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Er verlor nicht das Bewusstsein, aber für endlose Augenblicke klammerte er sich mit aller Macht an den schmalen Grat zwischen Dunkelheit und Licht, unfähig, auf die Dinge zu reagieren, die um ihn herum und mit ihm geschahen. In seinem Mund war Blut und er spürte eine tiefe, beinahe körperlich schmerzende Enttäuschung. Sie waren Narren gewesen, das war alles, was er denken konnte, kindische Narren, sich einzuckbilden, Lassars gewaltige Kriegsmaschinerie mit ein paar brennenden Pfeilen aufhalten zu können!

Harte Hände rissen ihn vom Boden hoch, ergriffen seine Arme und drehten sie auf den Rücken. Seine Hände wurden zusammengebunden und ein rüder Stoß zwischen die Schulterckblätter forderte ihn zum Weitergehen auf. Seine Kraft reichte nicht aus.

Er fiel, versuchte sich mit eigener Kraft auf die Füße zu kämpfen, die nur noch seinem Trotz entsprang, und fiel ein zweites Mal. Die blutigen Schleier vor seinen Augen lichteten sich nicht mehr. Er fühlte sich schwach wie ein neugeborenes Kind und er hätte vor Enttäuschung schreien können.

7

Spät am Abend wurde sie abgeholt; wieder von zwei gepanzerten, finster dreinblickenden Kriegern, die sie jedoch durchaus freundlich behandelten, wenn sie auch keinen Zweifel daran ließen, dass sie nach wie vor eine Gefangene war. Als sie diesmal auf den Hof hinaustrat, blendete sie das Tageslicht nicht, und sie nutzte die Gelegenheit, sich so gründlich umzucksehen wie nur möglich.

Ihr Verdacht, sich nirgendwo anders als in den Ruinen von Hochwalden zu befinden, bestätigte sich. Animah war niemals hier gewesen, obwohl der Schwarzeichenwald ihre Heimat war; aber er war so groß, dass ein Menschenleben allein nicht ausreichte, jeden Ort in seinen finsteren Teilen auch nur einmal zu besuchen, und die Burg hatte sie niemals interessiert.

Trotzdem erschreckte sie die Veränderung, die mit der Burg König Oros vonstatten gegangen war. Ein Drittel der gewaltigen Festungsanlage war vollkommen zerstört, verbrannt vom Feuer und zu Staub und Asche zermalmt von den Trümmern des niedergestürzten Hauptturmes. Und selbst das, was dem Wüten des Feuersturmes standgehalten hatte, war verwüstet: Aus der Perle des Schwarzeichenwaldes war eine verkohlte Ruine geworden, die nicht einmal der Schnee vollends hatte zudecken können.

Aber sie war nicht verlassen. Wie der Teil des kleineren Westturmes, der ihr in den letzten sieben Tagen und Nächten als Gefängnis gedient hatte, waren große Teile der Festung wieder hergerichtet worden, sodass sie halbwegs bewohnbar schienen; wenngleich sich niemand die Mühe gemacht hatte, die Schäden wirklich auszubessern. Animah schätzte, dass sich mehr als dreihundert Krieger in der Burgruine aufhielten. Sie sah nur wenige unbewaffnete Männer und Frauen und eine Hand voll Kreaturen, die weder das eine noch das andere zu sein schienen, aber die Spuren der Pferde waren unübersehbar. Hochwalden, obwohl eine Ruine, pulsierte vor Leben. Und über dem Ganzen lag eine schwer in Worte zu fassende, aber spürbare Aufbruchsstimmung.

Die beiden Krieger führten sie quer über den verschneiten Hof zu dem schwarz gewordenen Etwas, das einmal das Haupthaus Hochwaldens gewesen sein musste. Vor dem Eingang waren die Trümmer notdürftig beiseite geräumt worden, aber die Spuren des Brandes waren auch hier unübersehbar, ja, das Feuer schien hier mit besonderer Wut getobt zu haben, denn selbst die schwarzen Basaltblöcke, aus denen das Gebäuckde errichtet worden war, waren unter der Hitze geborsten. Dünne, vielfach verästelte Risse verwandelten die Eingangshalle in ein Spinnennetz, und trotz all der Zeit, die seither vergangen war, hing noch Brandgeruch in der Luft.

Am Ende der verwüsteten Halle ging es eine Treppe hoch, die zum Teil eingestürzt war und unter ihren Schritten bedrohlich zu beben begann und schließlich in einen weitläufigen Raum mündete, der einmal der Thronsaal gewesen sein mochte, denn unter dem Südfenster stand noch ein verkohltes Etwas, das Animah vage an einen gewaltigen Stuhl erinnerte; neben der Tür lehnte eine deformierte Rüstung, von der Hitze des Feuers zusammengeschmolzen wie Wachs und untrennbar mit der Wand verbunden. Animah schauderte. Welche Gewalten mochten hier getobt haben?, dachte sie. Es war schwer vorckstellbar, dass es ein normales Feuer gewesen war.

