstammung und war inzwischen die dritte Bibliothekarin, die seit heute Morgen dort Platz nahm. Anders als die jüngere Frau von heute Morgen war diese etwas formeller gekleidet: weiße Bluse, grauer Pullover und ein rostfarbener Rock.

„Haben Sie gefunden, was sie suchten, Ma’am?“, fragte die Bibliothekarin.

„Nicht alles, leider“, sagte Deanna und übertrieb die Enttäuschung mit ihrem Tonfall. Sie vergaß beinahe, ihre „Mutter aus dem mittleren Westen“-Stimme einzusetzen, bekam aber gerade noch die Kurve. Wie sie schon zu Mary gesagt hatte, Schauspielerei war eher Samuels Ding. Deanna recherchierte lieber nach etwas oder schoss darauf.

„Oh, das tut mir leid“, sagte die Bibliothekarin und es hörte sich so an, als ob sie es ernst meinte.

„Ist schon in Ordnung, denke ich“, antwortete Deanna mit einem freundlichen Lächeln. „Wir haben eine ganze Menge über chinesische Kultur und Drachen gelernt, was wirklich toll war. Ich wünschte nur, ich wüsste, was die Leute mit ‚Herz des Drachen‘ meinen.“

Da runzelte die Bibliothekarin die Stirn.

„Was für ein interessantes Thema“, sagte sie neugierig. „Sind Sie sicher, dass das aus der chinesischen Kultur stammt?“

Die Frage ließ Deanna stocken.

„Warum fragen Sie?“

„Nun, obwohl es viele Hinweise auf Drachen in chinesischen Überlieferungen gibt, steht der einzige Hinweis, den ich je im Zusammenhang mit ‚Herz des Drachen‘ gehört habe, mit einem japanischen Krieger von vor hundert Jahren in Verbindung“, erklärte die Frau. „Tatsächlich nannte man ihn Herz des Drachen.“

Mit erwachtem Interesse drängte Deanna auf mehr Informationen.

„Ich weiß nicht“, sagte sie langsam. „Das haben wir in Chinatown gehört und nicht in Japantown.“ Dann schmunzelte sie. „Sagen sie mal, gibt es so etwas wie Japantown überhaupt?“

Mary stieß ihr den Ellbogen in die Rippen.

„Mom, komm schon, das könnte sein, was wir suchen.“ Sie zupfte nervös an ihrem allgegenwärtigen Bettelarmband.

„Ja, Schatz“, sagte Deanna. Sie rieb sich die Seite und warf der Bibliothekarin einen verschwörerischen Blick zu. „Teenager – was soll man machen?“

„Die können auf alle Fälle sehr ungeduldig sein“, stimmte die Frau zu. „Aber um ihre Frage zu beantworten, es gibt tatsächlich einen Abschnitt der Stadt, den wir Japantown nennen – dort leben meine Eltern.“

„Haben Sie zufällig Bücher über den Krieger, den Sie erwähnten?“, fragte Deanna. „Ich fürchte meine Tochter lässt mich erst in Ruhe, wenn wir etwas finden.“

„Es gibt mindestens eines, an das ich mich erinnere – aber das wird ihnen nicht viel helfen, fürchte ich. Sehen Sie, der Text ist auf Japanisch. Ich kann es herschicken lassen, aber wenn Sie die Sprache nicht lesen können …“ Sie brach mit einem Schulterzucken ab. Jack trat vor.

„Das sollte keine Problem sein“, sagte er knapp. „Wie schnell wird das Buch geliefert?“

Die Bibliothekarin zuckte erneut mit den Schultern. „Gewöhnlich dauert es eine Stunde oder so, aber ich fürchte, wir können es heute nicht mehr vor Ende der Öffnungszeit bekommen.“

„Können Sie es für uns reservieren, sodass wir es morgen ansehen können?“, fragte Jack eifrig.

„Selbstverständlich!“, sagte die Bibliothekarin, von seinem Enthusiasmus angesteckt. „Ich brauche nur ihren Namen.

„John Riet. R-I-E-T.“

„Sehr gut, Mr. Riet, ich schicke die Anforderung gleich los und lege das Buch für Sie auf die Seite, damit Sie es morgen ansehen können. Kommen Sie einfach an diesen Schalter und sagen Sie ihren Namen.“

„Groovy.“ Er drehte sich zu Deanna um. „Ich habe einen Freund, der Orientalistik in Berkeley lehrt. Er schuldet meinen Eltern einen Gefallen und er kann uns bestimmt helfen.“

Als alles geregelt war, gingen sie in die Lobby und traten durch die Tür in den klaren Nachmittag von San Francisco. Die Sonne schien hell vom Himmel und die Luft war jetzt warm. Eine angenehme Brise wehte. Was Deanna schon beim letzten Besuch gefallen hatte, war das konstante Wetter. Es schien, als wäre die Stadt im ewigen Frühling gefangen.

