»Na, weil da die ganzen mexikanischen Kids rumhängen.«
»Und? Haben die dir je was getan? Um Gottes willen, Ray. Die Polizei sagt, ihr hattet Messer und Baseballschläger dabei.«
»Mum, das waren doch Mexikaner.«
»Dann waren es eben Mexikaner. Ich verstehe es einfach nicht. Warum habt ihr die so brutal angegriffen?«
»Weil die doch an allem Schuld sind.«
»Entschuldige, wahrscheinlich bin ich einfach zu blöd, aber ich verstehe es immer noch nicht.«
»Dann schau dir doch nur Dad an! Die kommen hierher und nehmen uns Amerikanern die Jobs weg, und darum sind doch alle arbeitslos.«
»Du hast wildfremde Mexikaner verprügelt, weil andere wildfremde Mexikaner deinem Vater den Job weggenommen haben?«
»Ja«, sagte Ray. Er musste husten und krümmte sich vor Schmerz. »Sieh dich doch an, Mum. Sieh euch beide an. Was ist aus euch geworden, weil Dad keinen Job hat? Dad frisst alles in sich rein, du musst Leichenreste aufkratzen, immer streitet ihr, und das alles nur wegen diesen Mexikanern.«
Bonnie konnte nur ungläubig den Kopf schütteln. »Was geht nur in deinem Kopf vor? Und wenn du jemanden umgebracht hättest? Dann würdest du jetzt für den Rest deines Lebens ins Gefängnis wandern. Oder jemand hätte dich umbringen können. Schau dich nur an. Viel gefehlt hätte nicht.«
Bebend vor Wut stand sie auf. »Du bist mein Sohn, mein einziger Sohn, Ray. Und ich habe dich anständig erzogen, dir gezeigt, was richtig und falsch ist. Dass dein Dad seinen Job verloren hat, war unfair und vielleicht ging es auch nicht mit rechten Dingen zu. Aber das gibt dir noch lange nicht das Recht, wahllos Mexikaner anzugreifen wie… wie ein verdammter Nazi. Das kann ich nicht akzeptieren, verstanden. Mein Sohn tut so etwas nicht. Ich warne dich, Ray.«
Duke nahm ihren Arm und versuchte sie zurückzuhalten. »He Bonnie, mach mal halblang. Sieh ihn dir an, er ist doch schon bestraft genug.«
»Denkst du das im Ernst? Dein Sohn ist mit Messer und Schläger losgezogen, um unschuldige Leute mit Vorsatz anzugreifen!«
»He, also Moment mal, okay? Unschuldige Leute? Woher weißt du, dass sie unschuldig waren? Diese Mexikaner arbeiten alle schwarz, zahlen keine Steuern, verticken Drogen und schmuggeln alles mögliche Zeug. Die würden auch ihre eigene Schwester verkaufen, jedenfalls die meisten. Von wegen unschuldig. Und woher bist du dir überhaupt so sicher, wer hier wen angegriffen hat, hä?«
Bonnie starrte ihn an. »Ich glaube einfach nicht, was ich da höre.«
»Ich sag ja nur, dass du fair sein musst, Süße. Du kannst den Jungen nicht so angehen, wenn du nicht alle Fakten kennst.«
»Fair? So langsam kapiere ich, worum es hier geht. Du bist stolz auf ihn, stimmt’s? Du bist wirklich stolz auf ihn. Für dich ist er so eine Art Held, was? Weil er dich verteidigt hat und du nie damit gerechnet hättest und jetzt bist du so verdammt stolz auf deinen Sohn.«
»Bonnie, also…«
»Vergiss es, Duke. Diesen bigotten Dreck hör ich mir nicht länger an. Ich geh nach Hause. Ray, hast du schon mit den Cops geredet?«
Ray schüttelte nur stumm den Kopf.
»Dann sprich mit niemandem ein Wort. Nicht mit den Cops, nicht mit den Ärzten, mit niemandem, verstanden? Warte, bis ich mit ein paar Leuten downtown geredet habe. Eigentlich sollte ich morgen in Pasadena sein, aber das kann ich absagen. Also kein Wort, klar? Und denk dran, den Schwestern zu sagen, dass du allergisch gegen Brokkoli bist.«
Ray wandte sich ab. Bonnie war klar, dass er noch nicht bereit war, sich zu entschuldigen. Sein Vater grunzte etwas Ermutigendes und klopfte ihm auf die Schulter. Dann folgte er Bonnie aus dem Zimmer in den Flur.