Aber was war schon normal, wenn Lassar seine Finger im Spiel hatte?

»Du tust mir unrecht, weißt du das?«, sagte eine Stimme hinter ihr. »Und du beleidigst meine Krieger. Was du hier siehst, hat nichts mit Zauberei zu tun. Zumindest nicht sehr viel.«

Animah fuhr zusammen, drehte sich erschrocken herum und fuhr ein zweites Mal zusammen, als sie das Schattengesicht unter der Kapuze erblickte. Ein heftiges, fast übermächtiges Gefühl von Angst ergriff von ihr Besitz. Voller Schrecken fiel ihr etwas ein, was sie gewusst und wieder vergessen hatte, weil es Millionen Jahre her schien: dass Lassar ihre Gedanken las.

»Das ist richtig«, antwortete Lassar lächelnd. »Aber keine Sorge – ich werde es nicht tun, solange du vernünftig bist und ich nicht den Eindruck habe, dass du mich belügst. Es ist anstrengend und alles andere als angenehm, in der Kloake eurer Gedanken herumzuwühlen.« Er lachte leise. »Aber ich habe dich nicht kommen lassen, um über mich zu sprechen, sondern über dich.«

»Ich wüsste nicht, was wir miteinander zu bereden hätten«, antwortete Animah trotzig. »Ich bin deine Gefangene.«

»Ja«, bestätigte Lassar. »Das bist du wohl. Gut, dass du es einsiehst. Ich nehme an, du sehnst dich nicht nach dem Quartier zurück, in dem du den Winter verbracht hast?«

Animah antwortete nicht darauf und Lassar schien das auch gar nicht erwartet zu haben, denn er lachte nur leise, ging an ihr vorbei und trat an ein niedriges Tischchen auf der anderen Seickte der Tür, um zwei Becher mit Wein zu füllen. Animah ignorierte das Trinkgefäß, das er ihr hinhielt.

»Du magst keinen Wein?«, fragte Lassar mit übertrieben gespielter Enttäuschung. »Das ist schade. Er ist sehr gut, musst du wissen. Er stammt noch aus den Kellern dieser Burg, die den Brand gottlob überstanden haben. Aber wie du willst.« Er seufzte, setzte den einen Becher zurück und leerte den anderen mit einem Zug, ehe er auch ihn aus der Hand stellte. »Siehst du?«, sagte er spöttisch. »Er war nicht vergiftet.«

»Was willst du?«, fragte Animah ärgerlich. »Dich über mich lustig machen?«

»Nein«, antwortete Lassar ruhig. »Dazu habe ich weder Lust noch Zeit. Ich habe dich kommen lassen, um mit dir zu reden. Dir einen Vorschlag zu machen, genauer gesagt.«

»Einen Vorschlag?«

»Über einen Weg, wie du deine Freiheit zurückerlangen kannst, beispielsweise«, antwortete Lassar. Er lächelte noch immer, aber sein Blick war stechend geworden. Etwas Lauerndes war darin wie bei einer Schlange, dachte sie schaudernd.

»Meine … Freiheit?«, wiederholte sie ungläubig.

»Ja. Du und deine Rebellenfreunde, ihr legt doch solch grockßen Wert darauf, nicht wahr? Ich denke, ich habe einen Weg gefunden, wie du zu ihnen zurückkehren kannst ohne mir zu schaden.«

»Einen Weg? Du meinst, eine Möglichkeit, wie ich sie betrückgen kann, ohne –«

»Schweig!«, unterbrach sie Lassar. Sein Zorn wirkte echt. »Wofür hältst du dich, du dummes Weib?«

»Für deine Gefangene, Lassar«, erwiderte Animah ruhig. Seltsamerweise verspürte sie überhaupt keine Angst. Sie war sich bewusst, dass Lassar sie töten konnte, mit einer Bewegung seines kleinen Fingers und ohne dass es dazu eines Grundes bedurfte. Trotzdem war sie ganz kalt. Sie hatte zu viel durchgemacht, um jetzt noch Angst zu empfinden. »Für deine Gefangene«, wiederholte sie, »mit der du tun und lassen kannst, was immer du willst. Aber du kannst mich nicht zwingen meickne Freunde zu verraten.«

In Lassars dunklen Augen blitzte es auf. Aber der Zornesausckbruch, auf den Animah wartete, kam nicht. Stattdessen drehte er sich mit betont ruhigen Bewegungen wieder herum, füllte seinen Becher ein zweites Mal und setzte ihn an die Lippen, ehe er antwortete.

»Wer spricht von Verrat?«, fragte er nach einem Schluck. »Erinnerst du dich, was ich dir sagte, als ich dich aus dem Kerker entließ? Du bist keine Gefahr mehr für mich. Du warst es niemals, so wenig wie dieser Narr Gwenderon oder König Cavin. Es bringt keinen Nutzen mehr für mich, dich weiter gefangen zu halten.«