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»Hatten Sie Probleme, es zu finden?«

»Nein, ich bin mit dem Taxi gekommen.«

Er setzte sich wieder und deutete auf eine Rotweinflasche, die schon geöffnet in der Mitte des Tisches stand.

»Nein, danke«, sagte sie. »Und bitte lassen Sie sich durch mich nicht vom Essen abhalten. Ich habe keine Ahnung, was das ist, aber es sieht köstlich aus.«

»Gorditas«, sagte er. »Das bedeutet so viel wie >die kleinen Fetten<. Frittierte Tortillaschälchen gefüllt mit Bohnenmus und Gehacktem.«

»Bei meinem Mann durfte ich nicht mexikanisch kochen.«

»Aber Ihr Mann ist verschwunden.«

Sie nickte. »Mein Mann und auch mein Sohn. Es ist mir ein Rätsel. Fast wie in einem dieser alten englischen Filme, in denen ein Verbrechen in einem von innen verschlossenen Raum geschieht.«

»Ich glaube nicht, dass es um einen verschlossenen Raum geht, eher um verschlossene Erinnerung.«

»Wahrscheinlich haben Sie Recht. Ich habe große Schwierigkeiten, mich an diesen Nachmittag zu erinnern. Ich kann mich einfach nicht entsinnen, ob ich da war, als Duke und Ray das Haus verlassen haben. Aber sie waren da, als ich nach dem Besuch bei Ihnen nach Hause kam. Und am Morgen sind sie weg und alle Türen und Fenster verschlossen.«

»Was ist also Ihrer Meinung nach passiert?«

»Ich weiß es nicht. Darum wollte ich ja mit Ihnen reden.«

»Warum mit mir? Ich bin weder Polizist noch Hellseher. Ich bin Schriftsteller und Historiker, mehr nicht.«

Bonnie entnahm ihrer Handtasche das Marmeladenglas. »Das hier habe ich in meinem Wohnzimmer gefunden.«

»Ein Apollofalter. Verstehe. Sie denken, dass Itzpapalotl etwas mit dem Verschwinden Ihrer Familie zu tun hat.«

Bonnie nickte. »Wäre das nicht möglich?«

»Auf welche Weise?«

»Na ja, ich weiß ja nicht, wann genau sie verschwunden sind, aber wenn es nachts passierte, hätte Itzpapalotl sich verwandeln können, wäre aus einem Falter zu einem Insektenmonster geworden mit Messern an den Flügeln und so, genau, wie Sie gesagt haben. Dann hätte sie Ray und Duke töten und auch in Falter verwandeln können wie diese Hexen in der Legende, und so sind sie dann verschwunden. Und als ich dann die Haustür am Morgen aufgemacht habe, sind sie einfach weggeflogen.«

»Und Sie glauben wirklich, dass es sich so zugetragen haben könnte?«

»Wie hätten sie sonst aus dem Haus kommen sollen, ohne dass ich etwas bemerkt habe?«

»Um sie in Falter verwandeln zu können, hätte Itzpapalotl sie erst töten müssen. Nur die Seelen von Verdammten können der Legende nach zu Faltern werden. Aber was ist mit dem Blut der beiden geschehen? Bei den aztekischen Opferungen wurde das noch schlagende Herz herausgeschnitten und den Umstehenden gezeigt. Ihr Haus hätte wie ein Schlachthaus ausgesehen.«

»Ja«, sagte Bonnie.

»Aber ich gehe recht in der Annahme, dass da kein Blut war?«

»Ja.«

Bonnie schwieg für einige Momente. Juan Maderas aß und beobachtete sie dabei. Die Band begann mit einem langsamen klagenden Lied, einer Art musikalischem Unterlippenzittern.

Dann sagte Bonnie: »Mir ist da noch etwas eingefallen.«

»Bitte.«

»Angenommen Itzpapalotl ist schon am Nachmittag, also tagsüber in das Haus eingedrungen, und zwar in Form eines Falters.«

»Ja?«

»Und angenommen, sie hätte mir etwas eingeflüstert… hätte mir eingeflüstert… ich solle meine Liebsten töten. Und ich hätte es nicht gemerkt, hätte also nicht gemerkt, dass sie mir das eingeflüstert hat… Mir wäre dann nicht bewusst gewesen, dass ich das vorhatte. Mir fehlt einfach ein Teil dieses Nachmittags. Es ist wie ein verlorenes Puzzlestück.«

»Sie halten es also für möglich, dass Itzpapalotl Sie dazu bringen konnte, Ray und Duke eigenhändig zu ermorden?«

»Keine Ahnung. Vollkommen irre, oder? Aber was kann denn nur mit ihnen geschehen sein?«

