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An der anderen Wand befanden sich drei geschlossene und eine offene Tür. Als er vorsichtig den Flur entlangging und dabei auf knarrende Dielen achtete, hörte er zwei Stimmen. Zu seiner Überraschung sprachen beide englisch.

Als er näher kam, konnte John die Worte verstehen.

„Ich verstehe“, sagte einer von beiden. „Aber wir müssen immer noch in Betracht ziehen …“

„Im Moment, Al, ziehe ich einzig und allein in Betracht, den zu töten, der hierfür verantwortlich ist. Ich habe drei gute Vertraute verloren und jemand muss dafür bezahlen.“

„Natürlich, Tommy. Ich verstehe, aber wir müssen auch zusehen, dass die Geschäfte wie üblich weiterlaufen.“

John hatte den Verdacht, dass es Al war, der den EMF zum Ausschlagen gebracht und ihm den bösen Blick zugeworfen hatte. Das passte zu dem Vornamen, den Bobby ihm genannt hatte.

Bevor er handeln konnte, hörte er einen spitzen Schrei aus Richtung des Treppenhauses, gefolgt von einem Dutzend weiterer Schreie aus dem Restaurant im Erdgeschoss.

Fünfzehn

Lin Sun liebte seinen Job.

Es war ein einfacher Job, bei dem man sich nicht so sehr anstrengen musste und der es ihm ermöglichte, mit vielen Leuten ins Gespräch zu kommen. Lin war stets jemand gewesen, den die Amerikaner als gesellig bezeichneten.

Als Junge war er mit seiner Familie nach San Francisco gekommen und hatte sofort angefangen, sich Freunde zu suchen. Anders als sein älterer Bruder und seine jüngere Schwester – die bestenfalls als reserviert durchgingen und schlimmstenfalls als chronisch schüchtern, genau wie Mutter, Vater und Großvater. Lin kam mit jedem gut aus.

Als er erwachsen war, wollte er einen Beruf ergreifen, bei dem er mit Menschen zu tun hatte. Vielleicht Bibliothekar oder etwas anderes, bei dem er sich für die Gemeinschaft einsetzen konnte.

Aber er merkte schnell, dass es keine Rolle spielte, was er sich erhoffte. Besonders, als er alt genug war, um zu verstehen, warum seine Eltern aus China weggegangen waren.

Die Triaden hatten Mutter und Vater einen Gefallen getan. Als Gegenleistung mussten sie nach San Francisco gehen und versprechen, dass alle drei Kinder einem Boss, der als ‚der Alte‘ bekannt war, dienen würden.

Das bedeutete für seine Schwester Lien, dass sie als Animierdame in einem Bordell arbeiten musste. Zur großen Erleichterung des Vaters musste sie sich nicht prostituieren, sondern lediglich Getränke servieren und sich hin und wieder von einem Gast einen ausgeben lassen.

Sein Bruder musste private Botengänge für den Alten erledigen.

Lin war froh, dass der alte Mann die Kinder tatsächlich kennengelernt hatte, bevor er ihnen eine Aufgabe in der Bande zuteilte. Schnell erkannte er, dass Lin eine Begabung dafür hatte, mit Leuten zu reden. Als er sechzehn Jahre alt wurde, kam er als Kellner in eines der Restaurants der Triaden und arbeitete sich schließlich zum Oberkellner hoch.

So war er den lieben langen Tag unter Menschen. Er begrüßte sie, brachte sie an ihren Tisch, versicherte sich, dass ihnen das Essen schmeckte und genoss es schlicht, andere Mitglieder der menschlichen Rasse zu treffen.

Jeden Tag dachte er, dass es viel schlimmer hätte kommen können. Sein Bruder Quan war im vergangenen Jahr aus einem fahrenden Auto heraus erschossen worden. Und auch wenn Lien nicht gezwungen wurde, mit ihren Kunden zu schlafen, führte sie ein trauriges Leben ohne Aussicht auf Besserung.

Lin hielt nicht sehr viel von Tommy Shin. Der Alte hatte die Dinge flüssig in Gang gehalten. Tommy dagegen änderte Dinge, nur um sie zu ändern – egal ob das gut war oder nicht. Es schien, als wäre seine einzige Sorge, alles anders zu machen als der Alte. Ob es richtig war oder nicht.

