Bonnie erhob sich. »Die Kiste stand hier?«, fragte sie und deutete auf den rechteckigen Fleck.
»Korrekt. Als Hinsey nicht mehr zur Arbeit erschien, interessierte das niemanden. Er war immer so unzuverlässig gewesen, dass sie froh waren, ihn los zu sein. Bei Carranzas Arbeitgeber war’s dasselbe. Irgendwann kam Mr Keighley, um die Miete zu kassieren. Erst da wurden sie gefunden. Der Gerichtsmediziner ist der Meinung, dass sie hier mindestens drei Wochen lagen. Die Leiche des Kindes war so aufgequollen, dass sie schon fast die Kiste sprengte.
Bonnie sah sich noch einmal in dem Zimmer um. »Das wird nicht sehr teuer, Mr Keighley. Ich entsorge für Sie die Matratzen, reinige die Wände und den Teppich. Dann noch desinfizieren… Ich würde sagen, das kostet Sie zirka sechshundert Dollar.«
»Sechshundert? Du meine Güte. Man hat mir schon gesagt, dass bei Ihnen nichts übrig bleibt, aber das hab ich wohl falsch verstanden.«
»Das ist mein Preis, Mr Keighley. Und für weniger macht es Ihnen keiner, das garantiere ich. Wahrscheinlich finden Sie überhaupt keinen, der das übernehmen würde.«
»Sie ist die Beste, Sir«, sagte Dan und legte Bonnie eine Hand auf die Schulter.
Mr Keighley blies die Backen auf. »Also schön. Dann geht’s wohl nicht anders. Bis wann können Sie das erledigt haben?«
George Keighley fuhr mit seinem auf Hochglanz polierten Cadillac davon, und Bonnie und Dan sahen ihm nach.
»Weißt du, wem der Wagen vorher gehört hat?«, fragte Dan. »Neil Reagan – Ronnies älterem Bruder.«
»Ronald Reagan hatte einen älteren Bruder?«
»Klar. Kann man sich kaum vorstellen, was?« Dan steckte sich eine seiner grünen Zigarren an. »Etwas an dir ist heute anders«, sagte er.
»Keine Ahnung, was du meinst.«
»Du siehst anders aus. Ich weiß auch nicht genau. Vielleicht liegt’s an deinen Haaren.«
Bonnie zuckte die Achseln. Aber sie wusste, was er meinte. Seit der Nacht in Pasadena hatte sich etwas verändert. Sie fühlte sich fast wie in einem Rausch.
»Da ist noch etwas, über das ich mit dir reden wollte«, sagte Bonnie. »Ich habe eine Art Falter im Haus der Familie Glass gesehen, und in der Wohnung der Goodmans habe ich seltsame Raupen gefunden. Eine davon habe ich Howard Jacobson von der UCLA gebracht. Er sagte, es sei eine sehr seltene Spezies.«
»Und?«
»Na ja, ich weiß selbst nicht… Aber er hat gesagt, dass genau diese Falterart in mexikanischen Legenden als Symbol für das Böse gilt. Man sagt dort, dass irgendeine grausame Göttin sich tagsüber in diesen Falter verwandelt, dass sie die Menschen in den Wahnsinn stürzt, sodass sie diejenigen töten, die diese Menschen eigentlich am meisten lieben.«
Dan paffte vor sich hin. »Und was willst du mir jetzt damit sagen? Dass Aaron Goodman besessen war? Der Typ hatte eine Reinigung. Menschen, die eine Reinigung haben, sind nicht besessen.«
»Natürlich nicht. Aber Howard sagt, dass diese Falterart noch nie außerhalb einer bestimmten Region von Mexiko gesehen wurde. Und vielleicht gibt’s da ja eine Verbindung. Schließlich hatte die Glass-Familie doch diesen mexikanischen Totenkopf aus Zucker, oder? Und bei den Marrins hing dieses Bild mit den Sombreros. Und die Goodmans hatten ein mexikanisches Hausmädchen.«
»Stimmt. So wie ungefähr eine Millionen andere Familien in Los Angeles.«
»Ich sag ja nicht, dass das was bedeuten muss, aber ich dachte, das interessiert dich vielleicht.«
»Die Krabbler und Maden überlass ich lieber dir, Süße. Kann ich dich zum Essen einladen?«
Dukes Leibgericht
An diesem Abend kochte sie Dukes Leibgericht.
2 1/2 Pfund Schweinerippchen 150 ml Ananassaft
3 Esslöffel Sojasoße
3 Esslöffel Sesamöl
4 Knoblauchzehen
1 Chilischote, gehackt
2 Teelöffel frischen Ingwer
Sie ließ die Rippchen in Ananassaft schmoren, bis der Saft fast eingekocht war, dann fügte sie die anderen Zutaten hinzu und ließ alles eine halbe Stunde ziehen. Schließlich füllte sie die Rippchen in eine Auflaufform und ließ alles bei 250 Grad knusprig überbacken.
