Rockerbanden, zu denen chinesische Amerikaner gehörten, waren auch nicht gerade die Norm.
Er sah auch im Sportteil von Ende Oktober nach. Die A’s hatten die Series nach vier Spielen gewonnen.
Go Team.
Als er zurück ins Hotel kam, rief er John Lucas Jackson an, einen seiner Freunde bei den Marines, der nach seiner Dienstzeit angefangen hatte, für die Veteranenorganisation VA zu arbeiten. Er hinterließ eine Nachricht, weil er wissen wollte, ob es Marines-Veteranen gab, die Jack Hsu, Michael Li oder Johnny Lao hießen.
Während er auf den Rückruf wartete, ging John in den Kraftraum des Hotels. Dort lagen eine bemitleidenswerte Ansammlung weniger Hanteln und es gab einen Stairmaster. Aber das würde genügen.
Einer der großen Vampirjäger, Daniel Elkins, war eine unschätzbare Informationsquelle in Bezug auf das Übernatürliche. Er hatte John gedrängt, es ihm nachzutun und ein Tagebuch zu führen. Wenn er also umkam, sollte es Dean und Sammy als Wegweiser dienen, damit sie seine Arbeit fortsetzen konnten.
Es war erstaunlich, wie wenig John über seine Vorgänger als Jäger wusste. Bobby hatte ihn in seinem Drang bestärkt, indem er ihm erzählte, wie er Jäger geworden war. Genau wie John, hatte Bobby seine Frau verloren. Und genau wie John, hatte Bobby keine Ahnung, was es war, das sie ihm entrissen hatte.
Aber wo Johns Instinkt ihm befahl zu kämpfen – ohne Zweifel rührte das von seiner Ausbildung als Marine her –, war es für Bobby ein Anstoß zu lernen. Er hatte geschworen, dass er niemanden mehr durch bloße Unwissenheit verlieren würde.
John hatte sich die Lektionen beider Männer zu Herzen genommen.
Er hatte allerdings ebenfalls seine Lektion bei den Marines gelernt. Das schloss die Idee ein, dass Nichtstun zu nichts nütze war. Sergeant Lorenzo hatte immer gesagt: „Du bist nur so stark, wie der Letzte, der dir in den Arsch getreten hat.“
Also trainierte er an den Gewichten und wartete, dass Lucas zurückrief.
Als er in sein Zimmer zurückkam – verschwitzt und mit schmerzenden Muskeln –, blinkte die Nachrichtenleuchte am Telefon. Er nahm den Hörer ab und wählte die Null.
„Rezeption.“
„Hier ist Zimmer 220. Sie haben eine Nachricht für mich?“
„Äh, ja, Sir.“ John hörte sie mit Papieren rascheln. „Sie ist von Lucas Jackson. Die Nachricht lautet ‚Keine Kamera‘.“
John lächelte.
Damals im Ausland war Lucas nie müde geworden, blöde Witze aus „Versteckte Kamera“ zu erzählen, und zwar hauptsächlich den neuen Rekruten. Das bewies, dass wirklich Lucas den Anruf erwidert hatte und dass er nichts über die drei Männer gefunden hatte.
Das war keine Überraschung. Trotzdem musste er auf Nummer sicher gehen.
Sie waren also Gangster.
Er zog das T-Shirt und die Shorts aus, die er beim Training getragen hatte, und duschte kurz. Dann zog er wärmere Sachen über, denn er musste raus und es war Dezember in San Francisco.
Es ist Zeit für ein leckeres Abendessen im Shin’s Delight, dachte er.
Vierzehn
Der zweitbeste Tag in Albert Chaos Leben war, als Tommy Shin die Geschäfte der Triaden in Chinatown übernommen hatte.
Der beste Tag war selbstverständlich der gewesen, als Moondoggy Verlander ihm den fehlenden Teil des Zauberspruchs gebracht hatte. Damit konnte er das Herz des Drachen erwecken. Nichts davor – und auch nichts mehr danach – war vergleichbar mit der puren Herrlichkeit solcher Macht.
Er musste diese Macht zurückgewinnen.
Der Geist hatte zwar weiterhin seine Wunden geheilt, aber ohne die Anwesenheit des Geistes selbst blieb ihm seine mächtigste Waffe ärgerlicherweise unerreichbar. Bis der Zauber, der den Geist verbannt hatte, verflog, blieb ihm die wahre Macht verwehrt.
