Bonnie stellte den Dampfreiniger ab und wartete bis das Gurgeln verebbt war. »Dann kannst du schon mal mit der Couch weitermachen.«
»Will sie etwa die Couch behalten?«
»Das Ding kostet locker tausend Dollar.«
»Ich könnte meine Couch jedenfalls nicht behalten, wenn sich mein Mann darauf umgebracht hätte. Selbst wenn sie zehntausend Dollar gekostet hätte. Das wäre ständig so, als würde ein toter Mann neben einem sitzen.«
»Tja, das werde ich Duke wohl erzählen, wenn die Playoffs wieder losgehen.«
Der Raum war warm und stickig und es stank nach feuchtem Teppich. Bonnie schob das Fenster weit auf. Auf dem Sims stand in einem Terrakottatopf ein kleiner Feigenbaum, den Bonnie vorsichtig zur Seite schob, damit er nicht von den Vorhängen heruntergerissen würde. Etwas Schwarzes, Glänzendes fiel von einem Blatt. Es krümmte sich.
»Uäh!«, machte sie und trat einen Schritt zurück.
»Was?«
»Eine Made oder so was. Ist gerade aus der Pflanze gefallen.«
Esmeralda kam zu Bonnie herüber und starrte in die Pflanzenerde. Eine fette schwarze Raupe begann gerade an der Pflanze emporzukrabbeln. Ihr Körper wand sich bei jeder Bewegung.
»Das ist ja ekelhaft«, sagte Bonnie. »Schau! Da sind noch mehr.« Am Topfrand drängten sich halb verborgen noch fünf Raupen. Sie schienen alle ununterbrochen zu fressen, sodass die Ränder der Feigenblätter fein ausgefranst waren.
Esmeralda bekreuzigte sich zweimal.
»Warum machst du das ständig?«, fragte Bonnie.
»Ich hasse diese Dinger. Sie sind des Teufels.«
»Das sind nur Raupen. Die tun dir doch nichts.«
»Ich hasse sie. Besonders die schwarzen. Die bringen nur Unglück.«
»Du bist so was von abergläubisch, Esmeralda. Noch schlimmer als Ruth. Aber wenn du sie so hasst, dann hol das Permethrin-Spray und kill sie. Mrs Goodman wird jedenfalls kaum begeistert sein, wenn sie sieht, was die Raupen mit ihren Feigen gemacht haben.«
Bonnie warf noch mal einen Kontrollblick durchs Zimmer, um sicher zu gehen, dass sie nichts vergessen hatte. Naomis Bett war abgezogen, am Nachmittag würde sie dann den Rest abholen. Sie würde die Verkleidung abreißen und die Bettgestelle der Kinderwohlfahrt bringen.
Eine warme Brise bewegte die Vorhänge, drückte sie gegen die Feigenstaude. Bonnies Aufmerksamkeit wurde wieder auf die Raupen gelenkt. In ihrem Job hatte sie schon alle möglichen Arten von Maden und Raupen und Insekten gesehen, aber solche noch nie. Vielleicht waren die Eier schon in der Erde gewesen, als Mrs Goodman sie gekauft hatte, und jetzt waren sie gerade erst geschlüpft.
Esmeralda kam mit dem Insektizid herein.
»Moment noch«, sagte Bonnie. »Eine will ich behalten. Vielleicht kann mir Dr. Jacobson sagen, was das für welche sind.«
Sie zupfte einen Einmalhandschuh aus einer Box und blies ihn auf. Dann hielt sie ihn unter ein Blatt, auf dem eine Raupe saß, und schüttelte den Zweig. Die Raupe hielt sich hartnäckig fest, bis Bonnie mit einem anderen Handschuh nachhalf und sie in den Handschuh schnippte. Die Raupe fiel in einen der Finger. Sie stopfte noch ein paar angefressene Feigenblätter dazu und verschloss den Handschuh.
»Soll ja nicht verhungern, oder?«
Esmeralda rümpfte die Nase. »Was willst du überhaupt damit?«
»Ich bin einfach neugierig. Es liegt in meiner Natur, den Dingen auf den Grund zu gehen, das ist alles.«
»Aber es bringt Unglück!«
Esmeralda besprühte die Feige so lange von allen Seiten, bis Bonnie glaubte, in dem Raum ersticken zu müssen.
Eine Raupe nach der anderen wand und krümmte sich, bis alle von den Blättern auf die Fensterbank gefallen waren.
»Ich glaube fast, das macht dir Spaß«, sagte Bonnie.
