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Er fröstelte. Das Unheil lag fast greifbar über der Burg; er spürte es, wie einen unsichtbaren giftigen Nebel, der die klare Luft des Schwarzeichenwaldes verpestete. Irgendetwas hatte sich verändert, seit Resnec vor dem Tor erschienen und um Gastfreundschaft und eine Audienz gebeten hatte. Das eine war ihm gewährt worden, weil es der Brauch so vorschrieb, und das andere, weil Resnec ein mächtiger Mann war und es sich selbst ein König zweimal überlegte, ihn abzuweisen. Sogar der König des Schwarzeichenwaldes. Der vielleicht ganz besonders, fügte Oro in Gedanken hinzu.

Seine Miene verfinsterte sich, während er vollends aus dem Windschatten des Eingangs trat und mit gemessenen Schritten auf das Tor zuging. Die Fallbrücke war heruntergelassen und das Gatter hochgezogen worden, sodass die Spitzen wie Zähne eines rostigen Eisengebisses aus dem gemauerten Torgewölbe hervorsahen und sein Blick weit über die Brücke und den Grackben und das dahinter liegende Stück freien Geländes fiel, ehe er von der schwarzgrünen Mauer des Waldes aufgesogen wurde. Hochwalden lag auf einer künstlich geschaffenen Halbinsel, die wie eine hämisch ausgestreckte Granitzunge weit in den See hineinragte, aber von hier aus, durch das offen stehende Tor betrachtet, sah es so aus, als erhöbe sie sich unmittelbar am Waldrand. In Wahrheit maß die Entfernung bis zu den ersten Bäumen eine gute halbe Meile, aber irgendeine optische Täuschung verhinderte nachhaltig, dass man das erkannte. Niemand wusste, warum das so war. Oros Urururgroßvater hatte damit aufgehört, dieses Geheimnis ergründen zu wollen, und keiner seiner Nachfahren hatte jemals wieder damit angefangen. Selbst Faroan lächelte nur wissend, wurde er von Fremden, die manchmal auf die Burg kamen und sich verwundert an ihn wandten, darauf angesprochen. Aber Oro wusste, dass das scheinbare Wissen, das sich hinter diesem Lächeln verbarg, eine glatte Lüge war. Er wusste so wenig wie irgendckwer, was es mit diesem Geheimnis auf sich hatte. Manchmal fragte sich Oro, wie wenig sie in Wahrheit wohl wirklich über diesen Wald wussten. Und manchmal – und heute war es wieckder so weit – fragte er sich allen Ernstes, ob Hochwalden wirkcklich das war, wofür die Welt es hielt: die Herrscherin des Schwarzeichenwaldes. Oder war sie in Wahrheit nicht seine Gefangene? Die Geisel, die er als Preis dafür nahm, dass Menschen seinen heiligen Boden betreten und entweihen durften?

Während er solch düsteren Gedanken nachhing – den krausen Gedanken eines Mannes, der allmählich wirklich alt zu werden begann, wie er sich auf einer tieferen, sorgsam niedergehaltecknen Ebene seines Denkens eingestand –, näherte er sich dem Tor, und die Wachen, die bisher in eher nachlässiger Haltung dagestanden hatten, strafften sich. Die Krieger, die rechts und links des Eingangs Aufstellung genommen hatten, trugen ihre prachtvollsten Uniformen – weiße Waffenröcke und vergoldete Panzer, auf denen Wassertropfen schimmerten, dazu lange, mit bunten Wimpeln versehene Speere, Schilde und Schwerter. Manche die dünnen, übermannshohen Langbögen Hochwaldens, deren Treffsicherheit überall in der Welt gerühmt wurde. Es war ein Anblick, der mit seiner Pracht das Herz eines jeden Betrachters hätte erfreuen müssen.

Er tat es nicht; nicht heute. Oro hatte ganz im Gegenteil Mückhe, auf seinen Zügen wenigstens einen Anschein von Freundcklichkeit oder wenigstens königlicher Würde – oder was seine Berater dafür hielten – zu bewahren, als er sich dem Tor und der Hundertschaft Krieger näherte und sein Blick an der dunkel gekleideten Gestalt hängen blieb, die zwischen den Soldaten stand und ihm entgegensah.

Es war etwas an dem Fremden, was seine Soldaten schäbig und hilflos erscheinen ließ, einfach dadurch, dass er in ihrer Nähe war. Oro hatte während der letzten drei Tage acht- oder neunmal mit Resnec gesprochen, und jedes Mal hatte er hinterckher das Gefühl gehabt, sich beschmutzt zu haben. Wäre es nicht so kalt in der Burg gewesen und hätte die Feuchtigkeit sich in seinen Gliedern nicht ohnedies schon mit einem beständigen Reißen und Ziehen bemerkbar gemacht, hätte er jedes Mal gebadet, nachdem er mit Resnec gesprochen hatte.

