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„San Francisco ist weit – insbesondere, wenn der Impala-Motor spinnt. Aber ich kann wahrscheinlich da rausfahren.“

Bobby hob die Hand.

„Ganz ruhig, John. Du hast selbst gesagt, dass du fertig bist. Und du hast seit einem Hundejahr keine Zeit mehr mit deinen Kindern verbracht.“

John stimmte ihm zu, aber die bloße Erwähnung einer neuen Jagd, eines weiteren Mörders, einer weiteren Möglichkeit vielleicht – vielleicht – herauszufinden, wer Mary auf dem Gewissen hatte … ließ die Müdigkeit von ihm abfallen wie Herbstlaub im November.

„Hast du jemand anderen dafür?“

Bobby zögerte und das sagte John alles, was er wissen musste.

„Du hast gesagt, dass dort Leute sterben, Bobby. Das ist alles, was zählt.“

Und Rache, aber das brauchte er nicht zu erwähnen.

„Was muss ich tun?“

Bobby griff hinter seinen Schreibtisch und hob ein Schwert vom Boden auf. John war erstaunt, dass es nicht in einer Scheide steckte. Dann sah er, dass es ein Hakenschwert von der asiatischen Sorte war. Diese Dinger passten nicht gut in eine Scheide …

Er sah ebenfalls, dass Kanji-Zeichen in die Klinge eingraviert waren.

„Magisches Schwert?“

Bobby schüttelte den Kopf.

„Nee, nur ’ne schicke Aufschrift. Die Zeichen heißen nur ‚Durchbohre das Herz des Drachen‘.“

„Woher weißt du das?“

Als Antwort ließ Bobby mehrere Phrasen ab, die wie Japanisch klangen.

„Oh“, sagte John lahm. Er hätte eigentlich wissen müssen, dass es nichts gab, was Bobby nicht wusste. „Du hast mir bestimmt gesagt, ich soll abhauen und verrecken“, fügte er hinzu.

„So was Ähnliches“, antwortete Bobby grinsend. „Und das ist auch schon alles – stoß das hier durch das Herz des Drachen, Ende – vorerst zumindest.“ Dann bröckelte sein Grinsen. Während du weg bist, mache ich mich an die Maschine des Impala. Das Baby wird so gut wie neu sein.“

„Wie soll ich denn da hinkommen?“ Er zeigte auf das Schwert.

„Nimm ein Flugzeug“, sagte Bobby. „Ich schicke das Schwert per Post. Es wird dann in San Francisco auf dich warten.“

„Okay, das könnte gehen.“ Daran hatte John gar nicht gedacht. Aber andererseits hatte Bobby auch eine legale Einkommensquelle. Einfach ein Flugticket kaufen und Sachen nach San Francisco schicken, die man nicht durch die Sicherheitskontrollen am Flughafen bekam, lag außerhalb von Johns Budget. Er hatte schon Schwierigkeiten, den Impala zu halten, besonders, wenn das Benzin mehr als einen Dollar pro Gallone kostete.

Bobby erklärte, dass Doragon Kokoro der Geist eines Ronin war, den ein halb chinesischer, halb japanischer Mann namens Albert Chao erweckt hatte.

Ein Jäger hatte die magischen Worte gesprochen. Nach dem, was Bobby gehört hatte, hieß er Jack Bartow. Er hatte den Geist für zwanzig Jahre gebannt und das lag jetzt genau zwei Dekaden zurück.

„Was ist mit dem Jäger passiert?“

„Bartow? Er ist später ums Leben gekommen, als er ein altes Ehepaar vor einem Geist retten wollte. Ich habe ihn getroffen, gleich nachdem ich in dieses Geschäft eingestiegen bin, und er hat mir eine Menge Zeug hinterlassen – inklusive dem hier.“

Dabei wog er das Schwert in seiner Hand.

„Wo hat er es gefunden?“, fragte John.

„Hat es von einem Kerl aus Berkeley, aus der Abteilung für Orientalistik. Der Typ hat Bartow schon mal vor zwanzig Jahren geholfen, zusammen mit ein paar anderen Jägern. Dann ist ihm das hier in die Hände gefallen und er dachte, Bartow würde wissen, was er damit zu tun hätte, wenn Doragon Kokoro zurückkäme. Jetzt haben wir ein paar Tote in Chinatown, kross gebraten und in Scheibchen geschnitten.“

„Chinatown?“ Ich dachte, das wäre ein japanischer Geist.“

„Wie ich schon sagte – Chao ist ein Halbblut. Viel mehr weiß ich auch nicht.“ Dann sah er seinen Freund bedeutungsvoll an. „Bist du sicher, dass du das machen willst? Ich kann wahrscheinlich auch zu Harvelle’s gehen und jemanden finden, der sich darum kümmert. Ein paar Tage werden schon nicht so viel ausmachen.“

John antwortete zuerst nicht. Stattdessen sah er zu Dean und Sam, die im Esszimmer Fangen spielten.

