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»Und wenn«, sagte er. »Warum zeigt er uns diese Ungeheucker? Wir sind fast von ihnen umgebracht worden.«

»Eben«, sagte Gwenderon ruhig. »Und genau das hätte nicht geschehen dürfen.« Cavin wollte auffahren, aber Gwenderon fuhr rasch und mit ganz leicht erhobener Stimme fort: »Ihr mögt viel gelernt haben auf Euren Schulen, mein Prinz, aber es gibt in diesen Wäldern Dinge, die auf keiner Schule gelehrt werden. Es ist Brutzeit. Sie greifen alles an, was in ihren Nistckbereich eindringt. Seht.« Er bückte sich, hob einen Ast auf und warf ihn über die unsichtbare Grenze, hinter der der Boden mit Spinnen bedeckt war.

Das Ergebnis erschreckte ihn beinahe selbst. Der Boden schien von einer Sekunde zur anderen zu einem finsteren, lautlos kochenden Sumpf zu werden. Dutzende der faustgroßen schwarzen Tiere rasten auf wirbelnden Beinen heran, packten den Ast und bissen wie wild mit ihren winzigen Giftzähnen in das trockene Holz. Binnen weniger Sekunden war der Zweig unter einem zitternden Ball aus hunderten von haarigen kleinen Leibern und Beinen verschwunden.

Cavin schluckte, und Gwenderon konnte sogar im fahlen Halblicht des Waldes erkennen, dass er blass wurde. »Und?«, fragte er. Gwenderon hörte ganz deutlich, dass das Wort trotzig hatte klingen sollen. Aber der Versuch misslang kläglich.

Gwenderon bückte sich nach einem zweiten Stock und warf ihn nun dicht vor die imaginäre Linie, die Guarr ihnen bedeutet hatte. Diesmal geschah nichts. Die Tiere schienen den Ast nicht einmal bemerkt zu haben.

»Und … und wenn es ein … ein zweites Nest ist?«, fragte Cavin unsicher.

»Unmöglich«, behauptete Norrot überzeugt. »Seht sie Euch an, mein Prinz. Es sind mehrere zehntausend Tiere, mindeckstens. Sie benötigen ein Jagdrevier, das wir in zwei Tagen nicht durchqueren können. Zwei Nester dieser Größe, nur hundert Schritte voneinander entfernt – das ist ausgeschlossen.« Er warf Gwenderon einen Beistand heischenden Blick zu, den dieser mit einem Nicken quittierte, und fuhr fort: »Nein, mein Prinz. Die Tiere, die uns angegriffen haben, kamen aus diesem Nest. Irgendetwas hat sie dazu getrieben, ihre Gewohnheiten zu ändern und uns zu attackieren.«

Gwenderon schwieg. Norrots Worte erfüllten ihn mit dumpfem Entsetzen. Der Krieger sprach nichts anderes aus als das Offensichtliche, nichts als das, was er selbst die ganze Zeit über gedacht hatte. Aber es war unheimlich, die Wahrheit so offen aus dem Mund eines anderen zu hören. Und es war unglaublich, dachte er schaudernd. Tauspinnen waren Tiere, stumpfsinnige Insekten, die nicht bewusst handelten und zu keiner freien Entscheidung fähig waren. Sie änderten nicht so einfach ihre Gewohnheiten.

Cavin richtete sich auf, sah noch einmal unsicher zu den grau verhangenen Baumwipfeln hinauf und schüttelte den Kopf. »Ich begreife das nicht«, murmelte er. »Warum haben sie das getan?«

»Weil hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht«, antwortete Gwenderon kurz angebunden. Es war ihm nicht recht, dass Norrot in Gegenwart Cavins so redete. Auch er wusste, dass das, was sie hier sahen, alles andere als normal war. Er hatte niemals gehört, dass sich Tauspinnen in die Nähe der von Menschen benutzten Wege wagten. Trotz ihrer Gefährcklichkeit waren die Tiere nicht aggressiv, sondern mieden im Gegenteil die Nähe von Menschen. Aber es wäre ihm lieber gewesen, wenn sie das nicht unbedingt in Hörweite des Prinzen besprochen hätten.

»Was tun wir?«, fragte Cavin. »Kehren wir um?«

»Einen Tagesritt zurück?« Gwenderons Miene verdüsterte sich. Die letzte Abzweigung hatten sie am vergangenen Abend passiert, seither hatte der Weg gerade und ohne Gabelung durch den Wald geführt. Der Gedanke, einen ganzen Tag zu verlieren, gefiel ihm nicht. »Es muss wohl sein«, sagte er schließlich.

»Und wenn wir einfach durchbrechen?«, fragte Cavin. »Ich meine, wir sind in Rüstung und Waffen. Jetzt, wo wir die Gefahr kennen, können wir uns schützen. Wenn wir schnell genug sind, sind wir vorbei, ehe sie überhaupt merken, dass wir da waren.«

Gwenderon schüttelte entschieden den Kopf. »Sind vier Tote noch nicht genug?«, fragte er kalt. »Nein, mein Prinz – ich werde nicht das Leben meiner Männer riskieren, nur um Zeit zu sparen.«

»Weg zeigen«, sagte Guarr plötzlich.

