Faroans Stirn umwölkte sich und auf seinem weißbärtigen Gesicht, dessen jugendlich-glattes Aussehen nur vom Blick seiner hundert Jahre alten Augen Lügen gestraft wurde, erschien ein Ausdruck tiefer Sorge. »Er wird wiederkommen«, sagte er noch einmal. »Und ich fürchte, er wird uns Ärger machen.«
»Lassar wird sich nicht damit begnügen, uns nur Ärger zu machen«, sagte Oro gereizt. »Aber du bist hier, um das zu verckhindern. Wo warst du während der letzten drei Tage? Ich habe dich vermisst, bei meinen …«, er spie das Wort beinahe herckvor, »Beratungen mit Resnec.«
Faroan sah ihn einen Moment nachdenklich an, ging aber nicht weiter auf seine Worte ein. Er schien genau zu spüren, was in dem alten König vorging.
»Ich habe geforscht«, sagte er dann. »Ich habe über meinen Büchern gesessen und die Sterne beobachtet, und ich habe das Orakel befragt, Oro. Die Zeichen stehen nicht gut.«
»Papperlapapp«, sagte Oro wütend. »Heb dir dein Gewäsch für die Weiber und die Kinder auf, Faroan. Ich …«
»Es ist kein Gewäsch«, unterbrach ihn Faroan ernst, und etckwas in der Art, in der er sprach, ließ Oro erschauern. »Ich wollte, es wäre so, aber ich meine es ernst. Die Sterne stehen schlecht, so schlecht wie seit langem nicht mehr, und ich lese großen Schmerz in den Zeichen.« Er seufzte. »Resnec wird wiederkommen«, sagte er noch einmal. »Man muss kein Sterndeuter oder Magier sein, um das zu wissen. König Lassars Feldzug im Osten ist ins Stocken geraten, seit ihm das Zwergenvolk die Gefolgschaft aufgekündigt hat und er seine Trupckpen nicht mehr über die Berge versorgen kann. Er braucht eine Flotte und er braucht Holz, um diese Flotte zu bauen. Und der einzige Wald, der nahe genug an der Küste liegt, ihm dieses Holz zu geben, ohne dass er seine Schiffe quer über den halben Kontinent ziehen lassen muss, ist der Schwarzeichenwald. Aber warum sage ich dir das alles? Du weißt es ebenso gut wie ich.«
Oro nickte düster. Faroan offenbarte ihm nichts Neues. Lassar führte seit einem Jahrzehnt Krieg, gegen wechselnde Feinde und mit wechselndem Erfolg, aber bisher waren der Schwarzeichenwald und Hochwalden vor seinem Zugriff sicher gewesen.
»Er wird es nicht wagen, auch nur einen Baum zu fällen«, sagte er. »Der Schwarzeichenwald ist heilig. Seine eigenen Leute würden ihm die Gefolgschaft verweigern, wenn er es täte.«
Faroan antwortete nicht. Diese Worte waren eher Wunsch als Überzeugung, das wussten sie beide.
Lassar hatte in den letzten Jahren ein Land nach dem anderen erobert und sein Imperium unaufhaltsam ausgeweitet. Vielleicht war Hochwalden jetzt an der Reihe, von dem Moloch verschlungen zu werden, in den Lassar das ehemals blühende Tiefland verwandelt hatte.
»Er wird es nicht wagen«, sagte er noch einmal, als Faroan auch weiter nicht antwortete. »Niemand erhebt ungestraft die Hand gegen den Schwarzeichenwald. Die ganze Welt würde aufstehen und ihn zur Rechenschaft ziehen.«
Faroan senkte den Blick, starrte einen Moment wortlos zu Boden und zeichnete mit der Spitze seines Stabes vergängliche Kreise in die Oberfläche einer Pfütze, die vor ihm lag. »Vielleicht«, murmelte er. Er sah auf, lächelte nervös und unecht und sagte noch einmaclass="underline" »Vielleicht. Ja, wahrscheinlich sogar, wenn ich es mir recht überlege. Er wird es nicht wagen. Nicht einmal Lassar.«
Aber sie wussten beide, dass es nur ein schwacher Versuch war, sich selbst zu beruhigen.
Oro fror plötzlich stärker, als sie zum Haus zurückgingen.
4
Mitten in der Nacht schrak er hoch. Im ersten Moment, noch schlaftrunken, dachte er, es wäre der Regen, dessen monotones Trommeln ihn geweckt hätte; oder die Kälte, die erst durch die dünne Seide der Zeltbahn und dann unter die Felle gekrochen war, mit denen er sich zugedeckt hatte.