»Und wie komme ich zu dem Vergnügen?«, fragte Duke mit soßenverschmiertem Kinn.
»Keine Ahnung. Aber es wäre doch zur Abwechslung ganz schön, wenn wir wieder nett zueinander wären, oder?«
Duke zog die Nase hoch und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Du siehst anders aus als sonst. Hast einen anderen Lidschatten, oder so was?«
»Nö, Midnight Caress, wie immer.«
»Wer denkt sich eigentlich so einen Quatsch aus, hä? Midnight Caress!«
Bonnie schöpfte sich Salat auf den Teller. Sie dachte daran, wie Ralph im Morgengrauen seine Hand nach ihr ausgestreckt und sanft ihre Brust umfasst hatte. »Gibt’s noch Bohnen?«, fragte Ray. »Klar«, sagte Bonnie. »Für dich auch noch, Duke?«
Schon wieder putzen
Am Montag rissen sie als Erstes die orangefarbenen Vorhänge herunter und öffneten die Fenster weit, um den Blutgeruch loszuwerden. Bonnie und Esmeralda trugen ihre gelben Schutzanzüge. Sie schleppten gemeinsam die Matratzen hinaus und warfen sie auf die Ladefläche des Pick-ups. Bonnie deckte sie mit den Vorhängen zu.
Als sie die Betten von der Wand wegzogen, sahen sie, dass die grässlichen Schlieren bis runter zum Boden gingen. Eine undefinierbare Masse hatte sich in der Ecke gesammelt und wucherte vor fetten Maden.
Esmeralda holte den Spezialstaubsauger. Die Maden machten ein sanft klopfendes Geräusch, als sie durch das Staubsaugerrohr in den Beutel gesogen wurden. Es klang fast wie Sommerregen auf einer Fensterbank.
»Wie war’s in Pasadena?«, fragte Esmeralda.
»Gut. War ganz gut.«
Auf Händen und Knien besprühte Bonnie den rechteckigen Fleck auf dem Teppich. Sie versuchte den Gedanken daran, was sie da gerade zu entfernen versuchte, zu verdrängen, aber das Grauen kam plötzlich über sie wie eine eiskalte Dusche. Sie stand auf. Sie musste. Sie hatte das Gefühl, jeden Augenblick in Ohnmacht zu fallen.
»Was ist los, Bonnie?«
»Dan Munoz hat gesagt…«
»Was hat Dan Munoz gesagt?«
»Dan Munoz hat gesagt, dass er die Kiste angenagt hat.«
»Wer? Wovon redest du?«
»Der kleine Junge in der Kiste. Bevor er verhungert ist, hat er versucht, die Kiste zu essen.«
»He, du siehst wirklich nicht besonders gut aus. Geh doch ein bisschen an die frische Luft.«
»Nein, Ich… Es geht schon.«
»Nein, es geht nicht. Du bist ja weiß wie ein Laken. Geh schon, ich sauge hier noch fertig.«
Bonnie atmete zwei-, dreimal tief ein und aus, aber sie schwankte immer noch und wäre beinahe umgefallen. Außerdem schwitzte sie. Sie schwitzte immer, wenn sie kurz vor ihrer Periode war.
»Es geht bestimmt gleich wieder. Nur ein paar Minuten. Wahrscheinlich liegt’s daran, dass ich kein Frühstück hatte.«
»Soll ich dir helfen?«
»Alles klar. Alles klar. Mach du ruhig weiter.«
Sie ging nach draußen. Es war heiß, aber eine Brise kam vom Meer und trocknete den Schweiß auf ihrer Stirn. Sie stieg in ihren Wagen, öffnete die 7-up-Kühlbox und holte eine Cola-Light heraus. Sie nahm einen großen Schluck, der sofort durch ihre Nase wieder zurückkam.
Nie zuvor hatte sie sich so schlecht bei ihrer Arbeit gefühlt. Nicht einmal, als sie damals die Krippe reinigen musste, in der zwei Monate lang tote Babys gelegen hatten. Ihre Hände zitterten. Sie sah ihre bleichen, blutleeren Lippen im Rückspiegel. »Ganz ruhig«, sagte sie laut. »Zähl einfach langsam bis zehn und denk an gar nichts.«
Fünf Minuten später ging es ihr schon etwas besser. Sie stieg aus dem Wagen und ging zurück zum Haus. Ein kleiner Junge mit rosa gestreiftem T-Shirt und hellbraunen Haaren kam auf Bonnie zugelaufen und blinzelte sie gegen die Sonne an.