»Hey, Sie gehen schon wieder.«
»War ein Irrtum«, sagte Bonnie und versuchte dabei, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. »Hab mich in der Party geirrt.« Die Absätze ihrer Sandalen klackerten laut auf dem Asphalt, während sie auf dem Lincoln Boulevard davoneilte.
»Bonnie«, rief hinter ihr Kyle Lennox, »Bonnie, warten Sie doch.«
Sie drehte sich nicht um. Sie wollte nur weiter, weiter bis zu ihrem Pick-up, und nie in ihrem Leben wieder an Kyle Lennox oder Die Wilden und die Widerspenstigen denken. Sie verfluchte ihre Eitelkeit. Was hatte sie sich denn vorgestellt? Dass Kyle Lennox sie zu seiner Party eingeladen hatte, weil sie so schön und reich und berühmt war? Mit ihrer Rüschenbluse und ihren Hosen, aus denen das Fett quoll, hatte sie doch zwischen all diesen Filmstars wie die Kellnerin in einem billigen Diner ausgesehen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Und dann noch der Lycra-Badeanzug in der Plastiktasche?
Kyle Lennox lief ihr noch ein paar Schritte hinterher, winkte dann ab und ging zurück zu seinen richtigen Gästen.
Bonnie kam gerade rechtzeitig zu ihrem Wagen, um zu sehen, wie ein Polizist einen Strafzettel unter ihren Scheibenwischer klemmte.
Später im Dunkel der Nacht
In ihren Augen brannten heiße Tränen, als sie sich in dieser Nacht in ihrem Bett so fest wie möglich zusammenrollte. Sie wollte eigentlich nicht weinen, aber ihre Kehle schmerzte so sehr, dass sie laut aufschrie.
Noch einmal und noch einmal entrang sich ein Schrei ihrer Kehle und dann begann sie so heftig zu weinen, dass sie kaum Luft bekam.
Duke setzte sich im Bett neben ihr auf. »Was gibt es denn verdammt noch mal zu lachen?«
Sie schnappte nach Luft, wollte antworten, aber konnte nicht.
»Es ist halb drei Uhr morgens. Was zum Henker ist so komisch?«
»Ich lache doch gar nicht«, sagte sie schließlich und wischte sich die Tränen mit dem Betttuch vom Gesicht. »Ich weine.«
»Du weinst?« Es entstand eine lange Pause. »Warum weinst du?«
»Ich weiß es nicht, Duke. Vielleicht habe ich nur was Trauriges geträumt.«
»Was Trauriges geträumt? Du hast also was Trauriges geträumt und musst deshalb gleich den Gesang der Wale anstimmen?«
»Es tut mir Leid.«
»Ja ja, aber tu mir bitte den Gefallen und schlaf jetzt. Und komm ja nicht auf die Idee, was Lustiges zu träumen.«
Bonnie wischte sich mit den Händen über die Augen. »Nein, Duke«, schniefte sie, »bestimmt nicht.«
Pasadena oder am schönsten ist es immer woanders
»Phil, ich möchte dir Bonnie vorstellen. Bonnie, das ist Phil Cafagna, Chefeinkäufer von Pacific Pharmacy.«
Der Mann mit den grauen Haaren im grauen Anzug küsste galant ihre Hand. »Ich bin entzückt und fühle mich in meiner Ansicht bestätigt, dass Ralph einen außergewöhnlichen Geschmack hat.«
»Bonnie ist eine unserer besten Mitarbeiterinnen, Phil. Dank ihr haben wir unseren Turnover dieses Jahr um sechs Prozent steigern können.«
»Kein Wunder, wenn ich sie mir so anschaue«, sagte Phil lächelnd. Seine blauen Augen glänzten im sonnengebräunten Gesicht. Irgendwie erinnerte er Bonnie an Blake Carrington aus dem Denver-Clan. Nur seine Frisur wollte nicht passen, denn sie schien an zwei Wirbeln teuflische Hörnchen zu bilden. Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich das Haar als Toupet.
»Bis später, Bonnie«, sagte Phil und verschwand in der Hotellobby.
»Vor dem musst du dich hüten«, sagte Ralph leise, »das ist ein Wolf im Schafspelz.«
»Den Pelz hat er wohl mehr auf dem Kopf.«
Ralph legte mahnend einen Finger auf die Lippen.
