»Und was verlangt Ihr dafür?«, fragte Gwenderon misstrauckisch.
Lassar sah Cavin an, als er antwortete. »Nichts als Frieden«, sagte er ernst. »Frieden und freies Geleit für meine Truppen.«
»Freies Geleit?« Cavin schrie fast. »Ihr denkt, ich ließe es zu, dass Ihr mit Kriegern in den Schwarzeichenwald zieht, Lassar? Ihr müsst von Sinnen sein.«
»Nicht in den Schwarzeichenwald«, korrigierte ihn Lassar. »Nur hindurch. Und zu Euren Bedingungen. Ich weiß, dass es Euch schwer fallen wird, meinen Worten Glauben zu schenken, aber ich meine es ehrlich. Und ich hoffe, Ihr seid klug genug dies zu erkennen. Wir haben Krieg gegeneinander geführt und es hat sich gezeigt, dass keine Seite stark genug war die andere zu besiegen. Es sind Fehler gemacht worden, Cavin, auf beiden Seiten. Jetzt ist es an der Zeit, das Kämpfen zu beenden. Ich strecke Euch die Hand in Frieden entgegen.«
»Weil Ihr am Ende seid, Lassar«, sagte Gwenderon wütend. »Weil die Heere der vereinigten Nordländer über die Berge drängen werden, sobald die Pässe schneefrei sind. Weil Ihr Euch einen Krieg an drei Fronten nicht mehr leisten könnt.«
»Vielleicht habt Ihr sogar Recht, Gwenderon«, gestand Lassar ungerührt. »Und wenn? Umso mehr solltet Ihr davon überzeugt sein, dass mein Angebot ernst gemeint ist.«
»Und Ihr denkt, wir würden darauf eingehen?« Gwenderon stieß ein fast komisch klingendes Keuchen aus. »Verzeiht meickne Offenheit, Herr«, sagte er boshaft, »aber niemand im Schwarzeichenwald würde in Tränen ausbrechen, solltet Ihr diesen Krieg verlieren. Wie kommt Ihr auf die Idee, dass wir Euch plötzlich helfen würden ihn doch noch zu gewinnen?«
»Vielleicht, weil ich Euch sonst vernichten würde«, antwortete Lassar kalt.
Cavin versteifte sich. Als Gwenderon diesmal antworten wollte, schnitt er ihm mit einer befehlenden Geste das Wort ab und trat zornig einen Schritt auf Lassar zu.
»Was soll das bedeuten, Lassar?«, fragte er kalt. »Erklärt Euch!«
»Das hätte ich längst getan, mein König, würde mich dieser hitzköpfige Narr an Eurer Seite nicht ständig unterbrechen«, antwortete Lassar kalt. »Aber wie Ihr wollt: Ihr habt gehört, was ich Euch biete und was ich dafür verlange. Ich gebe Euch drei Tage, über mein Angebot nachzudenken, Cavin. Ihr könnt es annehmen und Euch und den Euren damit den Frieden erkaufen. Was geht Euch das Schicksal der Welt an? Es steht nicht in Eurer Macht, es zu ändern. Es steht nicht einmal in Eurer Macht, meinem Heer den Weg durch diesen Wald zu verwehren. Und das wisst Ihr.«
»Macht Euch nicht lächerlich«, sagte Gwenderon. »Seit sechs Monaten schickt Ihr Männer in den Schwarzeichenwald, um uns zu töten. Und seit der gleichen Zeit schicken wir sie Euch zurück. Auf die Rücken ihrer Pferde gebunden und tot.«
Lassars Blick sprühte vor Zorn. »Ich sagte schon mehrmals, dass Ihr ein Narr seid, Gwenderon«, zischte er. »Ich gebe zu, dass es mir nicht gelungen ist, Euch zu besiegen. Vielleicht ist es unmöglich, den Schwarzeichenwald zu erobern, und ganz sicher reicht nicht einmal meine Macht dazu. Aber ebenso sicher reicht sie aus, ihn zu vernichten. Zerstören, Gwenderon, ist immer leicht. Schaut Euch um, dann seht Ihr den Beweis.«
Gwenderon spannte sich. »Du Hund!«, keuchte er. »Du –«
Cavin legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter und Gwenderon verstummte abrupt. Seine Hand krampfte sich um das Schwert in seinem Gürtel.
»Euer Ansinnen kommt … ein wenig überraschend, Lassar«, sagte Cavin stockend. »Und Ihr werdet verstehen, wenn ich nicht sofort darauf antworte.«
»Natürlich«, antwortete Lassar. »Es hätte mich erstaunt, würdet Ihr anders reagieren, mein König.« Durchdringend blickte er Cavin an und es war etwas in seinen Augen, was den jungen König schaudern ließ. Es war der Blick einer Schlange, dachte er fröstelnd, einer Schlange, die ihr Opfer mustert und überlegt, von welcher Seite sie es packen kann.
