Wenn man das tat, hatte man schon verloren.
Der Feind war nicht der Vietcong und nicht die Chinesen, Sowjets oder Nordkoreaner, verdammt, es waren nicht einmal die Nazis. Der wahre Feind lauerte größtenteils unsichtbar und unerkannt und war viel schlimmer.
Der einzige Weg, den wahren Feind aufzuhalten, war zu kämpfen. Die einzige Alternative war verlieren und sterben. Und Samuel hatte nicht die Absicht, in nächster Zeit zu sterben.
Trotzdem, er konnte den meisten ihre Einstellung zum Krieg nicht übel nehmen, dachte er, als er die Guerrero runter- und auf das Apartment-Gebäude zuging. Wenn man nicht wusste – tatsächlich wusste –, wie die Welt wirklich war, konnte man glauben, dass es vorzuziehen wäre, dem Frieden eine Chance zu geben. Anstelle des Todes in einem weit entfernten Dschungel, der niemandem etwas bedeutete.
Sie hatten trotzdem einen Besuch beim Friseur nötig.
Als er den dritten Stock des Apartment-Gebäudes erreichte, sah er, dass das Tatort-Absperrband immer noch an einer Seite des Türrahmens befestigt war und auf den Boden hing. Es bewegte sich in einer kaum wahrnehmbaren Brise. Wenn man sah, dass der Flur nicht gewischt und die Fenster nicht geputzt worden waren, seit der Zeit, bevor die Japaner Pearl Harbour bombardiert hatten, konnte einen dieser Mangel an Sorgfalt nicht mehr überraschen.
Er wollte gerade an die Tür klopfen, die mit Peace-Stickern und anderen Aufklebern verziert war, als sie sich öffnete und dahinter ein sehr wütendes Gesicht erschien. Eine riesige Nase wurde von winzigen Augen und einem schmalen Mund eingerahmt, der etwas von dem breiten Schnurrbart des Mannes aufgepeppt wurde. Unglücklicherweise war er feuerrot, während seine Haare und Koteletten – die dringend gestutzt werden mussten – dunkelbraun waren. Der Kontrast sah komisch aus und einzig Samuels Erfahrung mit Verkleidungen bestätigte ihm, dass diese Gesichtsbehaarung echt war.
„Was willst du, Mann?“
Samuel erinnerte sich an etwas aus Verlanders Akte und Bartows Bericht und setzte seine beeindruckende Stimme ein.
„Sind Sie Frederick Gorzyk?“
„Wer will das wissen?“
Während Samuel den gefälschten Ausweis hochhielt, sagte er autoritär: „Ich bin Special Agent Jones.“ Eines, was er sehr schnell gelernt hatte, war, dass das FBI sich niemals einfach als „Agent Soundso“ vorstellte. Und sie nannten sich auch nie „FBI-Agenten“. Das war ein kleines Detail, aber es konnte eine Tarnung vervollständigen oder platzen lassen.
Gorzyk blinzelte, etwas von seinem Ärger verflog.
„Okay.“
Samuel fuhr fort.
„Wenn Sie Frederick Gorzyk sind, habe ich einige Fragen an Sie wegen des Todes von Michael Verlander.“
„Und wenn ich es nicht bin?“
Samuel musste leicht grinsen.
„Dann muss ich Sie wegen unbefugten Betretens verhaften.“
Gorzyk entfuhr ein Geräusch, das an ein explodierendes Rohr erinnerte.
„Das ist kein unerlaubtes Betreten, Mann, ich bin Freddie Gorzyk.“ Samuel fiel auf, dass er das „Gore-tschik“ und nicht „Gore-zik“ aussprach.
„Bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihren Namen falsch ausgesprochen habe, Mr. Gorzyk“, sagte er und deutete in die Wohnung. „Darf ich hereinkommen?“
„Klar, sicher.“ Gorzyk, der die ganze Zeit die Tür versperrt hatte, öffnete sie weit, drehte sich um und führte ihn in das kleine Wohnzimmer.
Zur Linken war eine Wand, in die unzählige Metallklammern geschraubt waren, die hölzerne Bücherregale stützten. Die meisten waren mit Büchern vollgestopft, aber auf einem stand ein Plattenspieler, unter dem Lautsprecher auf der Erde standen.
Zur Rechten stand eine Couch und mehrere fleckige Poster an der Wand priesen Konzerte, Festivals und Ausstellungen an. Samuel erkannte mehrere Bands von den Platten, die Mary sich zum Geburtstag oder zu Weihnachten gewünscht hatte.
