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»Heute Abend sind die Rüben ziemlich unruhig«, sagte Jake the Snake. »Man hört sie da drin rumoren. Haltet die Taser bereit, wenn wir sie um acht füttern, ja?«

»Abends ist es immer schlimmer«, sagte Phil. »Ich glaube… Scheiße, was ist das denn?«

Auch Corinne spürte es. An das Summen waren sie gewöhnt, so wie man sich an das Geräusch eines brummenden Kühlschranks oder einer rasselnden Klimaanlage gewöhnte. Jetzt allerdings schwoll es plötzlich zu einem Pegel an, wie sie ihn an den speziellen Filmabenden aushalten mussten, an denen die Wunderkerze zum Einsatz kam. Nur dass es an solchen Abenden hauptsächlich aus Richtung der geschlossenen und verriegelten Tür von Station A kam, auch bekannt als Rübenacker. Das war auch jetzt der Fall, aber Corinne spürte es zusätzlich aus einer anderen Richtung wie einen starken Luftzug. Es kam aus dem Aufenthaltsraum, wohin die Kids sich nach dem Film verzogen hatten. Zuerst waren die von ihnen dorthin getrottet, die noch hochfunktional waren, dann waren ihnen die restlichen gefolgt, die bald auf dem Acker landen würden.

»Was zum Teufel veranstalten die denn da!«, rief Phil und presste sich die Hände an die Schläfen.

Während Corinne zum Aufenthaltsraum rannte, zog sie ihren Schockstock aus dem Holster. Jake war direkt hinter ihr. Phil, der entweder sensibler auf das Summen reagierte oder schlicht Angst hatte, blieb, wo er war, und presste sich weiterhin die Hände an die Schläfen, damit ihm nicht der Kopf platzte.

Als Corinne die Tür erreichte, sah sie ein knappes Dutzend Kinder vor sich. Selbst Iris Stanhope, die nach dem morgigen Film definitiv auf dem Rübenacker landen würde, war dabei. Die Kids hatten einen Kreis gebildet und hielten sich an den Händen. Hier war das Summen so stark, dass Corinne die Augen tränten. Sogar ihre Zahnfüllungen schienen zu vibrieren.

Ich muss mir den Neuen schnappen, dachte sie. Den Pimpf da drüben, denn der steckt offenbar dahinter. Wenn ich dem einen Stromstoß verpasse, bricht die Verbindung hoffentlich in Stücke.

Doch noch während sie das dachte, öffneten sich ihre Finger, und der Schockstock fiel auf den Teppichboden. Hinter sich, fast überdeckt vom Summen, hörte sie, wie Jake die Kids anbrüllte, sie sollten aufhören und in ihren Zimmern verschwinden. Das schwarze Mädchen sah Corinne mit einem unverschämten Grinsen auf den Lippen an.

Das wische ich dir auf der Stelle vom Gesicht, du kleines Aas, dachte Corinne, und als sie die Hand hob, nickte das schwarze Mädchen.

Genau, schlag nur zu.

Eine weitere Stimme gesellte sich zu der von Kalisha: Schlag zu!

Dann alle andern: Schlag zu! Schlag zu! Schlag zu!

Corinne Rawson fing an, sich selbst zu ohrfeigen, erst mit der rechten Hand, dann mit der linken, hin und her, immer heftiger. Sie nahm zwar wahr, dass ihre Wangen sich zuerst heiß anfühlten und dann brannten, aber die Wahrnehmung war schwach und weit weg, denn jetzt war das Summen kein Summen mehr, sondern ein gewaltiges WAAAAAH wie eine innere Rückkopplung.

Sie fiel auf die Knie, während Jake sich an ihr vorbeischob. »Hört sofort auf damit, ihr verfluchten kleinen…«

Seine Hand hob sich, und es knisterte, als er sich einen Stromstoß zwischen die Augen verpasste. Er zuckte zurück. Zuerst spreizten seine Beine sich, um sich dann mit einer flotten Tanzbewegung zu schließen. Seine Augen quollen hervor, sein Mund klappte auf, und er steckte sich den Lauf seines Schockstocks hinein. Jetzt war das elektrische Knistern gedämpft, aber die Wirkung war umso sichtbarer. Jakes Kehle schwoll an wie eine Seifenblase beim Pusten, in seinen Nasenlöchern erstrahlte kurz ein blaues Licht. Dann stürzte er vorwärts aufs Gesicht, wobei er sich den schlanken Lauf des Schockstocks bis zum Griff in den Mund steckte. Sein Zeigefinger krampfte sich immer noch um den Auslöser.

