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Es mussten an die tausend sein; eine gewaltige Armee, die in einem lockeren, nach innen gebogenen Halbkreis auf dem Hof Aufstellung genommen hatten. Wieder kam Cavin das Autockmatenhafte, Künstliche ihrer Erscheinung zu Bewusstsein. Alle waren gleich groß, alle auf die gleiche Art gekleidet, jeder mit Schild und Morgenstern bewaffnet und finster wie ein Stück zum Leben erwachter Nacht. Die Reiter ähnelten sich wie eine Armee identischer Zwillinge.

Oder wie Abdrücke aus einer einzigen Gussform, dachte Cavin schaudernd.

»Das … das ist das Ende. Es hat keinen Sinn mehr, Guarr.« Cavins Stimme brach fast. Trotz der fast unheimlichen Stille, die sich in der Halle ausgebreitet hatte, waren seine Worte kaum zu verstehen. Es dauerte lange, bis der Raett überhaupt darauf reagierte und müde den Kopf hob.

»Und was wollt Ihr tun, Herr?«

Cavin schloss die Augen, lehnte den Kopf nach hinten gegen die kahle Steinwand und atmete hörbar aus. »Ich gehe hinaus«, flüsterte er. »Er will mich, Guarr. Er wollte von Anfang an nur mich.«

Guarrs Antwort bestand in einem rauen, vollkommen humorcklosen Lachen. »Verzeiht, wenn ich Euch widerspreche, Herr«, sagte er sarkastisch, »aber um Euch Lassar auszuliefern, müsste er wenigstens hier sein. Bis jetzt habe ich keine Spur von ihm gesehen. Nur seine schwarzen Bestien.« Er stöhnte, presste die Hand gegen den dünnen, blutenden Schnitt über dem Auge, den er beim letzten Angriff davongetragen hatte, und betrachteckte stirnrunzelnd und beinahe wütend das Blut auf seinen Fingerspitzen.

»Er ist da«, behauptete Cavin. »Ich weiß nicht wo, und ich weiß nicht, wie er es gemacht hat – aber er ist hier. Ganz in unserer Nähe. Ich spüre ihn, Guarr.« Er stand auf, blieb einen Moment kraftlos gegen die Wand gelehnt stehen und machte ein paar taumelnde Schritte auf den Ausgang zu.

»Was habt Ihr vor?«, fragte Guarr alarmiert.

»Was ich sofort hätte tun sollen, Guarr«, antwortete Cavin grimmig. »Ich gehe hinaus.«

»Sie werden Euch umbringen.«

»Vielleicht«, antwortete Cavin. »Aber vielleicht lassen sie dann wenigstens euch am Leben. Ihr habt keinen Streit mit Lassar. Wenn ich tot bin, stellt ihr keine Gefahr mehr für ihn dar.« Er nickte noch einmal, um seine Worte zu bekräftigen, zog das Schwert aus dem Gürtel und ging weiter.

Guarr stellte ihm ein Bein, fing ihn auf, als er stürzte, und versetzte ihm rasch hintereinander zwei schallende Ohrfeigen. Cavin ächzte, hob die Hände, um seine Schläge abzuwehren, und versuchte nach ihm zu treten. Guarr schlug noch einmal zu und Cavins Widerstand erlahmte.

»Seid Ihr jetzt wieder vernünftig?«, fragte Guarr ruhig. Cavin wollte antworten, bekam aber nur einen keuchenden Laut herckaus, und Guarr ließ behutsam seine Schultern los.

»Wem glaubt Ihr damit zu nutzen, wenn Ihr Euch umbringt, Ihr Narr?«, fragte er scharf. »Bildet Ihr Euch im Ernst ein, Lassar ließe auch nur einen von uns lebend hier heraus? Das kann er sich gar nicht leisten. Nicht nach diesem neuerlichen Verrat.« Er deutete mit einer zornigen Kopfbewegung zum Fenster. »Ich bin sicher, dass Lassar sich eine wunderschöne Geschichte zurechtgelegt hat, nach der ihn niemand mehr für das verantwortlich machen wird, was hier geschehen ist. Geht zu ihm und lasst Euch erschlagen, und seid sicher, dass er die Welt glauben machen wird, dass Ihr es wart, der den Wald angezündet hat! Er kann es sich gar nicht leisten, auch nur einen von uns am Leben zu lassen, seht das ein.«

Cavin wollte widersprechen, aber Guarr fuhr ruhig, doch mit trotzdem leicht erhobener Stimme fort: »Wir sollten lieber überlegen, wie wir hier herauskommen. Ihr seid sicher, dass es keinen geheimen Ausgang gibt?«

Natürlich war Cavin nicht sicher. Die Monate, die sie in dieser Festung verbracht hatten, hatten nicht ausgereicht, auch nur ein Zehntel der gewaltigen Anlage zu untersuchen. Aber er war sicher, dass er keinen geheimen Ausgang kannte. Und wohin hätten sie auch fliehen können? Rings um die Megidda herum brannte die Welt. Guarr fragte auch nur, um überhaupt irgendetwas zu sagen und Cavin wieder zur Vernunft zu bringen.

