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Cavins Blick verfinsterte sich. Seine Hand glitt zum Gürtel, schmiegte sich für die Dauer eines Herzschlages um den Schwertgriff und löste sich mit einem Ruck wieder von der Waffe. Er schluckte hart und die Finger seiner Linken schlossen sich so fest um den Mauerrand, dass kleine Stücke aus dem von Hitze mürbe gewordenen Gestein herausbrachen.

»Lassars Kreaturen«, flüsterte er.

Gwenderon nickte, wischte sich erneut mit einer fahrigen Geste über das Gesicht und verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere. »Ja«, sagte er. »Aber von einer Art, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. Raetts sind es jedenfalls nicht.« Er atmete hörbar ein und sah Cavin an.

»Das gefällt mir nicht, Herr«, sagte er. »Es stinkt geradezu nach einer Falle.«

Cavin lächelte, aber es war nur ein automatisches Verziehen der Lippen und wirkte bitter. Endlich hatte er es ausgesprochen. »Vielleicht hast du Recht«, sagte er. »Aber wenn es so ist, dann ist sie längst zugeschnappt. Und hör endlich damit auf, mich Herr zu nennen.«

»Ihr seid mein König, Cavin.«

»König?« Cavin gab einen Laut von sich, der wie ein unterdrücktes Lachen klang, ebenso gut aber auch ein Keuchen sein mochte. »König wovon, Gwenderon? Von einer verbrannten Ruine?« Er schüttelte heftig den Kopf. »Hochwalden ist vernichtet, mein Freund«, sagte er. »Und mit ihm das Geschlecht seiner Herrscher. Vielleicht«, fügte er mit seltsam nachdenklicher Betonung hinzu, »waren wir es auch nie.«

Gwenderon schien widersprechen zu wollen, besann sich aber dann eines Besseren und wandte mit einem Ruck den Kopf, um wieder auf den Hof hinabzublicken, und nach einer Weile drehte sich auch Cavin wieder herum und lugte über den Rand seiner Deckung hinaus. Alles war ganz genau so, wie der Unterhändler gesagt hatte. Cavin kam sich beinahe ein wenig albern dabei vor, sich Hochwalden auf Umwegen und in aller Heimlichkeit zu nähern. Sie waren auf Lassars ausdrückliche Einladung hier.

Lassars Alptraumkreaturen bewegten sich noch immer mit diesen kleinen, ruckhaften Bewegungen hin und her, ohne dass ihr Tun irgendeinen Sinn zu haben schien oder dass Gwenderon oder Cavin irgendein System darin zu erkennen vermochten. Vor dem Hintergrund der geschwärzten Mauerreste sahen sie beinahe aus wie schwarze Scherenschnitte, die von unsichtckbaren Spielern an unsichtbaren Fäden bewegt wurden. Schatten, dachte Cavin schaudernd. Sie sahen aus wie Schatten, die zu verbotenem Leben erwacht waren. Aber eine der bizarren Gestalten war nahe genug an ihrem Versteck vorübergegangen, um sie erkennen zu lassen, dass sie alles andere als Schatten waren.

Umständlich stand er auf, überzeugte sich mit einer halb aucktomatischen Geste noch einmal davon, dass Schwert und Dolch sicher in seinem Gürtel steckten, und nickte Gwenderon auffordernd zu es ihm gleichzutun. Der Waffenmeister zögerte einen Moment. In seinem Gesicht arbeitete es und zum ersten Mal, seit dieser Alptraum begonnen hatte, glaubte Cavin Anzeichen echter Furcht auf den verwitterten Zügen seines Freundes und Lehrmeisters zu erblicken.

Aber wie sollte er auch irgendein anderes Gefühl als Angst oder allenfalls Abscheu empfinden, dachte Cavin zornig, bei dem, was er sah. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, ihn mitzunehmen. Hochwalden war Gwenderons Heimat, hundertmal mehr, als es jemals die seine gewesen war. Aber aus der glänzenden Festung des Schwarzeichenwaldes war eine verkohlte Ruine geworden.

Und das war nicht alles. Den Anblick der geschleiften Mauckern, selbst den von Lassars Alptraumkreaturen, die allein durch ihr Hiersein den heiligen Boden dieser Stätte entweihten, hätte er vielleicht noch ertragen. Die wirkliche, schlimmste Veränderung, dachte er betrübt, während er neben Gwenderon über den zerstörten Wehrgang auf die Treppe zuging, war nicht zu seckhen. Aber dafür umso deutlicher zu spüren. Selbst ihm, der im Grunde nur wenige Wochen bewusst hier gelebt hatte, fiel der Unterschied mehr als deutlich auf. Es war das Anzeichen einer Krankheit, die die Seele und den Körper des Waldes befallen hatte. Wie mochte es da erst Gwenderon ergehen, der fast jede Minute seines langen Lebens in diesen Mauern und unter den Wipfeln der heiligen Schwarzeichen verbracht hatte? Lassar hatte mehr getan als eine Burg zu zerstören. Er hatte eine Legende vernichtet; schlimmer noch: geschändet. Er konnte es Gwenderon nicht verdenken, wenn er ihn hasste.

