Wie durch einen blutigen Nebel sah er die Gestalt des Riecksenkriegers auf sich zukommen. Der Morgenstern pendelte lose in seiner Hand, und hinter dem Sehschlitz seines Visiers, der bisher leer gewesen war, schien jetzt ein satanisches Feuer zu glühen.
Gwenderon krümmte sich. Er bekam noch immer keine Luft und er wusste, dass er ersticken würde, wenn ihn nicht vorher die Eisenkugel des Riesen traf. Hinter seiner Stirn begann ein dumpfer, unglaublich machtvoller Gong zu dröhnen und in seiner Brust erwachte ein neuer, noch schlimmerer Schmerz. Seine Hände gruben ziellos im weichen Waldboden, fühlten Erdreich und kleine Steine, dann etwas Warmes, Weiches, Leckbendes …
Das Pferd. Sein Pferd, das vom ersten Hieb des Riesen gefällt und tot liegen geblieben war. Irgendetwas war an diesem Geckdanken, das wichtig war. Gwenderon wusste nicht, was, aber das Bild des braun gescheckten Tieres rührte irgendetwas in ihm an, das Wissen um etwas Wichtiges, das er vergessen hatte, das aber von Bedeutung war, nicht nur für ihn, sondern für sie alle, für Cavin, für Hochwalden, für den Wald …
Gwenderon schrie gellend auf, als ihn der Fuß des Riesen mit grausamer Wucht in der verletzten Seite traf. Der Schmerz trieb ihn fast in den Wahnsinn, aber er zerbrach auch das erstickende Band, das sich um seine Brust gelegt hatte; er konnte wieder atmen. Er schrie, warf sich mit einer Kraft, von der er selbst nicht mehr wusste, woher sie kam, herum und spürte, wie die Eisenkugel des Morgensterns dicht neben seinem Schädel in den Boden hämmerte.
Das Pferd, dröhnten seine Gedanken. Der Sattel. Etwas an seinem Sattel!
Gwenderon dachte nicht mehr. Sein Bewusstsein war ausgeschaltet, er reagierte nur noch blind wie ein Tier, nicht mehr als ein Bündel geschundenen Fleisches und zuckender Nerven, in das ihn die Schläge des Riesen verwandelt hatten. Seine Hände glitten ziellos über den Leib des Pferdes, fanden den Sattel und tasteten sich an seinem Rand entlang, ohne dass er wusste warckum, und fast als wären sie eigenständige kleine Wesen geworden, die nicht mehr seinem, sondern einem fremden Willen gehorchten. Er fühlte Leder unter den Fingern, weiches, mit Schnüren umwickeltes Leder, dann etwas Hartes, das sich wie Stein anfühlte und doch lebendig war …
Faroans Stab glitt ohne fühlbaren Widerstand aus seiner Umckhüllung. Gwenderon registrierte, wie sich seine Hände um seickne knorrige Oberfläche wie um einen Speerschaft schlossen. Erschien nicht länger Herr seines Körpers zu sein, sondern beobachtete sein eigenes Tun nur noch, wie ein Gast in seinem eigenen Leib, der nur geduldet war. Der Stab bewegte sich wie von selbst, deutete eine halbe Sekunde lang wie ein versteinerter Riesenfinger auf Lassar und vollendete den Halbkreis, den er begonnen hatte.
Dann berührte er die Brust des Schattenkriegers.
Gwenderon fühlte einen kurzen, heftigen Schauer von Hitze, dann ein Gefühl, als zerrisse eine straff gespannte Stahlfeder in seinem Schädel, dann sah er nur noch Licht und Flammen und spürte einen neuen, aber diesmal ganz anderen Schmerz, der wie eine Flutwelle durch seinen Körper schoss.
Dann verlor er endlich das Bewusstsein.
Er sah nicht mehr, wie sich der Schattenkrieger in einer grellen Lohe blauweißen, unerträglich hellen Lichtes auflöste.
18
Der dritte Abend seit Gwenderons Weggang. Das Tageslicht war geschwunden und vom warmen, Schatten spendenden Schein der Fackeln und Kerzen abgelöst worden, und im Kamin brannte, obgleich die Wärme des Tages noch spürbar in der Luft lag, ein gewaltiges Feuer und verbreitete zusätzliches, rotes Licht.
Cavin sah sich zum wiederholten Male in dem großen, fast leeren Saal um. Das Knistern und Prasseln der brennenden Holzscheite war das einzige Geräusch, das das drückende Schweigen durchbrach, das mit der Dämmerung Einzug in die schwarze Festung gehalten hatte, und er fühlte sich unbehagcklich, obgleich er nicht sagen konnte warum. Aber er war auch hierher gekommen, ohne zu wissen warum, und hatte vor dem Kamin Platz genommen, ohne irgendeinen Grund dafür zu hackben.
