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»Vor ihrer Tür steht eine Wache«, begann Karelian von neuckem.

»Auch das weiß ich, mein Freund«, sagte Cavin. »Sie steht auf meinen Befehl dort. Animah war ein halbes Jahr Lassars Gefangene.«

Karelian fuhr auf. »Sie ist halb tot, und –«

»Und genau das kann ein Trick sein, Karelian«, unterbrach ihn Cavin, leise, aber sehr entschieden. Karelian schluckte ein paar Mal und wandte den Blick ab, ehe er weitersprach.

»Ihr sprecht schon fast wie Gwenderon«, murmelte er.

»Ich spreche über den Mann, der sich selbst den Herrn der Lügen nennt«, verbesserte ihn Cavin. »Niemand weiß, was in diesem halben Jahr geschehen ist, Karelian. Niemand weiß, was er mit Animah gemacht hat. Wir wissen nicht einmal, wieckso sie plötzlich hier ist.«

»Was hat Euch der Raett gesagt?«, fragte Karelian. »Er hat mit ihr gesprochen, aber ich durfte nicht dabei sein.«

»Es war überflüssig«, gestand Cavin. »Er hat mit ihr geredet, aber er hat nichts erfahren. Nicht das, was ich wissen wollte. Was sie sagt, ist die Wahrheit.«

»Und warum lasst Ihr sie dann wie eine Gefangene behandeln?«

»Es ist das, was sie für die Wahrheit hält«, sagte Cavin ruhig. »Auch Guarr vermag nur Wahrheit und Lüge auseinander zu halten, Karelian. Er erkennt nicht, wenn jemand getäuscht wurde. Gib mir ein wenig Zeit, ich bitte dich. In einer Woche ist dieser ganze Spuk vorbei, wenn Lassar Wort hält. Dann ist sie frei …«

»Trotzdem stellt sie wohl kaum eine Gefahr dar«, beharrte der Waldläufer. »Wäre Lassar so mächtig, müsste er nicht lückgen und täuschen, um seine Ziele zu erreichen.« Aber seine Worte hörten sich nicht so an, als glaubte er selbst, was er sagckte. Cavin kam es eher so vor, als versuche er sich damit selbst zu beruhigen. Er war ein wenig verblüfft – er hatte geglaubt, auf stärkeren Widerspruch zu stoßen, vor allem jetzt, wo er wusste, wie Karelian zu Animah stand. Aber vielleicht war er nur erleichtert, sie frei und lebend wieder zu sehen, alles andere zählte nicht.

»Du spürst es auch, nicht?«, fragte er leise.

Karelian wich seinem Blick aus, aber nur für einen Moment, dann nickte er, starrte einen Moment zu Boden und atmete hörbar aus. »Es ist … viel Zeit vergangen, Herr«, sagte er stockend. »Es sind Wunden geschlagen worden, die Zeit brauchen, um zu heilen.«

Cavin schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht«, sagte er ernst. »Du fühlst es genau wie ich. Jeder spürt es, Karelian. Ich bin heute Nacht durch die Burg gegangen und habe mit den Männern gesprochen. Und es war keiner unter ihnen, der es nicht gefühlt hätte.« Er schwieg einen Moment, und als er weitercksprach, hörte Karelian, wie schwer es ihm fiel, die wenigen Worte auszusprechen.

»Wir haben einen Fehler begangen, mein Freund«, sagte er. »Ich weiß noch nicht, welchen, und ich weiß noch nicht, welche Folgen er haben wird, aber wir hätten auf Gwenderon hören sollen.«

»Guarrs Raetts behalten das Heer im Auge«, sagte Karelian. »Sie tun keinen Schritt, von dem wir nicht wüssten.«

»Und was, glaubst du, können wir tun, wenn sie das Abkommen brechen?«, fragte Cavin düster. »Du hast das Heer gesehen, Karelian. Viele sind geflohen oder gestorben, aber es sind noch immer mehr als zehntausend. Fünfzig auf jeden von uns.«

Karelian antwortete nicht, aber gerade dieses Schweigen sagckte Cavin mehr als alles, dass auch der Waldläufer den Pestgestank des Bösen spürte, der sich in den Mauern der Burg eingenistet hatte.

»Was wollt Ihr tun?«, fragte Karelian nach einer Weile.

Cavin sah ihn nicht an, sondern blickte starr weiter nach Sückden, dorthin, wo Lassars Heer seinen Weg zog. »Ich weiß es nicht«, murmelte er. »Alles, was ich weiß, Karelian, ist, dass ich Angst habe. Und ich weiß nicht einmal wovor.«

17

Das Heer lag wie ein gigantisches, aus abertausend glänzenden Schuppen zusammengesetztes Ungeheuer auf dem Fluss. Die Luft war grau und bitter riechend und der Boden schien selbst hier oben, eine gute Meile entfernt, noch unter dem Rhythmus des marschierenden Heeres zu beben. Gwenderon fragte sich allen Ernstes, warum das Eis nicht unter dem Gewicht der mehr als dreißig Flöße und gut zweitausend Reiter brach.

