Cavin nickte, ohne den Blick von dem entsetzlichen Schauckspiel zu nehmen. Guarr sprach nur aus, was er schon die ganze Zeit über gedacht hatte: Wenn Lassars Krieger den Brand jeckmals unter Kontrolle gehabt hatten, so hatten sie sie jetzt verloren. Das Feuer wütete mit ungeheuerlicher Kraft, sprang hierckhin und dorthin und schickte Armeen kleiner glühender Funken in alle Richtungen, um sich zu verbreiten. Längst brannte nicht mehr nur der südliche Rand der Lichtung, sondern der ganze Wald, überall, wohin er auch blickte, und es war ein Brand, der nicht eher innehalten würde, als bis nichts mehr da war, was er verzehren konnte.
Lassars Krieger mussten ihm ebenso zum Opfer fallen wie der Wald und seine Bewohner.
Und vielleicht auch sie, fügte er in Gedanken hinzu. Das Feuer erreichte sie nicht, aber seine Hitze war so groß, dass die Luft in seinen Lungen zu brennen schien und sich seine Augenbrauen kräuselten. Und die Hitze stieg.
»Zurück«, befahl er halblaut, wandte sich um und rief noch einmal, sehr viel lauter: »Zieht euch zurück ins Haus. Die Hitze wird zu groß!«
Er selbst war einer der Ersten, die diesen Befehl befolgten.
24
Der Wald brannte. Rings um ihn herum tobte die Hölle, ein Feuer, wie es heißer nicht im flammenden Herzen einer Sonne sein könnte. Gwenderons Haar war längst verkohlt, seine Kleickder schwelten, und seine Haut war da, wo sie nicht von Stoff oder Leder geschützt war, von Brandblasen übersät. Vor einer halben Stunde war sein Pferd unter ihm zusammengebrochen und gestorben und kurz darauf hatte er Gesset aus den Augen verloren. Er war sicher, dass er tot war, tot wie all die Männer und Tiere, an denen er vorbeigestolpert war, deren Leichen den schwarz gewordenen Waldboden bedeckten oder in den Bäuckmen hingen, in die sie in panischer Angst gestiegen waren ohne dem Tod entrinnen zu können. Gwenderon wusste längst nicht mehr, in welche Richtung er lief oder warum. Aber irgendetckwas trieb ihn weiter, eine Kraft, die nicht die seine war; die gleiche unheimliche Macht, die ihn vor dem Toben der Flammen schützte. Mit einem kleinen, auf fast wunderbare Weise noch zu klarem Denken fähigen Teil seines Bewusstseins begriff er, dass er kein Recht mehr hatte zu leben; dass jede der zahllosen Wunden, die seinen Körper bedeckten, tödlich war. Aber er taumelte weiter, und seine Hand umklammerte fest den Stab, den er mit sich fortschleppte. Aber vielleicht war es auch gerade umgekehrt.
25
Selbst hier drinnen, hinter den meterdicken Mauern der Feckstung, war die Hitze beinahe unerträglich. Die Luft schien zu kochen. Der Boden zitterte jetzt fast ununterbrochen und manchmal glaubte Cavin, ein dumpfes, machtvolles Grollen zu hören, als stürzten tief unter der Erde gewaltige Höhlen ein. Vielleicht brach die Welt zusammen.
Cavin taumelte vor Erschöpfung, lehnte sich einen Moment gegen die Wand und stolperte weiter die Treppe empor. Der Weg hinauf in sein Schlafgemach war ihm niemals so weit vorgekommen. Es war, als wüchse die Treppe jedes Mal um zwei Stufen, wenn er eine überwunden hatte. Aber er musste hinauf. Wenn er schon sterben musste, dann wollte er wenigckstens in Karelians Nähe sein. Der Waldläufer war der einzige Freund, der ihm geblieben war.
Schließlich erreichte er das Ende der Treppe und den kurzen Gang, an dessen Ende der Ratssaal lag. Das Grollen und Beben war jetzt deutlicher zu spüren und unter der geschlossenen Tür drang dumpf roter Lichtschein hervor, der durch die Lichtckscharten gekrochen war. Die Hitze ließ ihn keuchen.
Als er die Tür aufstieß, fand er den Toten.
Es war einer von Karelians Gefolgsleuten; ein grauhaariger, stämmig gewachsener Mann in der grünbraunen Kleidung der Waldläufer. Er lag, mit grotesk verrenkten Gliedern und dem Gesicht nach unten auf dem Boden, und es hätte nicht einmal der dunklen Blutlache unter seinem Kopf bedurft, um Cavin zu sagen, dass er tot war. Einen Moment lang versuchte er sich an den Gedanken zu klammern, dass der Mann einen Fehltritt getan und sich auf dem steinernen Boden zu Tode gestürzt haben könnte; aber wirklich nur einen Moment lang. Nicht länger, als er brauchte, um neben dem Toten niederzuknien und ihn auf den Rücken zu drehen. Steinfliesen schneiden niemandem die Kehle durch.
