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Gwenderon schüttelte schnell und fast unmerklich den Kopf, blickte warnend in die Richtung, in der das goldbestickte Wams des Prinzen wie eine bizarre Blume zwischen den silckbernen Kettenhemden der Krieger hervorstach, und schwang sich mit einer kraftvollen Bewegung in den Sattel. »Raetts«, flüsterte er, so leise, dass nur Norrot das Wort verstehen konnte.

Der Hauptmann erbleichte, zeigte aber ansonsten keine Regung. Nicht einmal seine Haltung versteifte sich. Beinahe gemächlich wendete er sein Pferd, ritt ein Stück voraus und raunte einem der Krieger ein paar Worte zu, schnell und präzise, aber mit unbewegtem Gesicht und in ruhigem, fast beiläufig klingendem Ton. Der Mann nickte, ritt seinerseits ein Stück voraus und gab Norrots Befehl weiter.

Langsam und beinahe schwerfällig, wie ein großes Tier aus Stahl und Fleisch, dessen einzelne Glieder nur mit Verspätung auf die Befehle seines Willens gehorchten, setzte sich der Tross wieder in Bewegung.

Aber nicht alle Pferde fielen in den langsamen, Kräfte sparenden Trab, wie Gwenderon voller Besorgnis feststellte. Der Prinz selbst und drei oder vier der herausgeputzten Lackaffen, die ihn begleiteten und sich selbst »höfische Berater«, nannten, blieben, wo sie waren, und der Ausdruck von Neugier in den dunkelblauen Augen des Prinzen wandelte sich in Sorge, als Gwenderon näher kam und sein Tier einen Schritt vor ihm zügelte.

»Was ist geschehen, Gwenderon?«, fragte er; eine Spur zu laut und in dem leicht arroganten Tonfall, der ihm eigen war.

Gwenderon mochte es nicht, wenn jemand so mit ihm sprach. Nicht einmal, wenn es der Sohn seines Königs war; vielleicht besonders deswegen nicht. Aber dies war nicht der Augenblick, einen Gedanken an Fragen der Höflichkeit und Würde zu verckschwenden.

»Nichts, junger Herr«, antwortete er und hoffte, dass der Prinz nicht merkte, dass er log. Er war nie ein guter Schauspieckler gewesen. Und schon gar kein guter Lügner. »Karelian hat die Spuren einer Brüllechse entdeckt, das ist alles. Er zeigte sie mir«, fügte er hinzu, lächelnd und äußerlich gelassen, mit einer genau berechneten Spur mühsam unterdrückter Verärgerung in der Stimme, aber in Wahrheit das Gesicht des Prinzen ganz genau beobachtend. Er hatte sich diese Lüge sorgsam überlegt. Brüllechsen waren große, plumpe Tiere, massiger als ein Schlachtross und so stark wie zehn Bären, aber sie waren für ihre Feigheit bekannt und griffen nur an, wenn ihnen keine andere Wahl mehr blieb. Bisweilen nicht einmal dann. Manchmal waren sie sogar zu dumm zum Fliehen. Die Jagd auf sie war ungefähr so interessant wie die auf Felsblöcke. Hätte er den Namen irgendeines anderen Tieres erwähnt, hätte es gut sein können, dass Prinz Cavin den Teufel tat, seinem Befehl zu folgen und weiterzureiten, sondern unverzüglich darauf bestand, eine Jagd zu beginnen. Wenn es etwas gab, über das er sich in den letzten drei Tagen mehr beklagt hatte als über das ununterbrochene Reiten, dann war es die Langeweile.

Die linke Augenbraue des Prinzen hob sich ein Stück und verschwand damit fast unter dem Rand des prunkvollen Goldckhelms, der seinen Kopf zierte. Der Helm war ein bisschen zu groß für ihn und sein Gold ein wenig zu dünn und zu sorgsam poliert, ihn mehr als ein Stück überflüssigen Zierrates sein zu lassen. In einem wirklichen Kampf, dachte Gwenderon mit einer Mischung aus Spott und leiser Verärgerung, würde ihm ein Helm wie dieser nicht nur lästig, sondern gefährlich werden.

»Eine Brüllechse?«, wiederholte Cavin zweifelnd. »Hier? Ich wusste nicht, dass sie in diesem Teil des Waldes vorkommen.« Die andere, misstrauische Frage, die sich hinter der laut ausgesprochenen verbarg, war nicht zu überhören.