Noch schlimmer war, dass er solche Halbblüter wie diesen Albert Chao für sich arbeiten ließ und der sogar noch befördert wurde. Das war vielleicht für Amerikaner akzeptabel. Die hatten sowieso keine eigene Identität. Für echte Chinesen wie Lin und seine Familie kam das allerdings nicht infrage. Es wurde nicht unterstützt – und schon gar nicht, dass man Promenadenmischungen auf machtvolle Posten setzte.

Als Resultat hatte Lin sich nicht darum geschert, den Amerikaner mit den Stoppelbart, der mit aufgesetzten Kopfhörern zu Abend aß, ‚im Auge zu behalten‘. Er nahm an, dass der Mann sich anhörte, was die Amerikaner als Musik durchgehen ließen. Das war alles zu laut für seinen Geschmack. Er achtete gar nicht auf das, was um ihn herum geschah. Oder vielleicht war er einfach nur unhöflich. Lin hatte gelernt, genau das von Amerikanern zu erwarten, obwohl hier nicht so viele herkamen.

Shin’s Delight stand nicht in den Reiseführern, weil es eher Einheimische als Touristen bewirtete. Darum fanden nur wenige Amerikaner den Weg in diese Straße. Die Amerikaner, die sich die Mühe gemacht hatten, nach diesem Ort zu suchen, hatten gewöhnlich bessere Manieren.

Egal ob Chao wollte, dass Lin den Mann im Auge behielt, es war mit Sicherheit Zeitverschwendung.

Außerdem hatte er Wichtigeres im Kopf. Weil Shins engste Vertraute umgebracht worden waren, fürchtete er, dass Chao in den Rängen der Triaden noch höher aufsteigen würde. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Er konnte selbstverständlich nichts dagegen tun – Tommy würde nicht auf einen niederen Oberkellner hören.

Lin konnte sich nur still und heimlich darüber ärgern, während er an seinem Pult in der Nähe des Eingangs stand.

Plötzlich fing er an zu schwitzen. Das war noch etwas, das ihn an Tommy ärgerte. Er bestand darauf, dass die Heizung angemacht wurde, sobald die Temperaturen draußen nur geringfügig sanken. Dann genoss Lin seinen Standort am Pult, weil ab und zu eine kühle Brise hereinwehte, wenn jemand die Tür öffnete.

Aber selbst das war wärmer als Tommy es gernhatte. Lin wunderte sich, wo diese ungewöhnlichen Hitzewellen herkamen, drehte sich um …

… und stand dem grauenerregendsten Anblick gegenüber, den er je zu Gesicht bekommen hatte.

Ein Mann stand in einer Feuersäule, die hoch zur Decke aufragte, sich aber nicht ausbreitete. Der Mann war nur noch ein paar Fuß von ihm entfernt und bewegte sich auf ihn zu. Er erhob ein in Feuer getauchtes Schwert.

Lin konnte nicht schreien.

Konnte nicht atmen.

Konnte sich nicht bewegen.

Er war von dem Feuer, das den Mann umgab, vor Schreck wie hypnotisiert. Und von seinen furchtbaren Augen …

Das Hakenschwert in Bereitschaft lief John die Treppe zwei Stufen auf einmal nehmend hinunter und ins Restaurant. Er registrierte mehrere Dinge auf einen Blick.

Als Erstes sah er, dass die Gäste schrien, auf etwas zeigten, riefen und Tische und Stühle auf der Flucht umwarfen. Die Quelle ihrer Furcht versperrte ihnen den einzigen Ausgang.

Das zweite war, dass der Oberkellner vor Schreck wie erstarrt dastand, obwohl um ihn herum Panik ausbrach.

Das dritte war ein Samurai der von Flammen umgeben war und ein brennendes Katana schwang.

Das ist mal etwas Neues, dachte er. Der Samurai – der Johns Meinung nach nur das Herz des Drachen sein konnte – ging geradewegs auf den Oberkellner zu, der wie angewurzelt dastand.

John musste sich durch die in Panik flüchtenden Gäste schieben, um zum Eingang zu gelangen. Die Tische standen viel zu dicht beieinander und die Menschen traten buchstäblich aufeinander, um wegzukommen.

Als er vorne ankam, trat Doragon Kokoro bereits dem Oberkellner buchstäblich auf die Füße.

John stand hinter dem Wesen, sodass der Haken den Ronin traf, als wäre er ein Spazierstock, der einen schlechten Künstler von der Bühne eines Vaudeville-Theaters zieht. Er konnte aber keinen Halt finden.