»Ich erwarte nicht, dass Ihr nur meinem Wort glaubt«, fuhr Lassar fort, als er nicht antwortete. »Aber Euer klarer Verstand sollte Euch sagen, dass ich die Wahrheit spreche. Überdies steht es Euch frei, Euch von der Ehrlichkeit meines Angebotes zu überzeugen. Bringt meinetwegen diesen Narr Faroan mit. Er wird Euch sagen, ob ich es ehrlich meine.«
»Faroan ist –«
»Ich weiß, was mit Faroan ist«, unterbrach ihn Lassar scharf. »Es war mein erster Fehler, ihn zu unterschätzen, und vielleicht der entscheidende überhaupt. Überlegt Euch mein Angebot und bedenkt, was geschehen würde, würdet Ihr es ausschlagen.«
»Ihr droht mir?«
»Nein«, sagte Lassar kalt. »Ich sage Euch, was ich tun werde, das ist alles. Der Schwarzeichenwald hat keinen Wert mehr für mich. Es gab eine Zeit, in der ich glaubte ihn zu brauchen, aber das ist Vergangenheit. Jetzt ist er nur noch ein Hindernis, etckwas, das meine Pläne stört. Ich könnte Euch zwingen meinen Kriegern Durchlass zu gewähren. Ich könnte ihn so niederckbrennen, wie ich dieses Schloss niedergebrannt habe.«
»Warum tust du es nicht, wenn es so leicht für dich ist?«, fragte Gwenderon hasserfüllt. Wieder spannte sich seine Gestalt, und für einen Moment – einen winzigen Moment nur, aber überdeutlich – spürte Cavin, wie die Spannung zwischen den beiden ungleichen Männern unerträglich wurde. Ein Wort, eine falsche Betonung, ja, eine falsche Miene von Lassar, das wusste er, und keine Macht der Welt würde Gwenderon noch davon abhalten, seine Waffe zu ziehen und sich auf ihn zu stürckzen, ungeachtet dessen, was anschließend mit ihm geschah.
Aber zu seiner eigenen Verwunderung nahm der Herr der Schatten auch diese Provokation hin. »Weil es in diesem Fall einfacher ist, den Frieden zu erkaufen, statt ihn mit Waffengewalt zu erzwingen. Ihr wisst, dass ich niemals etwas Grundlockses tue«, antwortete Lassar. Er lächelte kalt, wandte sich wieckder an Cavin und deutete eine Verbeugung an. »Ich erwarte Euch in drei Tagen, mein König«, sagte er. »Und Eure Antckwort.«
11
Sie waren hinter ihr her. Vor einer Stunde hatte Animah das erste Mal Hufschlag gehört, wenig später Rufe und das schrille Wiehern von Pferden und dann den Laut, den sie von allen Lauten am meisten gefürchtet hatte: das heisere, gierige Bellen der Hunde, die ihre Spur aufgenommen hatten. Seit diesem Moment rannte sie.
Sie hatte einen halb zugefrorenen Bach durchwatet, war durch einen Sumpf gestolpert und in einer halsbrecherischen Kletterei von Baumkrone zu Baumkrone gewechselt, um ihre Spur zu verwischen, aber es war ihr nicht gelungen. Ein paar Mal waren das Bellen und das Stampfen der Hufe hinter ihr zurückgeblieben, ein- oder zweimal auch ganz verstummt, aber nur, um kurz darauf erneut – und jedes Mal ein ganz kleines bisschen näher – an ihr Ohr zu dringen. Der Wald und die Dunkelheit schützten sie, aber ihr Schutz reichte nicht, die Übermacht der Verfolger auszugleichen. Einmal, als sie in eine Baumkrone gestiegen war und halb tot vor Erschöpfung innegehalten hatte, um wieder zu Atem zu kommen, hatte sie sie gesehen: auf die Entfernung nichts als glitzernde Lichtreflexe im schwarzweißen Labyrinth des verschneiten Waldes. Es waren zwanzig, vielleicht auch dreißig Reiter in schwarz glänzenden Lederrüstungen, begleitet von einer ganzen Meute kläffender Bluthunde, die voller Wut an ihren Leinen zerrten. Animah verstand nicht, warum die Reiter die Tiere nicht längst losgelassen hatten; aber sie verstand, dass sie binnen zehn Minuten tot und zerfetzt sein würde, wenn sie es taten.
Aber auch so schob sie das Ende ihrer verzweifelten Flucht nur hinaus. Spätestens in zwei, drei Stunden, wenn die Sonne aufging und die Dunkelheit wich, die sie bisher beschützt hatte, würden die Reiter sie einholen. Und dann … ja, dann würde sie sterben, ganz gleich was die Männer mit ihr vorhatten. Sie war entschlossen, sich eher in ihr Schwert zu stürzen, als sich ein zweites Mal Lassars Willkür auszuliefern. Nur aus diesem Grund hatte sie die Waffe noch bei sich, deren Gewicht ihr in den letzten Stunden zur Qual geworden war. Den Schild hatte sie längst fortgeworfen.