Gwenderon starrte den braunfelligen Raett einen Moment lang verstört an, bis er begriff, was er mit seinen Worten sagen wollte.

»Du meinst, du weißt einen anderen Weg durch den Wald?«, erkundigte er sich. Guarr nickte und begann aufgeregt in westlicher Richtung zu gestikulieren.

»Wir dorthin, ihr dorthin«, pfiff er. »Du gut. Wir Weg zeigen.«

Gwenderon zögerte. Im ersten Moment erschien ihm die Vorstellung, sich der Führung des Raett anzuvertrauen, so absurd, dass er sich einfach weigerte, darüber nachzudenken. Aber schließlich hatte ihm Guarr das Leben gerettet.

»Das ist nicht dein Ernst!«, entfuhr es Cavin. »Du willst nicht wirklich mit diesen Tieren gehen, Gwenderon. Das lasse ich nicht zu.«

Gwenderon seufzte. »Verzeiht, mein Prinz«, sagte er, »aber es gibt nichts, was Ihr zulassen könntet oder nicht.«

Cavin erbleichte, obwohl – oder vielleicht gerade weil Gwenderons Tonfall weit eher gelangweilt als scharf oder gar zornig gewesen war. Auf seinem Gesicht erschien ein Ausckdruck, als hätte Gwenderon ihn in aller Öffentlichkeit geohrfeigt.

»Bist … bist du von Sinnen, Gwenderon?«, stammelte er. »Diese Biester wollen doch nur in der Nähe unserer Essensvorräte sein! Sie werden uns bei der erstbesten Gelegenheit ermorden, um unsere Vorräte und Waffen zu stehlen. Oder um uns aufzufressen!«

»Dazu hätten sie mehr als einmal Gelegenheit gehabt, mein Prinz«, antwortete Gwenderon, steif und zum wiederholten Male. »Ich halte es für besser, sie bei uns zu haben. Und«, fügckte er, so leise, dass der Raett hinter ihm die Worte nicht hören konnte, hinzu, »ich fühle mich sicherer, wenn ich sie vor mir habe statt hinter mir.«

Cavin starrte ihn zornig an. Aber wie schon einmal schien er genau zu spüren, dass Widerstand sinnlos war. Gwenderon hatte sehr deutlich gemacht, dass er es war, der die Verantwortung trug, und dass er es war, der entschied.

»Gut«, sagte er gepresst. »Aber glaub ja nicht, dass die Sache damit erledigt ist, Gwenderon.«

»Natürlich nicht«, erwiderte Gwenderon kalt. »Wir werden es mit Eurem Vater bereden, sobald wir Hochwalden erreicht haben.« Mit einem Ruck wandte er sich um, sah den Raett einen Atemzug lang schweigend an und sagte: »Gut, Guarr. Ich vertraue dir. Ihr könnt mit uns kommen, bis wir Hochwalden erreicht haben«, sagte er. »Sobald die Festung in Sichtweite ist, trennen wir uns.«

Der Raett senkte den Kopf und quiekte eine Antwort, die Gwenderon nicht verstand. Dann begann er mit beiden Händen zu gestikulieren. Gwenderon unterdrückte ein Schaudern, als er sah, wie stark die Hände der Riesenratte waren.

»Ihr warten?«, sagte der Raett. »Andere zurück. Ich gelaufen, helfen.«

Gwenderon nickte. »Wir warten hier«, sagte er.

Guarr ließ einen zufriedenen Pfiff hören, wandte sich um und verschwand nahezu lautlos im Wald.

Prinz Cavin wich seinem Blick aus, als er sich umdrehte und langsam zum Weg zurückzugehen begann, und Gwenderon versuchte seinerseits, jeden Gedanken an den Prinzen zu verdrängen.

Cavin war jung, hitzköpfig und ungestüm und der Auffassung, dass seine Meinung die einzig gültige war. Aber all das waren nun einmal Vorrechte der Jugend. Und Gwenderon hatte erst vor Minuten erlebt, wie kühl und tapfer sich der junge Prinz in einer schwierigen Lage verhalten konnte. Er war bereits ein Mann, aber auch noch ein Kind – eine schwierige Zeit, durch die er hindurchmusste, gleich wie. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er wirklich erwachsen war.

Sie erreichten den Weg, und Gwenderons gerade neu erckwachter Optimismus bekam einen gehörigen Dämpfer, als er die Pferde sah – und die Männer, die hinter ihnen am Waldrand lagerten. Die Tiere waren – bis auf eines – mit dem Schrecken und einigen wenigen Kratzern davongekommen. Aber die Männer, die dumm genug gewesen waren, gegen die Spinnen kämpfen zu wollen, statt ein paar Bisse hinzunehmen und zu fliehen, hatten weniger Glück gehabt. Vor allem die Männer um den Prinzen, die Höflinge und Lehrer, die er mit nach Hochwalden bringen wollte, um dort – wie er es ausgedrückt hatte – die Zivilisation einzuführen, waren übel dran. Anders als die Männer der Garde waren sie nicht durch Rüstungen und Kettenhemden geschützt gewesen, und ihre dünnen Kleider hatten den Giftzähnen der Spinnen wenig Widerstand entgegensetzen können. Einer von ihnen lag im Sterben.