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Eine weitere Stunde war vergangen, seit sie auf die Raetts gestoßen waren, vielleicht etwas mehr – so genau war das in der schattigen Halbdämmerung des Waldes nicht zu sagen –, und der Waffenmeister ritt unmittelbar neben dem Prinzen, ohne dass sie indes während dieser ganzen Zeit auch nur ein Wort miteinander gewechselt hätten, als der Mann an der Spitze des kleinen Trosses plötzlich abermals sein Pferd verhielt und warnend die Hand hob.

Prinz Cavin bemerkte die Bewegung im gleichen Moment wie er und runzelte die Stirn, was seinem fast noch kindlichen Gesicht einen sonderbaren Anstrich von Erwachsensein gab. »Was ist nun schon wieder los?«, fragte er.

»Ich werde es herausfinden, mein Prinz«, sagte Gwenderon rasch. »Bleibt hier.« Ehe Cavin Gelegenheit fand zu widersprechen – Gwenderon war sicher, dass er es getan hätte –, sprengckte er los und hielt neben dem Mann an der Spitze wieder an.

»Was ist?«, fragte er.

Der Krieger hob zögernd die Schultern, blickte Gwenderon einen Moment lang beinahe hilflos an und starrte dann wieder aus zusammengepressten Augen in die ineinander verkrallten Schatten des Waldes. »Ich … bin mir nicht sicher«, gestand er stockend. »Aber für einen Moment dachte ich, ich …« Er brach ab, als Hufschläge hinter ihnen laut wurden und Prinz Cavin herangeritten kam, biss sich hilflos auf die Unterlippe und begann den Zügel in den Fingern zu kneten.

»Rede weiter«, sagte Gwenderon aufmunternd. »Nur keine Angst. Besser, du warnst einmal zu viel als einmal zu wenig.«

Der Mann nickte. Sein Blick streifte die Gestalt des jungen Prinzen und wandte sich dann wieder dem Unterholz zu. »Ich dachte, dort hätte sich etwas bewegt«, sagte er. »Aber vielleicht habe ich mich getäuscht.«

Vor ihnen, nicht weiter als einen Steinwurf entfernt, knackte ein Zweig. Blätter raschelten und für einen Moment glaubte Gwenderon, etwas Großes, Dunkles durch das Geäst zu erkennen.

»Ihr habt Recht, Soldat«, sagte Cavin spröde. »Dort ist etckwas.« Er senkte die Hand auf das Schwert – ein Spielzeug, wie Gwenderon wusste, eine Prachtwaffe mit fein ziseliertem Griff und einer Schneide, die wie poliertes Silber glänzte und wie Glas zerbrechen würde, beim ersten ernst gemeinten Hieb – und sah Gwenderon mit einer sonderbaren Mischung aus Trickumph und Vorwurf an. »Mir scheint, Eure Freunde folgen uns, Gwenderon«, sagte er. »Vielleicht war es doch keine so gute Idee, ihnen zu essen zu geben. Möglicherweise hat das Pferd ihren Appetit auf mehr geweckt.«

Gwenderon unterdrückte den Zorn, den Cavins Worte in ihm wachriefen. »Wer sagt Euch, dass es Raetts sind, mein Prinz?«, fragte er kühl.

Cavin lachte leise. »Oh, natürlich – ich vergaß ganz, welch ein Betrieb in diesen Wäldern herrscht. Man trifft ja jeden Augenblick auf Reisende und harmlose Spaziergänger, nicht wahr?«

Gwenderon sog hörbar die Luft ein, aber er antwortete nicht mehr auf Cavins Worte. Sosehr ihn das hochmütige Benehmen des jungen Prinzen in Rage versetzte, musste er doch zugeben, dass er vermutlich Recht hatte. Der Zufall, ausgerechnet in einem Teil des Schwarzeichenwaldes, den selbst seine Beherrckscher mieden, jetzt auch noch auf andere Fremde zu treffen, wäre wohl doch etwas zu groß.

»Ich werde nachsehen«, sagte er entschlossen. »Norrot, Willckhard – ihr kommt mit. Die anderen bleiben hier und beschützen den Prinzen.«

»Das wird nicht nötig sein«, sagte Cavin ruhig. »Weil der Prinz Euch nämlich begleiten wird, Gwenderon.«

»Das verbiete ich!«, sagte Gwenderon scharf.

Cavin lächelte nur. »Wie wollt Ihr es verhindern, Waffenckmeister?«, fragte er. »Wollt Ihr mich vielleicht festbinden?« Er zog sein Schwert aus der Scheide und legte es quer vor sich über den Sattel.

Für die Dauer von zwei, drei Atemzügen musste Gwenderon mit aller Macht gegen den Wunsch ankämpfen, Cavin endgültig und vor aller Augen in seine Schranken zu verweisen, und sei es mit der schallenden Ohrfeige, die er sich schon lange verdient hatte. Aber dann nickte er nur.