Er konnte nicht verletzt oder getötet werden, obwohl er aus irgendeinem Grund weiter alterte. Der Zauber half ihm, jede Wunde zu heilen – aber je schwerer die Verletzung war, desto länger dauerte die Rekonvaleszenz.
Unverwundbarkeit war nicht das Gleiche wie die Fähigkeit, jemanden zu verletzen. Als er das erst einmal verstanden hatte, machte sich Albert die Kung-Fu-Welle in den frühen Siebzigern zunutze. Dojos waren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Sie füllten sich schnell mit Schülern, die der nächste Bruce Lee werden wollten. Seine beschleunigte Wundheilung verschaffte Albert einen entscheidenden Vorteil und er hatte schnell die Fähigkeiten erlernt, auf die es ihm ankam.
Als Albert fand, dass er sie ausreichend verfeinert hatte, bot er seine Dienste den Triaden an. Zuerst wurde er abgelehnt, aber er gab nicht auf und fand eine Untergruppe, die ihn aufnahm.
Weil er in Chinatown aufgewachsen war, hatte er immer gewusst, wie viel Macht die Triaden auf die Gemeinschaft ausübten. Also hatte er die nächsten zwanzig Jahre seines Lebens dem Aufstieg in der Hierarchie der Triaden gewidmet.
Unglücklicherweise verbrachte er die meiste Zeit auf dem untersten Rang. Sein Status als Halbblut war ihm – wie gewöhnlich – ein frustrierendes Hindernis.
Irgendwann durfte er dann als Vollstrecker auf der untersten Ebene arbeiten. Er fungierte als Bodyguard für Prostituierte, war Türsteher vor den Klubs oder kümmerte sich gelegentlich um Leute, die ihr Schutzgeld schuldig blieben oder ihr Darlehen nicht zurückzahlten.
Allerdings durfte er niemals seine Meinung äußern. Meistens durfte er nicht einmal den Mund öffnen.
Das hatte sich geändert, seit Tommy Shin ans Ruder gekommen war.
* * *
Niemand wusste, warum der Alte sich zur Ruhe setzen wollte. Die Ankündigung kam aus heiterem Himmel und er schien selbst zutiefst unglücklich darüber zu sein. Es gab Gerüchte, dass der Alte etwas getan hatte, was das Missfallen der Oberen in China erregt hatte. Dass sie klargestellt hatten, dass jetzt junges Blut nachrücken musste.
Tommy betrachtete sich als Amerikaner, der zufällig in Chinatown wohnte, und nicht als Chinesen, der zufällig in Amerika lebte. Und er tat, was niemand aus den Triaden sonst getan hätte: Er sprach mit Albert.
„Das hier ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten“, hatte Tommy damals gesagt. Albert war sich ziemlich sicher, dass es Tommy verdammt egal war, mit wem er sprach – er liebte nur den Klang seiner eigenen Stimme. Aber das machte nichts. Was allerdings etwas ausmachte, war, dass es Albert war, der dort stand.
Der Fernseher war eingeschaltet und eine Nachrichtensendung lief. Leute in Ostdeutschland kletterten über die Berliner Mauer. Die Grenzsoldaten, die sie vor wenigen Monaten noch alle erschossen hätten, unternahmen nichts dagegen.
„Wir können uns nicht erlauben, uns von den alten Geschäftstraditionen fesseln zu lassen“, fuhr Tommy fort. „Schau dir das an – der Eiserne Vorhang ist gefallen. Wer von uns hätte je geglaubt, dass wir das erleben würden? Also, ja, Albert, ich will hören, was du zu sagen hast. Weil die Tatsache, dass deine Mutter Japanerin war, nicht ausreicht, um dir nicht zuzuhören.“
Das war alles, was er hören musste.
Jetzt, einen Monat später, war Albert ein paar Ränge aufgestiegen. Tommy hörte auf ihn und – widerwillig – taten das auch die anderen, weil der Boss es so machte.
Das war gut, aber es war nur ein Teil seines Plans.
Teil zwei startete beim vorletzten Neumond des Jahres, dem 28. November. Das war der Tag, an dem der Zauber, den dieses blöde blonde Gaijin-Mädchen gesprochen hatte, enden würde. Albert konnte dann erneut über das Herz des Drachen befehlen.