»Allerdings. Ich kann nicht anders«, sagte Esmeralda und hielt den Spraystrahl voll auf eine noch lebende Raupe. »Da! Stirb, du widerliches Drecksvieh.«
Bonnie ging wieder hinüber ins Wohnzimmer. Sie waren fast fertig. Mithilfe eines kräftigen Mannes, den sie an der Ecke Hollywood und Highland angeheuert hatten, war der große Teppich in handliche Stücke zersägt und auf Bonnies Pick-up verladen worden.
Die Wände waren sauber. Nur das Einschussloch der Schrotflinte zeugte noch von dem Geschehen. Bonnie besserte solche Schäden nicht aus, dafür empfahl sie Kollegen. Die cremefarbene Ledercouch war fleckenfrei, aber die Oberfläche wirkte angegriffen und matt. Der metallische Gestank des Blutes war von einem antiseptischen Geruch verdrängt worden, ein bisschen wie beim Zahnarzt. Ruth hatte überall gesaugt, aber nicht poliert. »Wir putzen, wir reinigen, aber wir sind keine Hausmädchen.«
An der Stelle, an der Aaron Goodman sein Blut vergossen hatte, sah man noch wie einen Schatten den Umriss der Lache. Nur durch ein Austauschen der Bohlen würde man den Rest dieses Fleckens wegbekommen.
Bonnie ging um den Restfleck herum und schien nicht sehr glücklich. »Besser kriegen wir das nicht hin?«
»Ist tief ins Holz eingedrungen. Ich hätte da noch eine stärkere Lauge, aber ich fürchte, die bleicht das Holz aus.«
Bonnie ging immer weiter um den Fleck herum. Sie wusste nicht, warum sie nicht aufhören konnte, ihn anzustarren. Irgendetwas beunruhigte sie. Es war, als würde die Erinnerung an ein Lied, eine Warnung vielleicht, sie nicht zur Ruhe kommen lassen. Die Form. Es war die Form des Flecks. Er sah aus wie eine große Blume – oder wie eine gigantische Motte.
Am selben Abend
Erschöpft und verschwitzt kam Bonnie an diesem Abend nach Hause. Ruth und sie hatten sich nicht nur um das Goodman-Haus, sondern auch noch um eine natürliche Todesursache in Westwood kümmern müssen. Eine Frau Mitte achtzig war friedlich im Schlaf gestorben und erst nach neun Wochen gefunden worden. Ihr Sohn, ein kleiner untersetzter Mann mit pechschwarzem Toupet, rannte die ganze Zeit rastlos durch die Wohnung, während Bonnie und Ruth arbeiteten. Und ständig blickte er auf seine Armbanduhr.
Bonnie hatte der Versuchung widerstanden und ihn nicht gefragt, warum er seine Mutter in neun Wochen nie angerufen hatte.
»Ich wohne in Albuquerque«, hatte er ungefragt geantwortet, als sie am Ende ihre Eimer und Flaschen und Planen wieder verluden.
Bonnie blickte ihn stumm und verbissen an. Ach so, dachte sie. Und in Albuquerque gibt es ja keine Telefone, oder was? Auf dem Heimweg dachte sie: Ich hätte ihm die Bettdecken seiner Mutter zeigen sollen.
Sie trat ins Wohnzimmer. Duke schaute gerade Baseball. Bonnie küsste ihn auf den Kopf. Unwillkürlich strich er sich mit den Fingern die Frisur wieder zurecht.
»Wie war dein Tag, Schatz?«, fragte sie und setzte sich auf die Lehne seines Sessels.
»Ganz gut, glaub ich. Ich hab mit Vincent vom Century Plaza gesprochen. Er hat vielleicht einen Job an der Bar für mich.«
»Na prima. Und was würdest du da machen? Cocktails mixen und so? Ein Frozen Daiquiri? Kommt sofort! Und für Madame eine Pina Colada.«
»Nee. Vor allem eindecken und abräumen und so.«
Bonnie gab ihm noch einen Kuss. »Aber es ist ein Job, stimmt’s? Und damit auch ein Anfang.«
»Klar, ein Anfang«, sagte er und beugte sich zur Seite, um an ihr vorbei das Spiel sehen zu können.
Bonnie duschte und zog sich ein gelbes Kleid mit einer gelben Kette an. Ihre Glücksfarbe. In der Küche nahm sie sechs Hühnerschenkel aus dem Tiefkühlschrank.
»Frittiertes Hähnchen okay?«
»Mit Soße?«
Für einen Augenblick musste sie an den Blutfleck auf dem Boden des Goodman-Wohnzimmers denken. »Ja, mit Soße.«
Sie streute Mehl auf einen großen, flachen Teller und gab Salz, Pfeffer und Chilipulver dazu. »Ist Ray schon zu Hause?«
»Ray? Nee, noch nicht.«
»Hat aber nicht gesagt, dass es später wird, oder?«