Gwenderon rieb sich mit Daumen und Zeigefinger der Linken über die Augen, um die Tränen fortzuwischen, die ihm das grelle Gegenlicht in die Augen trieb. Das Sonnenlicht wirkte rot wie ein unseliges Omen, und gegen das Blau des Flusses und das verwischte Grünbraun des Waldes dahinter wirkte das Heer wie eine hässliche schwarze Narbe, die in die Wirklichkeit gerissen worden war.

»Es sind … so viele«, murmelte Gesset verstört. Es waren die ersten Worte, die der Raett sprach, seit sie den Waldrand erreicht und das heranrückende Heer unter sich erblickt hatten. Seine Stimme klang flach; Gwenderon hörte, dass der Anblick Gesset ebenso geschockt hatte wie ihn. Er hatte mit einer Armee gerechnet, aber das hier war …

Er fand nicht das richtige Wort. Ausdrücke wie gigantisch oder ungeheuerlich schienen nicht auszureichen, die schier endlose Masse von Männern und Pferden zu beschreiben, die sich unten auf dem Eis entlangwälzte. Während der letzten Nacht waren immer wieder Späher zurückgekommen, die die eine oder andere Einzelheit zu berichten wussten, aber jetzt, als Gwenderon die ganze Masse des Heeres unter sich sah, begriff er, dass sie alle nicht mehr als einen Bruchteil der ungeheuren Armee erblickt hatten. Sie hatten von vielen Männern gesprochen; tausend, vielleicht mehr. Aber was sie gesehen hatten, konnte nicht mehr als die Vorhut gewesen sein.

»Zehntausend«, murmelte Gesset. »Es müssen … mehr als zehntausend sein, Gwenderon.« Seine Augen waren weit vor Unglauben.

»Lassars gesamte Armee«, sagte Gwenderon. »Er muss all seine Krieger zusammengezogen haben, Gesset. Das … das ist sein ganzes Heer.«

»Was bedeutet das?«, murmelte Gesset. »Er … er …«

»Er flieht«, beendete Gwenderon den Satz, als der Raett nicht weitersprach. Plötzlich war alles ganz klar. Lassars großzügiges Angebot, sein plötzlicher Friedenswille, die Kunde von den Niederlagen, die seine Krieger an allen Fronten hatten einstecken müssen – dies alles fügte sich mit einem Male zu einem deutlichen Bild zusammen. Es war das, was Cavin und er erckwartet hatten, was er Lassar praktisch ins Gesicht gesagt hatte, als er ihm gegenüberstand. Aber es war etwas ganz anderes, es zu sehen.

»Er flieht, Gesset!«, wiederholte er erregt. »Begreifst du denn nicht? Lassar ist besiegt! Das da unten sind all seine Krieger, die Besatzungen all seiner Städte und Burgen. Er weiß, dass er den Krieg verloren hat. In wenigen Tagen schon werden die Pässe frei sein und Lassar sitzt wie eine Maus in der Falle, wenn die Heere seiner Feinde anrücken.«

Er ballte die Faust und schlug so wuchtig auf den Sattel, dass sein Pferd erschrocken tänzelte. »Und wir öffnen ihm den einzigen Weg aus dieser Falle! Ich habe es gewusst. Cavin wird einen furchtbaren Preis für den Handel zahlen müssen, den er eingegangen ist.«

Gesset blinzelte. »Das verstehe ich nicht.«

»Dann will ich es dir erklären!«, sagte Gwenderon erregt. »Lassar führt seit mehr als zehn Jahren Krieg, Gesset. Es gibt kaum ein Land, das er nicht angegriffen und erobert oder zuckmindest geplündert und gebrandschatzt hätte.«

»Das weiß ich«, begann Gesset, aber Gwenderon hörte seine Worte gar nicht, sondern fuhr erregt fort: »Vor zwei Jahren haben die nördlichen Königreiche eine Allianz gebildet und Lassars Heere zurückgeschlagen, und jetzt ist es endlich so weit, dass sie ihn in der Falle haben. Er kann nicht mehr entkommen, und nicht einmal seine Macht reicht aus, der erdrückenden Übermacht standzuhalten, die mit dem Frühjahr über die Berge kommen wird. Begreifst du immer noch nicht, Gesset – Lassar ist verloren! Die nördliche Allianz wird ihn schlagen. Besser gesagt – sie würde es, hätte er nicht einen Weg gefunden, sich und den Großteil seines Heeres in Sicherheit zu bringen. Wahrscheinlich zu dem einzigen Zweck, in ein paar Jahren mit mehr Kriegern und neuen Teufeleien zurückzukommen.«