»Niemand weiß viel über diesen Teil der Wälder«, antworteckte Gwenderon ausweichend. »Nicht einmal Karelian.«

Aber der Prinz ließ nicht locker. Sein Misstrauen war geweckt, und wenn Gwenderon ihn auch insgeheim für einen eingebildeten Gecken hielt, der noch viel lernen musste, ehe er zum Mann würde, so war er doch intelligent und hatte den Spürsinn seines Vaters und den scharfen Verstand seiner Mutter geerbt. »Ihr seht sehr besorgt aus, Gwenderon«, sagte er, »dafür, dass keine Gefahr besteht.«

»Nicht besorgt«, antwortete Gwenderon. »Nur müde, Herr. Es war ein weiter Weg und ich bin nicht mehr so jung und kräftig wie Ihr.«

Der Prinz blickte ihn an, gleichermaßen geschmeichelt wie verwirrt von seinen Worten. Aber zu Gwenderons Erleichterung – und ein wenig auch Erstaunen – drang er nicht weiter in ihn, sondern zwang sein Pferd mit einer unsanften Bewegung herum und ritt zu der bunt getressten Schar seiner Höflinge und Lehrer zurück, die in respektvollem Abstand Halt gemacht hatte. Ihre Blicke hatten nicht Halt gemacht. Und in den allerwenigsten las Gwenderon etwas, das ihm gefiel. In den meisten Augen las er nur Verachtung – jene Art von herablassender Überheblichkeit, von der man ganz genau wusste, dass sie jeckder Grundlage entbehrte, und die Gwenderon gerade deshalb so sehr reizte. Es waren insgesamt acht; einer idiotischer als der andere – wie Gwenderon fand – und einer bunter herausgeputzt als der andere. Obwohl sie sich ihm alle einzeln und ausführcklich vorgestellt hatten, mit Namen, Rang und Erbfolge, die bis zu ihren Urururgroßvätern zurückreichte, wusste er nicht von einem den Namen. Das war, wie er fand, das Mindeste, was er diesen paradiesvogelfarbigen Gecken an Verachtung schuldig war. Sie hatten eine Menge von ihrer Pracht und Überheblichkeit verloren während der letzten drei Tage und in die gepuderten Gesichter hatten Müdigkeit und Schmerz tiefe Linien gegraben. Gwenderon stellte sich vor, dass sie wund gerittene Hintern haben und, wenn sie die Hosen herunterließen, wie bunt angemalte Schimpansen aussehen mussten, und dieser Gedanke verhalf ihm zu einem kurzen Gefühl hämischer Befriedigung. Nein – er mochte Prinz Cavins Begleiter nicht, ganz entschieden nicht.

Und wenn er ganz ehrlich war, dann mochte er den Prinzen auch nicht besonders.

Beinahe erschrocken verscheuchte er diesen letzten Gedanken und wartete, bis auch der letzte Reiter an ihm vorübergetrabt war, ehe auch er sein Pferd weitertraben ließ. Instinktiv blickte er sich um und suchte Karelian, fand ihn aber nicht mehr. Der Waldläufer war so lautlos verschwunden, wie er gekommen war.

Und trotzdem spürte Gwenderon, dass sie nicht mehr allein waren. Das Buschwerk lag wie eine schwarz-grün-braun gefleckte Mauer zu beiden Seiten des Weges – reglos, still und undurchdringlich. Aber er spürte plötzlich, dass dieser erste Eindruck täuschte. So, wie er vorhin die unheimliche Stille gespürt hatte, die hinter den normalen Lauten des Waldes lauckerte, spürte er jetzt auch: Irgendetwas war da, Augen, die ihn anstarrten, Ohren, die auf jedes seiner Worte lauschten …

Gwenderon versuchte vergeblich sich einzureden, dass es Karelians Augen und Ohren waren.

2

Sie rasteten früh an diesem Tage. Als Gwenderon das Zeichen zum Anhalten gab, war es noch eine gute Stunde bis zum Dunkelwerden; trotzdem hatte sich der Himmel bereits verdüstert und hier und da waren dicke graue Wolken auf dem sonst so strahlenden Blau erschienen. Das Licht begann trübe zu werden, wie an einem Novembermorgen, wenn der Nebel schon fort war, aber noch einen letzten Hauch in der Luft zurückgelassen hatte, und ein kühler Wind war aufgekommen. Die Stille folgte ihnen noch immer.

Obwohl sie alle darauf brannten, den Wald zu verlassen und Hochwalden wieder zu erreichen, widersprach niemand, als Gwenderon schon so früh befahl, das Nachtlager aufzuschlagen. Die Stelle war geradezu ideaclass="underline" eine kleine, halbrunde Lichtung, deren gerade Grenze von einem glasklaren Bach gebildet wurde, die gekrümmte von den Stämmen des Waldes, zwischen denen das Unterholz so dicht wucherte, dass sie massiv wie eine Mauer wirkten; fast schwarz im schwindenden Licht des Nachmittages.