Von Kalisha angeführt, marschierten die Kinder händchenhaltend in den Flur wie Erstklässler beim Schulausflug. Als Phil the Pill sie sah, schreckte er zurück, den Schockstock in einer Hand. Mit der anderen klammerte er sich an den Türrahmen des Vorführraums. Ein Stück weiter hinten, zwischen der Cafeteria auf der einen und der Tür von Station A auf der anderen Seite, stand mit weit aufgerissenem Mund Dr. Everett Hallas.

Jetzt hämmerten Fäuste an die verschlossene Doppeltür zum Rübenacker. Phil ließ seinen Schockstock fallen und hob die Hand, um den auf ihn zukommenden Kindern zu zeigen, dass sie leer war.

»Ich mach euch keine Probleme«, sagte er. »Egal was ihr vorhabt, ich mach euch keine…«

Die Tür des Vorführraums fiel krachend zu, wobei sie seine Stimme und drei von seinen Fingern abschnitt.

Dr. Hallas drehte sich um und floh.

Zwei Pfleger stürzten aus dem Personalraum hinter der Treppe zum Krematorium. Mit gezogenem Schockstock rannten sie auf Kalisha und ihren zusammengewürfelten Trupp zu, hielten jedoch vor der Tür zu Station A inne, versetzten sich gegenseitig einen Stromstoß und sanken auf die Knie. Dann tauschten sie weiter elektrische Stöße, bis beide reglos auf dem Boden zusammenbrachen. Weitere Pfleger tauchten auf, sahen oder spürten, was vor sich ging, und zogen sich zurück, einige die Treppe zum Krematorium hinunter (wo es in mehrfacher Hinsicht nicht weiterging), andere in den Personalraum oder in den Aufenthaltsraum der Ärzte dahinter.

Los, komm, Sha. Avery blickte den Flur entlang, an Phil – der heulend auf seine blutenden Fingerstummel starrte – und den beiden reglos daliegenden Pflegern vorbei.

Hauen wir nicht ab?

Doch. Aber zuerst lassen wir die anderen raus.

Die kleine Kolonne marschierte durch den Flur auf Station A zu, direkt ins Zentrum des Summens.

23

»Ich weiß nicht, wie sie die Zielpersonen auswählen«, sagte Maureen. »Darüber habe ich oft nachgedacht, aber offenbar funktioniert es, denn es hat ja seit mehr als fünfundsiebzig Jahren niemand mehr eine Atombombe abgeworfen oder einen Weltkrieg angefangen. Überleg mal, was für eine fantastische Leistung das ist. Ja, manche Leute sagen, dass Gott uns behütet, und manche sagen, das läge an den diplomatischen Bemühungen oder an dem, was man als Gleichgewicht des Schreckens bezeichnet, aber das glaube ich alles nicht. Es liegt am Institut.«

Sie nahm wieder einen Schluck Wasser, bevor sie weitersprach.

»Welche Kinder sie entführen müssen, wissen sie wegen einem Test, der meistens gleich nach der Geburt gemacht wird. Eigentlich soll ich nicht wissen, was für ein Test das ist, schließlich bin ich bloß eine bescheidene Haushälterin, aber ich bespitzle nicht nur Kinder, ich sperre auch sonst die Ohren auf. Und ich schnüffle herum. Bei dem Test geht es um BDNF, das ist ein Wachstumsfaktor. Kinder mit einem hohen BDNF-Spiegel werden ausgeforscht und beobachtet, um später gekidnappt und ins Institut gebracht zu werden. Manchmal geschieht das, wenn sie schon sechzehn sind, aber die meisten sind jünger. Die mit einem richtig hohen BDNF-Spiegel schnappen sie sich so früh wie möglich. Wir hatten schon Kinder hier, die gerade mal acht Jahre alt waren.«

Das erklärt, weshalb Avery da war, dachte Luke. Und die Wilcox-Zwillinge.

»Im Vorderbau werden die Kinder vorbereitet. Das geschieht teilweise mit Injektionen und teilweise, indem man sie etwas aussetzt, was Dr. Hendricks als Stass-Lichter bezeichnet. Manche von den Kindern, die hier ankommen, haben telepathische Fähigkeiten; sie können Gedanken lesen. Die anderen sind Telekinetiker, das heißt, sie können mental Gegenstände bewegen. Durch die Injektionen und die Stass-Lichter passiert bei einigen Kindern nichts, aber bei den meisten werden die Fähigkeiten, die sie haben, wenigstens ein bisschen stärker. Einige wenige, die Hendricks als Pinks bezeichnet, werden mit zusätzlichen Tests und Spritzen traktiert und entwickeln manchmal beide Fähigkeiten. Ich hab Dr. Hendricks einmal sagen hören, dass es noch weitere Fähigkeiten geben könnte, und wenn man sie entdecken würde, könnte das die Welt zu einem besseren Ort machen.«