Sekundenlang starrte Cavin benommen auf seine Fingerspitzen, die rot vom Blut des Erschlagenen waren. Dann fuhr er hoch und herum, zog sein Schwert und wich instinktiv zwei, drei Schritte zurück, bis er den kalten Fels der Wand in seinem Rücken fühlte.
Plötzlich schien die Burg voller Geräusche und Laute zu sein, die vor einem Moment noch nicht da gewesen waren. Er glaubte Schritte zu hören, ein Lachen, das ein wenig zu schrill und aufgesetzt klang, ein Rascheln und Schaben wie von großen, hornigen Körpern, die sich in den Schatten bewegten …
Cavin schob die Vorstellung mit Macht von sich, packte sein Schwert fester und sah sich aufmerksam nach beiden Seiten um. Der Saal war leer und auch in den angrenzenden Zimmern, deren Türen offen standen, regte sich nichts; zumindest nichts, so weit er sehen konnte. Trotzdem musste, wer immer den Mann vor ihm umgebracht hatte, noch in der Nähe sein.
Vorsichtig, jeden Nerv bis zum Zerreißen angespannt, ging Cavin weiter, durchsuchte flüchtig die anderen Räume und näherte sich schließlich seinem Privatgemach, dem einzigen Zimmer, dessen Tür verschlossen war.
Auf den ersten Blick schien es leer wie die anderen Zimmer. Animahs Bett war verwaist, aber auf den Kissen waren dunkle Flecke, die bewiesen, dass der unheimliche Mörder auch hier gewesen war.
Und als er es umrundete, fand er Karelian.
Der Waldläufer lag verkrümmt auf dem Boden, mit weit aufgerissenen, gebrochenen Augen, die rechte Hand noch gegen die tödliche Wunde in seiner Brust gepresst, die andere ausgestreckt und im Tode zu einer Kralle verkrümmt, als hätte er versucht irgendetwas festzuhalten. Auf seinen Zügen lag ein Ausdruck so tiefen Entsetzens, wie Cavin ihn noch niemals bei einem Menschen gesehen hatte.
Cavin fühlte … nichts.
Der Schmerz, dieser entsetzliche, rasende Schmerz, auf den er wartete, kam nicht. Er spürte nur Leere. Karelian war der Letzte gewesen. Der letzte Freund, der ihm geblieben war, und nun war er tot, von der Hand eines Meuchelmörders niedergestochen, den Lassar geschickt hatte. Das war alles, was er denken konnte. Er empfand nicht einmal Zorn.
Nach einer Weile wandte er sich um, verließ das Zimmer, durchquerte auch den angrenzenden Saal, und auf dem Gang nahe der Treppe sah er die Blutspur. Sie führte nach oben, hinckauf in die Teile der Festung, die sie nie zu betreten gewagt hatten. Jetzt betrat er sie, tastete sich halb blind an der Wand aus schwarzer Lava entlang und erreichte nach einigen Dutzend Schritten einen weiteren Treppenabsatz.
Links von ihm war rotes Licht, wo Feuerschein durch einen Lichtschacht fiel, und in der flackernden roten Beleuchtung lag Animah.
Es war wie ein Hieb.
Länger als eine Minute blieb Cavin reglos stehen, unfähig zu glauben, was er sah: Sie war tot. Ihr Genick war gebrochen und die Hände des Raett, der sie getötet hatte, lagen noch um ihren Hals, erstarrt im Tode, der das riesige Wesen über dem schwarzhaarigen Mädchen hatte zusammenbrechen lassen. Ein schmaler, beidseitig geschliffener Dolch ragte aus seinem Schädel, fast bis ans Heft in seinen Unterkiefer und bis hinauf in sein Gehirn getrieben.
Es war Karelians Dolch. Es gab keinen Zweifel. Cavin selbst hatte ihm die Waffe geschenkt, ein Beutestück, das er einem von Lassars Söldnern abgenommen hatte.
Die gleiche Waffe, die auch Karelian und den Mann unten im Saal getötet hatte. Und jetzt endlich begriff Cavin.
Ein Geräusch drang in sein Bewusstsein, so leise, dass er nicht sicher war es wirklich gehört zu haben, aber als er sich umdrehte und sein Schwert hob, erscholl es erneut und irgendckwo in der Dunkelheit vor ihm regte sich etwas; es war kein Körper, nicht einmal ein Schatten, sondern nur Bewegung. Leben. Cavin duckte sich leicht, streckte die Linke aus, um sich an der Wand entlangzutasten, und begann die ausgetretecknen Steinstufen weiter hinaufzugehen; vorsichtig, jedes Mal den Fuß ganz aufsetzend, ehe er sein Gewicht verlagerte, und mit bis zum Zerreißen angespannten Nerven.