Erst im Fahrstuhl machte er den Mund auf. »Mein Gott, Bonnie. Das ist Amerika. Das hat dieses Land immer stark gemacht, dass man für seine Ideale kämpft. Heutzutage traut sich das nur keiner mehr, wegen all dieser beschissenen Minderheiten. Wusstest du, dass Dave Guthrie gerade seinen Job an so einen Tortilla-Fresser verloren hat? Warum klingeln die nicht einfach bei uns an der Tür und schleppen unsere Möbel raus?«
»He, Davy Crockett, für heute reicht’s mir wirklich.«
Ralphs Worte
»Es tut mir wirklich Leid, Bonnie, aber wenn du diesen Trip nach Pasadena nicht machen willst, dann muss ich mir über kurz oder lang jemanden suchen, der verlässlicher ist. Verstehst du, was ich meine?«
»Du schmeißt mich raus.«
»Bonnie, ich muss mich einfach zu hundert Prozent auf meine Mitarbeiter verlassen können.«
»Ralph, sei doch nicht so herzlos. Ray liegt zusammengeschlagen im Krankenhaus, und jetzt will ihn die Polizei auch noch für bewaffneten Überfall anklagen.«
»Ich verstehe das, Bonnie, ich verstehe das wirklich sehr gut, aber bei dieser Reise geht es um Gewinn und Verlust.«
»Es geht nicht, Ralph. Also wenn du mich rausschmeißen musst, dann musst du mich rausschmeißen, aber meine Familie hat Vorrang.«
Für einige Sekunden herrschte Schweigen. Dann sagte Ralph: »Ich bin enttäuscht, Bonnie. Du ahnst gar nicht, wie enttäuscht ich bin.«
Was sie mit ins Krankenhaus nahm
Auf dem Weg ins Krankenhaus hielt sie an einem kleinen Supermarkt und kaufte:
- drei Pfirsiche
- eine Mega-Flasche Dr. Pepper
- eine Packung Rainbow-Chips Deluxe
- eine Colgate-Zahnbürste mit Schwingkopf
- eine Tube Zahnpasta
- eine Box Menthol-Kleenextiicher
- die aktuelle Ausgabe einer Fernsehzeitschrift, die sich auf Soaps spezialisiert hatte
Herr der Fliegen
Am Morgen wachte Bonnie fast eine Stunde an Rays Bett. Sein Gesicht war noch immer geschwollen, seine Prellungen hatten sich lila verfärbt. Weil er sich aber von der Gehirnerschütterung erholt hatte, wirkte er wesentlich lebhafter als am Tag zuvor.
Ray sah fern, während Bonnie über ihre Kontakte zur Polizei herauszufinden versuchte, wer den Einsatz an der X-Cat-Ik-Pool-Bar geleitet hatte und ob Anklage erhoben werden würde.
»Würdest du den Ton bitte leiser machen?«, sagte Bonnie und steckte sich einen Finger ins Ohr.
»Was?«
»Leiser. Den Ton. Ich versuche gerade, dir Ärger vom Hals zu halten.«
Als der Akku ihres Mobiltelefons schon beinahe den Geist aufgab, bekam sie doch noch Captain O’Hagan in die Leitung.
Außer »tja« und »mmh« und »gut, gut« sagte er nicht viel, aber am Schluss des einseitigen Gesprächs machte er doch noch ein Angebot. »Ich kann dir nichts versprechen, Bonnie, aber ich schau mir das Protokoll mal an und mach ein bisschen Origami damit, okay?«
»Ich bin dir was schuldig, Dermot.«
»Noch nicht. Aber wenn’s so weit ist, kannst du deinen süßen Hintern drauf verwetten, dass ich’s auch eintreibe.«
Sie klappte ihr Telefon zu. »Okay Ray, das wär’s. Vielleicht kommst du doch mit einem blauen Auge davon.«
»Danke Mom. Echt toll. Kommt Daddy heute vorbei?«
»Er wollte zumindest, aber heute Morgen hat er noch ein Vorstellungsgespräch. Als Barkeeper drüben im Century Plaza.«
»Ohne Witz?«
Bonnie lächelte, erhob sich vom Bett und blickte für einige Augenblicke auf Ray hinunter, der sich wieder dem Fernsehen zugewandt hatte. Kennt man seine Kinder? Oder denkt man nur, sie seien wie man selbst? In Ray steckte viel von Duke. Vielleicht mehr, als Bonnie sich je eingestanden hatte. Sie küsste ihn sanft auf die Wange und verließ den Raum. Er reagierte nicht, sagte nicht einmal auf Wiedersehen.
Sie fuhr zur Universität von Los Angeles. Weil die Morgenluft schon sehr warm war, ließ sie alle Fenster ihres Autos herunter. An der Kreuzung Wilshire und Beverly Glen musste sie vor einer roten Ampel halten, und neben ihr kam ein goldenes Mercedes Cabriolet zum Stehen, in dem ein Mann um die fünfzig mit Sonnenbrand auf der Glatze saß.