»Und diese Frage ist genau das Problem in Ihrer Theorie. Nehmen wir an, Sie hätten Recht und Itzpapalotl hätte Ihnen eingeflüstert, die beiden zu töten. Wie haben Sie es dann getan? Haben Sie sie erwürgt? Wohl kaum, man kann nur einen auf einmal erwürgen. Und womit hätten Sie es getan? Ihren bloßen Händen? Oder haben Sie sie erstochen? Aber dafür gilt dasselbe wie für das Erwürgen. Es geht nur nacheinander und es waren zwei. Erschießen wäre wohl eine Möglichkeit gewesen.«

»Wir haben keine Schusswaffe im Haus. Na ja, Duke hatte mal eine, musste sie aber verkaufen.«

»Womit diese Version ausscheidet. Aber die entscheidende Frage bleibt: Wo sind sie hin? Selbst wenn Sie sie ermordet hätten – wo sind ihre Leichen? Wie wird man als Frau in einem netten Vorort zwei Leichen los, ohne dass jemand etwas merkt? Die Leichen sind doch noch nicht gefunden, oder?«

Bonnie strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Ich hatte wirklich gehofft, Sie hätten eine Erklärung für das, was geschehen ist.«

»Sie wollten tatsächlich die Schuld für das alles einer mexikanischen Dämonin in die Schuhe schieben?«

»Ich dachte, Sie glauben an Itzpapalotl.«

»Natürlich glaube ich an sie. Ich glaube aber auch, dass alte Dämonen in der modernen Welt nur etwas anrichten können, wenn man sie anruft.«

»Sie glauben, ich hätte sie gerufen?«

»Vielleicht. Möglicherweise können Sie sich nur nicht mehr daran erinnern. Vielleicht wissen Sie es, bestreiten es aber trotzdem.«

Die Band setzte zu einer romantischen Version von »La Pesadilla« an. »Sie glauben nicht, dass ich es war, oder? Ich habe sie nicht ermordet, ich kann sie nicht ermordet haben – und selbst wenn ich es war, wusste ich es nicht. Es war Itzpapalotl.«

»Das können nur Sie allein wissen.«

Der Tag des Apollofalters

Sie stand im Wohnzimmer und ihr Haar glänzte in der Nachmittagssonne. Sie betrachtete den Druck eines Elvisporträts, den Duke ihr zum Dreißigsten geschenkt hatte. Elvis in Love Me Tender mit Cowboyhut und Wildlederfransenhose.

An den Geburtstag hatte sie lebhafte Erinnerungen. Damals hatte Duke noch Arbeit. Am Abend hatte er sie in ein Westernlokal ausgeführt. Es gab Steaks und Spareribs und Tanz. Auf der Rückfahrt hatten sie so gelacht, dass Duke nicht mehr weiterfahren konnte und an den Randstein fahren musste. Dann hatte er seinen Arm um sie gelegt, sie geküsst und gesagt: »Wir zwei gehören für immer zusammen, weißt du das? Bis der beschissene Tod uns scheidet.«

Vorsichtig nahm sie den Druck von der Wand. Sie lehnte den Rahmen an das Sofa und löste die Schrauben auf der Rückseite. Mit dem Bilderdraht ging sie in die Küche, nahm ihre Gartenhandschuhe aus der Schublade und zog sie an.

Ray lag noch immer auf der Liege hinterm Haus und hörte mit geschlossenen Augen Musik. Sie war so laut wie zuvor. Duke machte gerade noch ein Bier auf und las die Sportseite der Zeitung.

Sie schob die Tür zur Terrasse auf. Rays Musik übertönte jedes Geräusch. Weder er noch Duke blickten auf. Sie trat nach draußen und blieb bewegungslos hinter Dukes Liegestuhl stehen. Beinahe eine Minute verstrich. Sie hielt den Draht in den Händen. Vielleicht hatte Duke sie auch bemerkt und schmollte nur, weil sie hinter seine Lüge von der Arbeit im Century Plaza gekommen war.

Bonnie dachte: Wenn du dich jetzt umdrehst und mich anlächelst, lasse ich dich vielleicht am Leben.

Aber er blätterte nur um und nahm noch einen Schluck.

Sie war kräftig. Das Scheuern, Matratzenschleppen und Staubsaugen hatte sie stark gemacht. Sie legte den Bilderdraht in einer Schlinge um seinen Hals und zog diese zu, ehe Duke noch danach greifen konnte. Er drehte und wand sich und schlug mit den Beinen aus, aber Bonnie zog die Schlinge immer fester und fester zu, bis der Draht in seinem Fleisch versunken war und ihm das Blut über die Schultern lief. So hielt sie den Draht, bis nur noch ein leises Schaudern durch Dukes Körper lief und sein Kopf zur Seite sank.