Sie mochte Barbra Streisand. »Evergreen« war einer ihrer Lieblingssongs, und sie spielte ihn immer und immer wieder. Allerdings nur, wenn Duke nicht zu Hause war.
Sie nahm Dukes Electra für die Fahrt zum Venice Boulevard. Die Klimaanlage war kaputt, die Sitze mit Klebeband geflickt. Die Bluse klebte ihr am Körper, als sie Venice Boulevard erreichte. Nicht weit entfernt von Glamorex fand sie einen Parkplatz.
Als sie den Bürgersteig entlanghetzte, kam sie an einem altersgebeugten Mann mit weißer Golfmütze vorbei, der breit grinsend seine dritten Zähne zeigte und bestimmt über fünfundachtzig war. »Hallo auch! Hübsche Titten!«
Ihr Hirn brauchte einige Augenblicke, um zu verarbeiten, was er gesagt hatte. Dann blieb sie stehen, drehte sich um und rief: »Hey!« Aber der Bürgersteig war verlassen. Hatte sie sich die Begegnung nur eingebildet? Für einen Augenblick stand sie ratlos da, dann ging sie entschlossen weiter und schob sich, bei Glamorex angekommen, durch die Drehtür. Ihre Absätze hallten klackend über den Marmorfußboden in der von der Klimaanlage eisgekühlten Lobby.
Sie nahm den Fahrstuhl zum vierzehnten Stock. Hier residierte Glamorex of Hollywood Incorporated. Im Empfangsbereich stapelten sich Kartons entlang der Wände bis zu den Fluren. Die Vertriebsleiterin Joyce Bach stand inmitten des Chaos und sah mit ihrer wilden schwarzen Mähne noch verwirrter aus als sonst. Zwischen ihren leuchtend rot geschminkten Lippen (»Scarlet Siesta«) baumelte eine brennende Zigarette. Jedes Mal, wenn sie den Mund aufmachte, regnete Asche auf ihr königblaues Kostüm.
»Es ist nicht zu fassen! Von den Herbst-Colorierun-gen liefern sie kaum die Hälfte und die Packungen für die Millenium-Intensiv-Maske sind verdruckt. Wer führt diesen verdammten Laden eigentlich? Orang-Utans?«
Ein offensichtlich verärgerter Ralph Kosherick kam mit einem Clipboard unter dem Arm aus seinem Büro gestürmt. Er war groß gewachsen, hatte leicht hängende Schultern und ein breites, zerknittertes Gesicht, das an den alten Hollywood-Schauspieler Fred McMurray erinnerte. Jedes Mal, wenn Bonnie ihn traf, hatte sie das überwältigende Bedürfnis, ihre Nagelschere herauszuholen und ihm die dichten, schwarzen Augenbrauen zu stutzen. Ralph hatte die Ärmel seines weißen Hemdes hochgekrempelt. Die lilafarbenen Hosenträger ließen die Aufschläge seiner Hosen zwei Zentimeter über dem Spann der schwarz-polierten Oxford-Schuhe schweben.
»Du bist zu spät, Bonnie«, sagte er, ohne auf seine Uhr zu schauen. »Aber weil du heute morgen wieder einfach hinreißend aussiehst, will ich dir noch einmal verzeihen.«
»Deiner Frau sagst du solche Sachen hoffentlich auch hin und wieder.«
»Meiner Frau sag ich so was ständig. Ich sorge nur dafür, dass sie’s nicht hört, damit es ihr nicht zu Kopf steigt.«
»Du bist ein unmöglicher Kerl, Ralph. Wo bin ich heute eingeteilt?«
Er blätterte durch Papiere auf seinem Clipboard. »Erst rufst du bei Marshall’s an und danach gehst du bei Hoffman Drugs vorbei und schaust, was die brauchen. Deine Millennium-Promotion hab ich auf drei geschoben.«
»Gut, das passt. Ich habe eine Verabredung zum Mittagessen um halb zwei.«
»Sag’s ab. Ich führe dich aus. Auf der Melrose gibt es einen Laden, die machen diese wahnsinnig guten gefüllten Weinblätter. Wir treffen uns hier, wenn du von Hoffman zurück bist.«
»Das ist wirklich sehr großzügig von dir, Ralph, aber ich habe es schon mal gesagt: Unsere Beziehungen sollte strikt professioneller Natur sein.«
»Strikt klingt gut, wenn du das sagst. Professionell allerdings weniger.«
»Schlägt dich deine Frau eigentlich manchmal?«
»Marjorie? Soll das ein Witz sein? Die schlägt mich nicht mal beim Scrabble.«
Bonnie suchte ihre Musterkartons zusammen und LeRoy von der Poststelle half ihr, das Zeug nach unten zu tragen. Er hatte Kopfhörer auf und tanzte förmlich zu Bonnies Auto. Nachdem sie den Kofferraumdeckel dreimal zugeknallt hatte, bis er richtig schloss, drehte sie sich um und fragte: »Was hören Sie da?«
LeRoy zupfte einen der Stöpsel aus seinem Ohr und sah Bonnie an, als wäre sie ihm völlig unbekannt. »Was?«
»Ich habe gefragt, was Sie da hören.«
Er reichte Bonnie den Kopfhörer, und sie hörte sich kurz die Musik an. Techno-Dance-Beats, endlos wiederholte Riffs und eine Stimme, die wieder und wieder sang: »Wake up the dayyudd… you kill me bruvva… wake up the dayyudd…«
Sie gab ihm den Kopfhörer wieder. »Ganz nett. Aber ich glaube, ich bleibe bei Billy Ray Cyrus.«
Die Einkäuferin bei Marshall’s war eine kleine Frau namens Doris Feinman. Sie trug Schwarz und war so stark geschminkt, als würde sie bei einem chinesischen Wanderzirkus auftreten wollen. Nachdem sie Bonnies Lippenstiftproben auf ihrer Theke verteilt hatte, nahm sie sämtliche Kappen ab und brachte alles durcheinander.