»Gut«, sagte er. »Ganz wie Ihr wollt, mein Prinz.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf Cavins Schwert. »Aber steckt wenigstens dieses Spielzeug weg. Und verhaltet Euch still.«

Er war beinahe überrascht, als Cavin tatsächlich sein Schwert wegsteckte und aus dem Sattel stieg. Sie warteten, bis die beickden Krieger, die Gwenderon gerufen hatte, ebenfalls von ihren Pferden gestiegen und an ihre Seite getreten waren, dann drangen sie – den Prinzen wie durch Zufall in der Mitte haltend – im rechten Winkel in den Wald ein.

Dunkelheit und Schweigen schlugen wie eine lautlose Woge über ihnen zusammen. Es war weniger schwer, in den Wald vorzudringen, als Gwenderon befürchtet hatte. Unterholz, Gestrüpp und verfilztes Pflanzenwerk bildeten zwar eine nahezu undurchdringliche Mauer beiderseits des Weges, aber nachdem sie sich erst einmal durch die Wand aus dornigen Zweigen gezwängt hatten, wurde der Weg besser.

Plötzlich blieb Cavin stehen und deutete auf eine Stelle links von Gwenderon, und als sich der Waffenmeister herumdrehte und in die angegebene Richtung sah, erkannte er einen großen, gedrungenen Schatten, der lautlos dastand und fast mit dem Schweigen des Waldes verschmolz. Knopfgroße schwarze Augen blitzten wie polierte Kugeln aus Eisen.

»Ihr hattet Recht, Cavin«, sagte er leise. »Es sind Raetts.« Seine Stimme klang plötzlich belegt. »Bleibt hier. Ich … werde ihn fragen, was er will.«

Diesmal widersprach Cavin nicht. Aber er reagierte.

Mit einem wütenden Schrei riss er sein Schwert wieder aus dem Gürtel, versetzte Gwenderon einen Stoß, der ihn beiseite taumeln ließ, und sprang mit hoch erhobener Waffe auf den Raett los.

Das Rattenwesen blickte ihm entgegen. In seinen Knopfaugen blitzte so etwas wie Verwirrung auf, Schrecken – kein Zorn, wie Gwenderon sehr deutlich registrierte –, dann fuhr es herum und verschwand so lautlos im Unterholz, wie es gekommen war. Cavin schlug wütend mit seinem Schwert in die Büsche.

»Verdammtes Vieh!«, brüllte er. »Komm her, wenn du etwas von uns willst! Ich will sehen, wie dir meine Klinge schmeckt!«

Gwenderon schwieg, auch als Cavin sich nach einer Weile herumdrehte und schwer atmend und mit hektisch gerötetem Gesicht zu ihm und den beiden Kriegern zurückkam. Er wusste nicht einmal mehr, was er in diesem Moment dachte. Nicht dass er Cavins Reaktion nicht verstanden hätte – auch ihn erfüllte das abermalige Auftauchen der Raett-Kreatur mit mehr Furcht, als er zuzugeben bereit war. Trotzdem rief Cavins Becknehmen ein Gefühl tiefen, heißen Zornes in ihm wach – nicht zuletzt, weil er damit hätte rechnen müssen, dass dieser junge Hitzkopf etwas Derartiges tun würde.

»Nun?«, fragte Cavin, nachdem er zurückgekommen war und sich trotzig vor ihm aufgebaut hatte. »Sagt es schon, Gwenderon, was ich getan habe, war wieder einmal dumm und unüberlegt, wie?« Seine Augen flammten vor Zorn.

»Nein, mein Prinz«, antwortete Gwenderon, mit einer Ruhe, die ihn fast selbst erstaunte. »Nur kindisch.«

»Kindisch?« Cavin erbleichte vor Wut. »So, es war also kindisch, dieses Ungeheuer davonzujagen?« Er bedachte Gwenderon mit einem Blick, der vor Verachtung nur so blitzte. »Mögcklicherweise hast du sogar Recht, Gwenderon«, sagte er, während er sein Schwert mit einer übertrieben heftigen Bewegung in den Gürtel stieß. »Aber was du getan hast, war leichtsinnig. Möglicherweise habe ich das Recht, kindisch zu sein, wenn uns dieses kindische Benehmen endlich von der Gesellschaft dieser Kreaturen befreit. Aber ich frage mich«, fügte er nach einer genau bemessenen Pause hinzu, »was mein Vater sagen wird, wenn er hört, dass du leichtsinnig warst, Waffenmeister.«

Und damit wandte er sich um und ließ Gwenderon und die anderen einfach stehen, um zum Weg zurückzugehen.

Nach einer Weile folgten ihm die drei Männer. Sie ritten weickter.

9

Die Nacht war gewichen, aber es wurde nicht richtig hell. Ein fast unwirklicher, grauer Schleier hatte sich wie eine flockige Decke über das Fort und die Zinnen von Hochwalden gebreitet. Es war nicht der Regen, das spürte Faroan. Und es war mehr als nur Dunkelheit, mehr als die normale Abwesenheit von Licht, was die Burg umgab. Es war ein finsterer Vorhang, hinter dem sich Schatten und huschende gestaltlose Dinge zu beckwegen schienen.