Mary spähte neugierig zu Jack hinüber.

„John Riet?“

„John ist mein richtiger Name, aber weil mein Vater auch so hieß, nannten mich alle Jack“, erklärte er. „Weißt du, wie Jack Kennedy. Und ‚Riet‘ ist holländisch und heißt ‚Stock‘.“

„Oh“, sagte sie. „Groovy.“

Deanna unterbrach die beiden.

„Mary, du und ich müssen jetzt zurück ins Hotel gehen und nachsehen, ob Samuel wach ist.“ Dann drehte sie sich um. „Jack, wir können dich anrufen, wenn wir wissen, wie wir weiter vorgehen.“

„Sehr gut“, sagte er. „Eigentlich kann ich sogar mit euch kommen und wir essen etwas zu Mittag. Ich kenne ein tolles Lokal …“

Marys Gesicht hellte sich auf, aber Deanna wusste, was Samuel dazu sagen würde. Neben der Tatsache, dass er sicher war, dass Jack mit Mary allein sein wollte, war seine Abscheu anderen Jägern gegenüber nahezu legendär. Er würde sich sicher weigern, schon wieder eine Mahlzeit mit dem jungen Mann einzunehmen, besonders nach so kurzer Zeit.

„Es tut mir leid, Jack“, sagte sie bestimmt. „Aber nicht heute. Wir rufen, dich an, in Ordnung?“

„Sicher.“ Jack klang genauso enttäuscht, wie Mary aussah. Deanna griff nach der Hand ihrer Tochter und zog sie in Richtung Bushaltestelle. Es war genauso, wie sie zu der Bibliothekarin gesagt hatte.

Teenager – was will man machen?

* * *

Samuel hatte nicht auf große Unterstützung in Chinatown gehofft, so lange er sich als FBI-Agent ausgab. Tatsächlich sprach schon die bloße Tatsache, dass er Kaukasier war, gegen ihn. Vielleicht würde er später Mary schicken und sie den weltoffenen Hippie spielen lassen, der versucht, die orientalische Kultur zu verstehen, und sie so beschatten lassen.

Nachdem er ein Nickerchen gemacht hatte, wollte er an den ersten Tatort in Inner Mission gehen, an dem Michael ‚Moondoggy‘ Verlander zu Tode gekommen war.

Er war immer noch nicht glücklich darüber, dass Deanna ihn überzeugt hatte, Bartow hinzuzuziehen. Samuel hatte seine Anwesenheit toleriert. Ja, er war derjenige gewesen, der sie gerufen hatte, aber Samuel war einfach ungern in der Nähe anderer Jäger. Sie nahmen immer an, dass man das Gleiche dachte wie sie. Aber was Samuel betraf, war ein Blödmann eben ein Blödmann – und viele von ihnen hatten sich als Blödmänner erwiesen.

Als er die Guerrero Street entlangging, sah er eine Ansammlung von Jugendlichen, die Slogans riefen. Einer von ihnen stand auf einer Milchkiste in der Mitte und hielt eine Rede. Einige der Kids trugen Schilder bei sich, auf denen Sachen wie FRIEDEN und LIEBE STATT WAFFEN standen. Mehr als die Hälfte von ihnen trug Batikshirts, bei deren bloßem Anblick Samuel Kopfschmerzen bekam. Die meisten hätten einen Friseurbesuch nötig – die Frauen eingeschlossen. Einige waren barfuß, einige trugen Sandalen.

Neben einem Lautsprecher saß ein Junge und zupfte an seiner Gitarre, man konnte ihn aber durch die lauten Rufe nicht hören.

Einerseits verstand Samuel die, die nicht nach Südostasien in den Krieg ziehen wollten. Nachdem er in beiden Kriegen, dem Zweiten Weltkrieg und in Korea gedient hatte, wusste er, dass es da einen großen Unterschied gab. Der erste musste ausgefochten werden – letzterer war hauptsächlich eine Entschuldigung dafür, gute Menschen ohne vernünftigen Grund umbringen zu lassen. Vietnam schien nicht viel anders zu sein als Korea. Aber Samuel konnte den Beatles nicht guten Gewissens zustimmen, wenn sie sangen: „Give peace a chance.“