»Wie heißt dieser hier? Blood Orange? Interessanter Farbton, wirklich, aber meinen Sie nicht auch, das klingt ein wenig… menstrual?«
»Die Namen kann man selbstverständlich ändern. Gar kein Problem.«
»Na, das hört man gern. Auf Cranberry Climax stehe ich nämlich ehrlich gesagt auch nicht so. Wer denkt sich so was aus?«
Statt zu antworten hielt Bonnie ihr gefrorenes Beinahe-Lächeln fest. Es war immer das Gleiche, ein Ritual. Weil Glamorex zu den kleineren Lieferanten gehörte, gab Doris Feinman ätzende Kommentare von sich und brachte ihre Muster durcheinander.
»Diese Wimperntusche ist zu dickflüssig. Als ob die Frauen heutzutage noch wie Goldie Hawn aussehen wollten. Das hat doch so etwas Unterwürfiges, finden Sie nicht?«
Das Lächeln machte Bonnie inzwischen echte Schwierigkeiten. Meine Güte, dachte sie, unterwürfige Wimperntusche.
Nach anderthalb Stunden wusste Doris Feinman endlich, was sie wollte, und sie war bereit zu bestellen. Die 13.500 Dollar sollten Ralph halbwegs zufrieden stellen. Sie hatte allerdings nichts von der Millennium-Intensiv-Maske nehmen wollen. Sie hätte die Maske an einer ihrer Assistentinnen ausprobiert, sagte Doris Feinman, und die hätte danach wie eine Wasserleiche ausgesehen.
Das Goodman-Apartment
Sie war gerade auf dem Weg zu Hoffman Drugs, als ihr Pieper losging. Auf dem Display las sie die Nachricht: »Munoz 8210 De Longpre eilig«.
»Scheiße«, sagte sie und bog links auf die Spaulding, dann rechts auf die De Longpre und sah schon aus der Entfernung zwei Streifenwagen und einen silbernen Oldsmobile mit aufgesetztem Blaulicht. Nachbarn und Passanten, die üblichen Hyänen, hatten sich schon eingefunden, als würden sie die unterhaltsamen Reste einer menschlichen Tragödie schon von weitem riechen.
Sie stieg aus dem Wagen.
Einer der Polizisten hob das Absperrungsband hoch, damit Bonnie darunter durchschlüpfen konnte. »Ah«, sagte er, »die Putzfrau, stimmt’s? Na, den Job will ich nicht für alles Geld, Süße.«
Bonnie zeigte ihm den Finger.
Eine steile Asphaltrampe führte zur Garage des Hauses. Das Haus selbst war ein ockerfarbenes zweistöckiges Gebäude mit stuckverzierter Fassade. Eine mit roten Platten ausgelegte Treppe führte zum Haupteingang. Am Geländer vor der Tür lehnte Lieutenant Dan Munoz, rauchte eine grüne Zigarre und unterhielt sich mit Bill Cliff vom Büro des Untersuchungsrichters.
Bonnie stieg die Treppe hinauf und wurde von Dan begrüßt. »Hallo, Bonnie. Das ging aber schnell.«
Dan war ein sehr gut aussehender Mann. Fast lächerlich gut aussehend für einen Polizisten: mit dichten haselnussbraunen Locken und dem Kinn eines Leinwandhelden. Und Bonnie fürchtete sich geradezu vor seinen braunen, glänzenden Augen. Diese Augen schienen sie vollkommen zu durchschauen, sahen alles – von dem Rezept, dass sie für das Abendessen im Kopf hatte, bis zur Waschanleitung in ihrem Höschen.