Der Teppich war billig, schmutzig und ausgeblichen, aber er konnte genau erkennen, dass er kürzlich gesaugt worden war. Außerdem war ein rechteckiges Stück direkt vor der zerschlissenen Ledercouch herausgeschnitten worden. Samuel erinnerte sich, dass in Verlanders Akte erwähnt wurde, dass ein Couchtisch verbrannt war. Die Asche und den Teppich hatte man zur Analyse ins Labor gebracht. Das erklärte das Loch.
Nachdem er sich stumm das Wohnzimmer angesehen hatte, wandte Samuel sich an Gorzyk.
„Ich muss wissen, was Verlander in Ihrem Apartment wollte.“
„Durcheinander gebracht hat er alles! Schauen Sie, ich bin im August nach Osten, nach Woodstock gefahren, okay, Mann?“ Als Samuel nicht antwortete, fuhr er fort. „Als ich dort angekommen war, ist mir klar geworden, dass New York City der Ort ist, an dem es abgeht! Also bin ich dort geblieben. Ich hatte Moondoggy – das ist Mr. Verlander, okay? – gebeten, auf meine Wohnung aufzupassen, während ich auf dem Festival war. Also habe ich ihn angerufen und gesagt, er soll weiter aufpassen, während ich meinen großen Durchbruch versuche, okay?“
„Durchbruch?“
„Sie wissen schon, Gigs kriegen und so. Für meine Musik, Mann.“
„Und was ist passiert?“
Gorzyk begann, wild zu gestikulieren.
„Er hat meine Katze weglaufen lassen, Mann! Hat meine Sachen kaputt gemacht, hat sogar meine LPs zerkratzt! Hat praktisch das Apartment niedergebrannt. Dann hat er sich noch umbringen lassen, sodass ich nicht mal Schadensersatz bekommen kann oder so.“
„Es tut mir leid, dass sie Probleme haben, Mr. Gorzyk“, sagte Samuel mit so viel Ernst, wie er nur aufbringen konnte – was allerdings nicht viel war –, dann fügte er hinzu: „Aber ich brauche Details. Wissen Sie, wen er möglicherweise empfangen hat, als er hier war?“
„Jeden, der ihm Gras besorgen konnte, den hat er empfangen.“ Gorzyk schluckte und sagte hastig. „Äh, nicht, dass ich was darüber weiß, Mann. Ist nicht mein Ding.“
Ein Blick auf die Küchenzeile zeigte eine Menge leerer Chipstüten und Samuel grinste in sich hinein.
„Ich untersuche einen Mord, mein Junge – es könnte mich nicht weniger interessieren, was Sie oder Mr. Verlander rauchen.“
„Ja, okay.“ Gorzyk hörte sich nicht so an, als würde er ihm glauben. Dann hellte sich seine Miene auf. „Oh, hey, Mann, wissen Sie, mit wem Sie reden sollten? Mrs. Holzaur. Sie wohnt nebenan in 3C und sieht immer alles. Ich habe sie gebeten, ein Auge auf Moondoggy zu haben, okay? Sie hat vielleicht was gesehen. Ich weiß nicht, ob die Bu– äh, Cops mit ihr gesprochen haben oder nicht.“
Erneut lächelte Samuel in sich hinein, aber er entschied, nichts zu der überspielten Bezeichnung zu sagen.
Stattdessen kauerte er sich neben das ausgeschnittene Teil auf den Teppich, wo er einige gelbe Kristalle bemerkt hatte.
Schwefel.
Nicht, dass Samuel zu diesem Zeitpunkt noch Zweifel gehabt hätte, aber Schwefelspuren bestätigten eindeutig, dass das hier etwas war, worum er und seine Familie sich kümmern mussten. Und zwar schnell.
Das kann ein Drache gewesen sein oder nicht, aber definitiv hatte es was mit einem Dämon zu tun.
Er stand auf und machte Anstalten zu gehen.
„Danke für Ihre Kooperation, Mr. Gorzyk“, sagte er. „Sie waren eine große Hilfe.“
„Sicher, Mann. Hoffe nur, dass Sie den Kerl kriegen. Moondoggy war ein Idiot, aber das hat er nicht verdient.“
Samuel trat hinaus in den Hausflur, ließ die Tür ins Schloss klicken und klopfte bei Apartment 3C an. Anders als die Tür zu Gorzyks Wohnung, 3B, war Mrs. Holzaurs Tür bis auf die polierte Messingnummer und den Buchstaben leer. Eine kleine, faltige Frau in einem ausgeblichenen Hauskleid öffnete ihm. Zwischen ihren Lippen klemmte eine angezündete Zigarette.