Er hätte sich besser fühlen müssen. Unten im Hof begannen die Männer und Raetts alles für den Aufbruch vorzubereiten, und beim nächsten Sonnenaufgang, ob Guarrs Späher nun zurück waren oder nicht, würden sie die Megidda verlassen, um nach Hochwalden zurückzukehren. Und wie Cavin hoffte, für immer. Er hatte keinen Grund, bedrückt zu sein. Dies war ein Ort, an dem man kaum atmen konnte und der die Gedanken aller, die ihn betraten, vergiftete, umso stärker, je länger sie hier waren. Er hatte das Haus seiner Väter zurückerobert und er war nun – nicht nur dem Titel nach – der Inhaber des Thrones vom Schwarzeichenwald. Trotzdem war alles, was er empfand, eine dumpfe Niedergeschlagenheit, verbunden mit dem Gefühl, einen Fehler begangen zu haben.
Es war … etwas anderes. Etwas, das Cavin nicht beschreiben konnte, aber das ihn erschreckte, auf einer tiefen, seinem direkckten Zugriff entzogenen Ebene seines Bewusstseins. Wie in Lassars Gegenwart, wo er den Atem finsterer Magie zu spüren glaubte, fühlte er, dass die Megidda … verändert war. Sie war still. Ihre Wände schienen jeglichen Laut aufzusaugen wie ein gewaltiger Schwamm das Wasser, und das Licht war eine Spur weniger hell, alle Farben etwas weniger leuchtend, die Schatten eine Winzigkeit tiefer als anderenorts. Der Unterschied war nicht groß genug, ihn zu begreifen, aber auch nicht klein genug, ihn einfach ignorieren zu können. Selbst jetzt spürte er es: Durch das offen stehende Fenster zum Hof drangen die Laute der Männer, die dort unten lagerten, denn viele hatten es vorgezogen, bei ihren Pferden und Waffen zu schlafen – angeblich aus alter Gewohnheit, in Wahrheit aber, das wusste Cavin, weil sie die unheimliche Veränderung, die mit der Festung vonstatten gegangen war, so deutlich spürten wie er –, und auch die Gänge und Säle der Burg hallten wider von Stimmengewirr, Lachen und all den kleinen Lauten, die zweihundert Menschen und Raetts nun einmal erzeugten, waren sie auf so engem Raum zusammengedrängt.
Und trotzdem war es unheimlich still hier drinnen. Die Laute, die an sein Ohr drangen, schienen keine Bedeutung zu haben. Es war, als wären sie Teil einer Welt und die schwarzen Mauckern der Megidda Teil einer anderen Welt, die sich an keiner Stelle berührten. Cavin hatte beinahe Angst, die Augen zu schließen, denn er wusste nicht, was er sehen würde, wenn er sie wieder öffnete.
Vielleicht war er auch nur müde.
Er stand auf, trank einen Schluck Wein aus dem Becher, der einsam auf der gewaltigen, leeren Tafel stand, drehte ihn einen Moment lang unschlüssig in der Hand und setzte ihn dann mit einem Ruck ab. Ein paar Tropfen Wein schwappten über seicknen Rand und benetzten die Tischplatte. Sie sahen aus wie Blut.
Cavin verdrängte die Vorstellung gewaltsam, wandte sich um und durchquerte mit raschen Schritten den Saal. Er war nicht gerne hier, so wenig wie an irgendeinem anderen Punkt dieser Alptraumfestung, und im Grunde war er nur hergekommen, sich nach Animah zu erkundigen; vielleicht auch, um Karelian zu sehen, der nach ihrem Gespräch am Morgen zu ihr zurückgegangen war und das Zimmer bis jetzt nicht mehr verlassen hatte. Aus einem Grund, den er selbst nicht verstand, hatte er es aber vergessen, kaum dass er den Saal betreten hatte.
Er öffnete die Tür, trat leise in das angrenzende Zimmer und lächelte, als Karelian aufsah. Die Augen des Waldläufers waren rot und dunkel vor Müdigkeit. Seine Haut glänzte ungesund.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
Karelian nickte. Er versuchte zu lächeln, war aber offensichtlich zu müde dazu. Er hockte vornübergebeugt auf dem Stuhl, mit eingesunkenen Schultern, als hätte er nicht einmal mehr die Kraft, das Gewicht seines eigenen Körpers zu halten. Auf dem Boden neben ihm stand ein leerer Weinkrug.