Sie erreichten das verkohlte Etwas, das von der Treppe übrig geblieben war, und blieben abermals stehen. Es gab jetzt nichts mehr, wohinter sie sich verstecken konnten, und ein paar der schwarzen Schattenkreaturen unten entdeckten sie und hielten in ihrem sinnlosen Tun inne. Cavin blickte unverwandt in den Hof hinab, aber er spürte, wie sich Gwenderon neben ihm wie zum Sprung spannte, als sich zwei der finsteren Riesen anschickten, auf sie zu und die Treppe hinaufzugehen.

»Bleib ruhig, Gwenderon«, flüsterte er. »Wir sind nicht hier, um irgendwelche Rachegefühle zu befriedigen.«

Gwenderon nickte, nahm aber die Hand nicht vom Schwertgriff. »Ja, Herr«, sagte er steif.

Sie gingen weiter. Das geschwärzte Gerippe, das von der Treppe übrig geblieben war, begann unter ihren Schritten zu beben, und für einen Moment fürchtete Cavin fast, es könne unter ihrem Gewicht zusammenbrechen. Wie alles hier, dachte er bitter. Unten angekommen, irrte sein Blick ziellos über den Hof. Obwohl er nur einen kleinen Teil seines Lebens hier verckbracht hatte, war diese Burg doch seine Heimat gewesen. In den gewaltigen Hallen und Gängen hatte er gespielt. Hier, auf diesem Hof, der nun von Schutt und Trümmern übersät war, hatte er laufen und reiten gelernt, und hinter dem Eingang des Haupthauses, der nun halb hinter Steintrümmern und dürrem Buschwerk verborgen war, am gegenüberliegenden Ende des Hofes hatte er –

Cavin dachte den Gedanken nicht zu Ende, sondern zwang sich, sich auf das Dutzend schwarz gepanzerter Krieger zu konzentrieren, das sie erwartete. Seine eigenen Worte Gwenderon gegenüber fielen ihm ein. Sie waren nicht hier, um ihren Hass zu befriedigen, sondern um zu retten, was noch zu retten war.

Gwenderon berührte ihn am Arm und deutete mit der freien Hand nach rechts, zum Tor hin. Die beiden gewaltigen Eichenflügel hatten sogar dem Toben des Feuers getrotzt, aber ein Teil der Mauer daneben war eingestürzt, sodass der Blick ungehindert über den See und bis zum Waldrand an seinem jenseitigen Ufer reichte.

Dicht neben dem Tor stand eine Gestalt. Sie war kleiner als die schwarzen Krieger, schmaler in den Schultern und nicht in finsteres Eisen, sondern in einen schwarzen, bis auf den Boden fallenden Umhang mit eingenähter Kapuze gehüllt. Und trotzckdem wirkte sie beinahe bedrohlicher als die Krieger selbst.

»Lassar«, flüsterte Gwenderon. Seine Stimme bebte.

Cavin nickte, warf seinem Waffenmeister einen letzten warnenden Blick zu und ging hoch aufgerichtet, aber mit betont gemessenen, langsamen Schritten zwischen den stummen Riecksenkriegern hindurch. Gwenderon folgte ihm dichtauf, während sich Lassars Krieger nicht von der Stelle rührten, sondern blieckben, wo sie waren.

Lassar blickte ihnen ruhig entgegen. Sein Gesicht war hinter den Schatten der tief heruntergezogenen Kapuze verborgen wie fast immer, und als er sich schließlich bewegte, war es eher ein Huschen und Gleiten, mehr die Bewegung eines Schattens als die eines wirklichen Lebewesens. Trotzdem wirkte er auf schwer in Worte zu fassende Art körperlicher – echter – als die Male zuvor, da Cavin ihm gegenübergestanden hatte. Fast hatte er das Gefühl, einem wirklichen, lebenden Menschen gegenückberzustehen. Dann begriff er, dass es so war.

»Er ist es selbst«, sagte er leise, wobei es ihm nicht ganz gelang, die Überraschung aus seiner Stimme zu verbannen. »Nicht sein Schatten.«

Gwenderon nickte abgehackt, beschleunigte seine Schritte ein wenig, um an Cavins Seite zu gelangen, und blieb stehen, als der junge König zwei Schritte vor Lassar anhielt.

Sekundenlang sprach keiner von ihnen ein Wort und selbst das Heulen des Windes, der sich in den zerborstenen Mauerkronen fing, klang mit einem Male gedämpfter. Lassars Blick huschte flüchtig über Gwenderons Gesicht, wandte sich desinteressiert ab und fiel auf Cavin. Ein spöttisches Lächeln glomm darin auf.