Hätte, dachte er zornig. Hätte und würde und wenn! Es war noch nicht sehr lange her, da hätte er selbst seinem Sohn gesagt, dass diese drei Worte – und eine ganze Menge mehr – Worte für Feiglinge waren, Worte für entgangene Gelegenheickten und gemachte Fehler. Hätte er der Stimme in seinem Inneren gehorcht, dann hätte er Resnec aus der Burg geworfen; eine Minute nachdem er sie betreten hatte. Aber er hatte es nicht und das allein zählte.

Oro verscheuchte den Gedanken, straffte die Schultern und ging ein wenig schneller, als er die Kälte deutlicher zu spüren begann. Der Mantel, den er hastig übergeworfen hatte, ehe er das Haus verließ, sah vielleicht prachtvoll aus, aber er war alles andere als warm, und der Wind schnitt hindurch wie ein scharf geschliffenes Messer durch Pergament. Er war kein junger Mann mehr und er wollte nicht, dass Resnec sah, wie seine Hände vor Kälte zitterten, und es vielleicht für Schwäche hielt.

Resnec sah ihm ruhig entgegen, mit einem Blick, der kalt war wie der einer Schlange, die ein potenzielles Beutetier mustert, sich aber noch nicht ganz darüber klar geworden ist, ob sie nun Hunger hat oder nicht. Er war ein großer, dunkelhaariger Mann von schlankem Wuchs und unbestimmbarem Alter. Sein Gesicht wurde von einem dünnen, sorgsam ausrasierten Bart eingefasst und seine Hände waren schmal und sehnig; von jener Schlankheit, die große Kraft und ebenso große Behändigkeit verriet. Hätte Oro ihn unter anderen Umständen und an einem anderen Ort getroffen, hätte er nicht zu sagen vermocht, ob er nun einem fahrenden Abenteurer und Ritter oder einem Mann gegenüberstand, der seinen Lebensunterhalt mit Kartenkunstckstüchen bestritt. Wäre der stechende Blick seiner Augen und der grausame – nein, verbesserte sich Oro in Gedanken, nicht grausame –, harte Zug um seinen Mund nicht gewesen, dann hätte man ihn durchaus als gut aussehend bezeichnen können. So hatte er etwas von einer Schlange, fand Oro. Manchmal auch einer Ratte. Er war sich bis jetzt nicht darüber klar geworden, welcher Vergleich nun zutreffender war. Vermutlich keiner. Resnec war eben Resnec. Er wünschte sich, Gwenderon wäre da. Der alte Waffenmeister hätte gewusst, wie er mit Rescknec umzugehen hatte.

Oro blieb stehen, deutete eine Verbeugung an und wartete, bis Resnec die Geste erwidert hatte und damit der Etikette Gecknüge getan war.

»Ich sehe, Ihr seid bereit für die Abreise«, sagte er und fügte mit einer Geste zum Himmel hinzu: »Es wäre besser, Ihr würdet bis zum nächsten Sonnenaufgang warten. Es wird bald dunkel werden und der Regen hat die Wege aufgeweicht.«

Es war eine Floskel. Resnec wusste so gut wie er, dass die Worte nicht ernst gemeint waren und dass der König in Wirkcklichkeit genau das Gegenteil hatte sagen wollen. Aber er ließ sich nichts anmerken, sondern schüttelte nur höflich den Kopf und deutete mit einer knappen Handbewegung auf sich und sein Pferd. Er trug die gleiche Kleidung, mit der er gekommen war: dunkle, eng anliegende Hosen aus roh gegerbtem Leder, schwarze Stiefel, einen Waffenrock in der gleichen Farbe und einen schweren, mit Pelz gefütterten Mantel. Keine Waffe. Vielleicht, überlegte Oro, war das das Unheimlichste an ihm. Resnec war waffenlos, aber es war nichts Schwaches oder gar Hilfloses daran; im Gegenteil. Jeder Zoll seiner Erscheinung, jede noch so winzige Bewegung dieses Mannes machte deutlich, dass er keine Waffe nötig hatte.

»Ich bin gut ausgerüstet, mein König«, sagte Resnec nach einer Pause, die gerade so lang war, als hätte er gewartet, bis Oro seinen Gedanken zu Ende gedacht hatte. »Dunkelheit und Regen schrecken mich nicht und ich habe Eure Gastfreundschaft schon viel zu lange in Anspruch genommen.« Er lächelte: ein rasches, hässliches Verziehen der Lippen, das Oro einen Blick auf ein strahlend weißes Raubtiergebiss gewährte, legte die Hand auf den Sattelknauf seines Pferdes und wandte sich, in einer genau einstudierten Bewegung, dessen war Oro sicher, im letzten Moment noch einmal um.