Выбрать главу

Das war aber nicht das Interessanteste an der Waffe: Es waren die Runen in asiatischen Schriftzeichen, die in die Klinge eingraviert waren. Dean fiel es schwer, Chinesisch und Japanisch zu unterscheiden.

„Als euer Vater vor zwanzig Jahren gegen Doragon Kokoro gekämpft hat“, begann Bobby, „hat er hiermit den Geist zurückgeschickt. Wir hatten gehofft, dass es für immer sein würde, aber vermutlich haben wir einfach nur das Gleiche erreicht wie eure Großeltern und sind ihn für zwei Jahrzehnte losgeworden.“

„Darum habt ihr das alte Ding behalten.“

Dean schnaubte erneut. Bobby brauchte keinen Grund, um etwas zu behalten – er war ein zwanghafter Sammler. Und wie sie immer wieder bei ihrem Job feststellen mussten, war es Blödsinn, etwas wegzuwerfen, das vielleicht in der Zukunft nützlich sein könnte.

Sam blickte Dean an.

„Es ist Jahre her, seit ich diesen Teil in Dads Tagebuch gelesen habe. Was steht drin?“

Dean sah auf das in Leder gebundene Notizbuch herunter.

„Tatsächlich ’ne ganze Menge.“

1989

Elf

John Winchester fuhr auf den Hof. Er hatte noch immer den Geruch von Weihrauch in der Nase. Es war ein schwieriger Kampf gewesen, aber seine Zauberformel hatte den Poltergeist endgültig vertrieben.

Ein Teil von ihm wäre gerne in Henderson geblieben, um eine gute Mütze Schlaf zu bekommen, aber er war jetzt schon viel zu lange von den Jungs getrennt. Er hatte sie in einer Schule in South Dakota eingeschrieben und den Singer-Schrottplatz als Adresse angegeben. Das Herbstsemester war fast vorüber. Wenn es erst einmal vorbei war, würde er Bobby Singers Gastfreundschaft nicht mehr länger strapazieren.

John fühlte sich nicht wohl dabei, sie so lange in Anspruch zu nehmen, aber er wusste auch, dass er den Jungs so viel Kontinuität bei ihren Schulbesuchen bieten musste wie möglich – besonders wegen des sechsjährigen Sammy.

Er würde sehen, wo ihn die Arbeit von hier aus hinführte.

Es gab auch einen anderen Grund, warum er sie gerne sehen wollte. Der Poltergeist hatte zwei junge Mädchen aufs Korn genommen und das hatte bei ihm einen Nerv getroffen. John wusste, dass seine Söhne in der Lage sein mussten, sich gegen alles zu verteidigen, was da draußen lauerte. Er hatte bereits mit Dean, Sammys zehnjährigem Bruder, angefangen. Dean war ein ausgezeichneter Schütze an Johns M1911 und konnte das Gewehr in einer flüssigen Bewegung mit Eisenkugeln laden und abfeuern.

Irgendwann müsste er das Sammy auch beibringen.

Aber noch nicht jetzt.

Er war die ganze Nacht gefahren und aus dem Motor des Impala drang ein merkwürdig klapperndes Geräusch. Er würde sich Bobbys Werkzeuge ausleihen müssen, wenn er erst mal eine Nacht – oder eher einen Tag – geschlafen hatte.

Als er auf den Hof einbog, ging im Osten die Sonne auf. Sie schien auf die Ansammlung von Autos, Lastwagen und Schrottkarren, die um Bobbys Haus herumstanden. Er kniff die Augen zusammen, als er aus dem Impala stieg, und ging steif auf die Veranda zu.

Sam kam rausgerannt, bevor er überhaupt die Tür erreicht hatte.

„Dad!“, rief der Junge und schlang seine Arme um Johns Beine.

John lächelte hilflos. „Hallo, Sammy!“

„Ich freue mich so, dass du zu Hause bist!“, sagte der Junge und spähte böse zu seinem Vater hoch. „Dean war gemein.“

Als er aufsah, standen Bobby und Dean in der Tür. Der erste sah aus wie immer: Flanellhemd, Baseballmütze und Jeans, dazu eine brummbärige Miene. Letzterer schmollte.

„Ich bin nicht gemein gewesen“, protestierte Dean, „Ich habe einfach nur den letzten Donut gegessen. Ist doch keine große Sache!“

„Aber Bobby hat gesagt, dass ich ihn haben darf!“, jammerte Sam, der immer noch die Beine seines Vaters umklammerte.