Dann spürte er, dass er nass vor Schweiß war. Sein Herz hämmerte schnell und dumpf, und erst jetzt, mit einiger Verckspätung, erkannte er den Schrecken, der sich wie eine kalte Faust um seinen Magen geschlossen hatte.
Ein Traum, dachte Prinz Cavin. Ja, das muss es gewesen sein. Er versuchte sich zu erinnern, aber sein Gehirn war wie leer gefegt, wie oft nach einem Alptraum war nur der Schrecken zurückgeblieben, wie ein langsam abklingender Wundckschmerz. Allenfalls war es eine Farbe, auf die er sich zu besinnen glaubte; genauer gesagt, die Abwesenheit jeglicher Farbe: Schwarz. Ein Schwarz, das viel tiefer war als das, das man sah, wenn man die Augen schloss. Und mit diesem Schwarz war ein Empfinden entsetzlicher, lähmender Furcht verbunden.
Gwenderon, dachte er wütend. Das hatte er Gwenderon zu verdanken. Ihm und seinen verrückten Geschichten von Raetts und dem Zauber dieses Waldes.
Sein Zorn auf den grauhaarigen Waffenmeister vertrieb den letzten Rest von Furcht und kurz darauf schlief er wieder ein. Diesmal träumte er nicht mehr.
Wenigstens erinnerte er sich nicht daran, am nächsten Morgen.
5
Resnec folgte dem Weg nur so weit, bis er sicher war, dass er von der Burg aus nicht mehr gesehen werden konnte. Dann zwang er sein Pferd von der schlammigen Straße herunter, preschte eine kurze Böschung hinauf und brach durch dichtes Unterholz, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass die dornigen Zweige tiefe blutige Kratzer in die Haut seines Pferdes rissen. Für eine Strecke von vielleicht hundert Schritten bahnte er sich gewaltsam einen Weg durch das Unterholz, dann erreichte er eine schmale Lichtung, die an zwei Seiten von hockhen, rissigen Felsen gesäumt wurde, und hielt an.
Er war allein. Der Wald schwieg, und mit seiner Stille und Kälte kam er ihm für einen Moment vor wie ein großes, dunkelgrünes Grab. Es war ein unheimlicher Ort, ohne dass Rescknec dieses Gefühl irgendwie in Worte kleiden oder gar hätte begründen können. Aber eigentlich fühlte er sich ständig unckwohl, seit er diesen verwunschenen Wald betreten hatte. Und vielleicht lag es auch gar nicht an dieser Lichtung, sondern nur daran, dass er wusste, was hier geschehen würde, in wenigen Augenblicken.
Resnec war kein ängstlicher Mensch, aber er wusste, dass das Schweigen nicht allein auf den Regen und den Lärm zurückzuführen war, den er verursacht hatte, wenngleich beide gemeinsam ausgereicht haben mochten, alles Leben in weitem Umkreis zu vertreiben oder wenigstens zum Verstummen zu bringen. Aber die knisternde, unhörbare Spannung, die die Luft vibrieren und die Büsche angstvoll ihre Blätter zusammenzieckhen ließ, hatte andere Ursachen. Er wusste, was beides zu beckdeuten hatte, und gerade dieser Umstand war der Grund für sein Schaudern. Es war keine Angst. Er hatte es unzählige Mackle erlebt, aber es war ihm niemals gelungen, sich an den Anckblick zu gewöhnen oder den Schrecken, den er in ihm auslöste, vollends zu vertreiben. Aber es war keine Angst. Es war etwas Schlimmeres.
Vor ihm bewegte sich ein Schatten. Sein Pferd, das mit seicknen feinen tierischen Instinkten das Fremde, Falsche an diesem Vorgang zehnmal deutlicher spüren mochte als er, fuhr erschrocken zusammen und versuchte rücklings in den Wald zurückzuweichen. Resnec zwang es mit einem harten Ruck, stehen zu bleiben. Mit einer Mischung aus Unbehagen und Neugier sah er dem Schattenspiel zu.
Wie immer konnte er nicht wirklich erkennen, was geschah. Die Dunkelheit war ein Stück weit aus dem Wald herausgekrochen, ein großer, rauchig aufgelöster Finger, der ziellos hierhin und dorthin zu tasten schien. Dann bildete sich ein tieferer, dunklerer Keim von Schwärze darin, der wuchs in einem Wirckbel aus Finsternis und namenlosem Unbekannten. Dann – ganz plötzlich – trat eine schwarz gekleidete Gestalt aus dem Schattenreich zurück in die Welt, die er in seinem Palast, tausend Meilen und die Dauer eines Atemzugs von hier, verlassen hatte.