»Von seiner Laune kann unser Geschäft abhängen. Pacific Pharmacys hat über zweihundertachtzig Filialen an der Küste zwischen Eureka und San Diego. Wenn er unsere Produkte mag, sind wir gerettet.«
»Solange ich ihm dafür nicht den Pelz kraulen muss.«
Bonnie und Ralph standen in der Lobby des Ramada Inn am East Colorado Boulevard in Pasadena, Kalifornien. Die Lobby war voll mit Einkäufern und Händlern aus der Kosmetikbranche, und ein überwältigendes Duftgemisch aus Parfüm, Eau de Toilette, Aftershave und Deodorant hing in der Luft. Bonnie trug eine pinkfarbene Kombination aus gewachster Baumwolle, und verglichen mit ihren Konkurrentinnen und Kunden im weiten Rund kam sie sich underdressed und ungeschminkt vor. Ralph hatte sich für die Gelegenheit ein schickes sportliches Jackett geleistet und sich sogar eine Orchidee ins Knopfloch gesteckt. Die Aufschläge seiner Hosen schwebten trotzdem drei Zentimeter über dem Spann seiner Gucci-Slipper.
»Okay, es läuft so: Unsere Hauptpräsentation ist um sieben, danach gibt’s Cocktails und Smalltalk und sechs kleinere Präsentationen sowie die Moist-Your-Eyes-Promotion. Sobald wir eingecheckt haben, gehen wir alles noch mal durch.«
»Ralph, ich wollte dir noch danken. Dafür, dass du es noch mal mit mir versuchst.«
»Unsinn. Ich hätte dich nie feuern dürfen. Schließlich hast du doch Familie und Verantwortung.«
»Zumindest so was Ähnliches wie eine Familie.«
»Macht Duke immer noch Schwierigkeiten?«
»Woher weißt du…?«
»Unsere Firma ist nicht sehr groß, Bonnie. Es gibt nicht viel, was ich nicht weiß. Schon gar nicht, wenn es um Mitarbeiter geht, die mir wirklich am Herzen liegen.«
»Ach ja? Jedenfalls kriegen wir das schon geregelt.«
Die Glamorex-Präsentation lief noch viel besser, als Bonnie sich erhofft hatte. Die Werbefilme für die Produkte waren alle an Schauplätzen und in Kulissen bekannter Seifenopern gedreht worden. Auch die Drehbücher hatten diesen gefühligen, witzigen Seifenopern-Stil, in dem Frauen erklärt wurde, dass sie mit »My Mystery«-Lid-schatten wie Millionärsgattinen aussahen und mit »Angel Glitter«-Bodylotion den Kerl ihrer Träume rumkriegten.
In der Kulisse des Insomnia-Coffeehouses aus Dreist und sexy legten junge Mädchen funky Tanzschritte aufs Parkett, um eine neue Generation von »Disco Nights«-Nagellacken vorzuführen. Im Colonnade Room aus Reich und rastlos dinierten distinguierte Herrschaften und präsentierten perfekte Frisuren dank »Loving Embrace«-Haarspray.
Nach der Präsentation wurden Champagner und Kanapees gereicht. Zwei schöne Visagistinnen, eineiige Zwillinge, führten die neuen Produkte von Glamorex für alle Interessierten vor. Hinter vorgehaltener Hand nannte Ralph sie nur die »hirnamputierten Barbiepuppen«.
Nachdem Bonnie noch ihre Sprüche für »Moist Your Eyes« heruntergerasselt hatte, kam Phil Cafagna zu ihr herüber und erhob sein Glas. »So was wie Sie nennt man Betriebskapital, Bonnie. Ralph kann von Glück sagen, dass er Sie hat.«
»Er ist ein guter Chef, Mr Cafagna.«
»Mein Güte, nennen Sie mich doch Phil. Ein Glas Wein vielleicht?«
Er schnappte sich ein Glas vom Tablett eines vorbeieilenden Kellners und reichte es ihr. »Einen Toast«, forderte er. »Auf das wahre Gesicht hinter der geschminkten Maske!«
Bonnie wusste zwar nicht genau, was er damit meinte, stieß aber trotzdem mit ihm an.
»Und was ist mit Ihnen, Bonnie?«, fragte er. »Wie sieht Ihr wahres Gesicht aus, wenn Sie nicht gerade Glamorex-Kosmetik verkaufen. Wer sind Sie?«
»Mutter und Ehefrau.«
»Das hab ich nicht gemeint. Die Begriffe Mutter und Ehefrau definieren Ihr Verhältnis zu anderen, aber sie sagen mir nichts über Sie.«
»Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich wirklich bin. Gut, hoffe ich. Jemand, auf den man sich verlassen kann und der anderen hilft, wenn sie einen brauchen.«