„Ich sagte, jeder von euch beiden darf zwei essen“, sagte Bobby mit leidender Stimme. Er hatte John mehrfach gesagt, dass es ihm nichts ausmachte, auf Sam und Dean aufzupassen, weil er keine eigenen Kinder hatte. Momentan wirkte er allerdings eher so, als hätte er es zu schätzen gelernt, keine Nachkommen zu haben.

John wollte auf das Haus zugehen, aber weil Sam immer noch an einem seiner Beine hing, war es mehr ein unbeholfenes Humpeln. Bevor er fünf Fuß weit gekommen war, brachen beide in lautes Gekicher aus, weil es so komisch war. Nach einer Sekunde fingen auch Bobby und Dean an zu lachen und nach ein paar Minuten saßen alle gut gelaunt an Bobbys Küchentisch.

Dean und Sam erzählten alles über die Abenteuer, die sie in seiner Abwesenheit erlebt hatten. An den Wochenenden hatten sie zwischen den Autos Verstecken gespielt – das war ein Paradies für die Jungs. Während der Woche gingen sie zur Schule, aber anscheinend wollte nur Sam darüber reden. Andererseits war er auch erst in der ersten Klasse und hatte viel weniger Stunden als Dean.

„Miss Roach hat gesagt, dass ich Aufgaben aus der dritten Klasse lösen kann“, sagte er stolz.

John war überrascht.

„Das ist, weil du ein Klugscheißer bist“, sagte Dean.

„Nein, das bedeutet, dass er klug ist, Dean“, sagte John. „Und das ist etwas Gutes. Ich bin stolz auf dich, Sammy.“

Sam streckte seinem Bruder die Zunge raus.

„Dean macht auch Aufgaben aus der dritten Klasse!“

„Du kannst mich mal, Sammy!“, sagte Dean, der bereits in der fünften Klasse war.

John ahmte die Stimme seines Drill Sergeants in der Armee nach.

„Hey! Hört auf damit!“, sagte er streng. „Wenn das so weitergeht, wird euch nicht gefallen, was passiert.“

Beide Jungs verstummten abrupt und sahen beschämt nach unten.

„Entschuldigung, Sir“, sagte Dean.

„Entschuldigung, Dad“, sagte Sam.

„Das klingt schon besser.“

Nach einer Weile gingen die Jungs zum Spielen raus und John folgte Bobby ins Wohnzimmer. Sie saßen beide mit einer Flasche Budweiser auf der Couch und John berichtete Bobby von dem Poltergeist.

„Hört sich an, als hättest du alles gut hingekriegt“, sagte Bobby.

John schmunzelte über Bobbys Hang zur Untertreibung.

„Ja. Der Motor des Impala macht übrigens wieder Zicken. Ich muss mich erst mal von der Fahrt erholen, aber ich will ihn später noch aufbocken.“

„Kein Problem.“ Bobby war schon ein paar Jahre länger ein Mitglied der Gemeinschaft der Jäger und hatte inzwischen den Ruf, dass er jedes Auto reparieren konnte. Aber John war selbst ein guter Mechaniker und kannte den Impala-Motor besser als jeder andere.

John rieb sich die Augen, um besser sehen zu können, aber es verstärkte nur seine Müdigkeit. Das Adrenalin nach der Jagd hatte ihn auf der Straße angetrieben, aber jetzt, da er wieder bei seinen Jungs war, senkte sich die Müdigkeit auf ihn herab wie eine warme Flanelldecke.

„Gibt’s was Neues?“, fragte er.

Bobby hatte seine Finger näher am Puls der Jäger als jeder andere außerhalb von Harvelle’s Roadhouse. John wollte wissen, ob er irgendeine Information bekommen hatte, die ihn zu Marys Mörder führen könnte.

„Eigentlich ja.“ Das hielt John wach. Bobby stand auf und kramte in den Papieren, die auf seinem Schreibtisch vor dem Kamin verstreut lagen. „Doragon Kokoro ist wieder aufgetaucht.“

Der Name sagte ihm nichts.

„Wer ist das?“

„’n richtig fieser Geist. Vor zwanzig Jahren ist er in San Francisco aufgetaucht und hat Leute umgebracht. Jetzt ist er zurück und ich habe das Einzige, das ihn aufhalten kann.“

John begann unwillkürlich die Meilen im Kopf zu berechnen.