Seine Taktik schien Erfolg zu haben, denn der junge Waldkönig beruhigte sich zusehends. Schließlich lächelte er sogar, wenn es auch mehr einer Grimasse glich.

»Du hast Recht, Guarr«, sagte er leise. »Verzeih.«

Guarr machte eine wegwerfende Handbewegung. »Schon gut. Jeder kann die Nerven verlieren. Aber wie habt Ihr das gemeint – Lassar ist hier?«

»Wie ich es gesagt habe«, antwortete Cavin. »Ich spüre seine Nähe, Guarr. Er … er war die ganze Zeit über hier. Er … er ist diese Festung.«

»Dann sollten wir ihn suchen«, sagte Guarr, ohne auf die letzten Worte Cavins einzugehen.

Cavin lachte bitter. »Und wie, Guarr? Meinst du nicht, ich hätte –«

»Ihr seid nicht irgendwer, Herr«, fiel ihm Guarr ins Wort. »Ihr seid der Herr von Hochwalden. Der König des Schwarzeichenwaldes. Euch stehen andere Mittel und Wege offen als mir oder irgendeinem anderen.«

Cavins Blick spiegelte Trauer, als er antwortete. »Das wäre vielleicht so, wäre alles anders gekommen, Freund. Es wäre vielleicht so, hätte ich Zeit gehabt, das Erbe meines Vaters wirklich anzutreten. Wäre Faroan nicht gestorben, ehe ich auch nur begriff, was dieser Wald überhaupt ist. Doch nun bin ich nicht mehr als du. Vielleicht weniger.«

Guarr verwarf seine Worte mit einer unwilligen Geste. »Warum ruft Ihr Faroan nicht?«, fragte er. »Er hat uns schon einmal geholfen, er könnte es wieder. Ruft ihn, Herr!«

»Glaubst du nicht, ich hätte es versucht?«, fragte Cavin leise. Er schüttelte den Kopf, legte die Rechte auf den Schwertknauf in seinem Gürtel und berührte mit der anderen Hand Guarrs Arm. »Ich habe es versucht, mein Freund«, sagte er leise. »Ich habe ihn angefleht uns zu helfen, jede Minute, die wir hier eingeschlossen waren. Aber er hat nicht geantwortet. Diesmal hilft uns nur noch unser Mut und unsere Kraft, Guarr. Und das hier.« Er zog das Schwert, sah Guarr noch einen Herzschlag lang ernst in die Augen und nickte.

»Kommt, Freunde«, sagte er laut und nicht mehr nur an Guarr, sondern an alle gewandt. »Bringen wir es zu Ende.«

27

Die Phalanx der schwarzen Krieger zog sich wie ein Riss durch das rote Licht, eine gerade, präzise ausgerichtete Dreierreihe mattschwarz glänzender Rüstungen und großer, eisenbeschlagener Schilde. Dahinter, in fünf, sechs Schritten Abstand und wie zwei düstere Dämonenstatuen, standen Lassars Wächter, perfekte Ebenbilder der Dämonenarmee, nur größer und wilckder, drohender. Es war unheimlich still. Selbst der Wind war verstummt und obgleich es noch nicht vollends Tag war, war die Luft von seltener Klarheit; wie kunstvoll geschliffenes Glas, das den Blick nicht behinderte, sondern das, was dahinter lag, noch vergrößerte.

Cavin war der Erste, der den Turm verließ. Glühende Luft und Nebel, der in blutigen Schwaden vom Boden aufstieg und über die Mauern der Burg gekrochen war, schlugen ihm wie eine brennende Hand entgegen. Das Schwert fühlte sich plötzcklich klamm und sehr viel schwerer in seiner Hand an. Langsam entfernte er sich ein paar Schritte vom Turm, blieb stehen und wartete, bis Guarr und die anderen an seine Seite getreten waren.

Er war ganz ruhig. In jedem einzelnen Augenblick des Kampfes, ja seit er Hochwalden das erste Mal betreten und Lassar gegenübergestanden hatte, war die Furcht sein treuer Begleiter gewesen. Jetzt war sie verschwunden. Er spürte keine Angst mehr, nur noch eine dumpfe, alle anderen Gefühle erstickende Entschlossenheit und ein übermächtiges Empfinden des Endgültigen. Während des letzten halben Jahres hatte er ein Dutzend Mal dem Tod ins Auge geblickt und zehnmal so oft hatte er sich gefragt, wie es sein würde, wenn er ihm eines Tages nicht mehr ein Schnippchen schlagen konnte; was er empfinden würde, wenn der Augenblick kam, in dem es endgültig aus war. Jetzt wusste er es.

Nichts.

In ihm war nur Leere.