Weihnachten stand vor der Tür und er wollte die Feiertage mit den Jungs verbringen …

Aber wenn das hier alles war, was er brauchte, um das Herz des Drachen zu durchbohren, dann ging es höchstens um ein paar Tage. Er wäre rechtzeitig wieder da und hätte noch jede Menge Zeit.

„Kross gebraten, sagst du?“

Dann kam ihm ein Bild zurück ins Gedächtnis.

Seine Frau Mary klebte an der Decke, Blut strömte aus ihrem Bauch und ein Feuer umgab sie, das sie gleichzeitig verzehrte.

Er hatte sein Leben der Jagd nach ihrem Mörder gewidmet. Sicher, er hatte auch andere Gründe zum Jagen. Menschen starben durch die Hand von Monstern. Die meisten Menschen weigerten sich zu glauben, dass so etwas überhaupt existierte.

Mit achtzehn war John Winchester vom U.S. Marine Corps eingezogen worden. Er war gern gegangen, weil er an das glaubte, was seine Vorgesetzten ihn lehrten: Dass er als Marine Leben retten konnte. Ein Jahr in Vietnam hatte ihn davon kuriert, aber das Bedürfnis war immer noch da.

Trotzdem war Leben zu retten nur ein schöner Nebeneffekt. Als er aus Vietnam zurückgekommen war, hatte er nur einen einzigen Gedanken im Kopf: Ich möchte den Rest meines Lebens mit Mary Campbell verbringen. Und das tat er auch jahrelang, bis dieses Ding – Dämon, Monster, was immer es war – sie ihm weggenommen hatte.

Nein, der wahre Grund für sein Leben als Jäger – für das, was ihn Tag und Nacht antrieb – war herauszufinden, was seine Frau umgebracht hatte, und es ein für alle Mal zu erledigen.

Vielleicht würde das Herz des Drachen einen weiteren Hinweis liefern, wo er das Monster finden konnte. Dann würde er endlich die Rache nehmen können, nach der sein Herz schon seit sechs Jahren dürstete.

John wandte sich mit frisch gefasster Entschlossenheit zu Bobby um.

„Also, wann geht mein Flug?“

Zwölf

Tommy Shin hasste es, sich mit dem Alten herumzuschlagen.

Unglücklicherweise hatte er keine Wahl. Der Alte erwartete immer noch Respekt von den Leuten, mit denen er Geschäfte machte. Es gab einfach keine andere Möglichkeit, um seinen Crack-Kokain-Lieferanten ohne die Hilfe des Alten bei der Stange zu halten. Und es gab keinen in Chinatown, der dem Alten keinen Gefallen schuldete.

Also fand sich Tommy damit ab – er hatte einfach keine Wahl.

Eines Tages, sagte er sich, würde er endlich den Respekt errungen haben, den er verdiente und könnte den Alten in Rente schicken. Fürs Erste aber brauchte er ihn.

Besonders, wenn gerade nichts anderes los war.

Tommy rief den Alten in sein Büro, das über Shin’s Delight Restaurant an der Pacific Avenue in der Nachbarschaft von Chinatown lag. Wie üblich grinste er ihn spöttisch an, als er eintrat. Als das noch das Büro des Alten gewesen war, war es mit Gemälden und Artefakten aus China dekoriert gewesen.

Aber Tommy hatte das nicht gefallen. Also hängte er, als es sein Büro wurde, stattdessen Poster auf – von Filmen wie Batman und Lethal Weapon II oder von Bands wie REM und Public Enemy. Er hatte sogar die Wände gestrichen.

Touristen erwarteten, dass ein chinesisches Restaurant rote Wände mit einer goldenen Borte hatte. Er wollte sie nicht verstören, zumindest so lange sie das Geld brachten. Aber Tommy hatte darauf bestanden, dass sein Büro schwarz gestrichen wurde. Er hatte in einer Zeitschrift gelesen, dass dunkle Wände die Leute nervös machten, und Tommy mochte es, wenn man in seiner Gegenwart nervös wurde.