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Drummer hatte sich wieder aufgerappelt und zielte auf die Frau, die auf ihn geschossen hatte. Die war mitten auf der Straße auf ein Knie gesunken und verfluchte ihre Pistole, die blockiert hatte. Drummer presste den Gewehrkolben in die Beuge seiner unverletzten Schulter und brachte seine Kontrahentin zur Strecke.

»Feuer einstellen!«, kreischte Mrs. Sigsby. »Wir müssen uns den Jungen holen! Der darf uns nicht entkommen! Tom Jones! Alice Green! Louis Grant! Wartet auf mich! Josh Gottfried! Winona Briggs! Her zu mir!«

Drummer und Annie blickten sich an. »Und wir?«, fragte Annie. »Feuern wir jetzt weiter oder nicht?«

»Scheiße, woher soll denn ich das wissen?«, erwiderte Drummer.

Tom Jones und Alice Green hatten sich zu beiden Seiten des arg mitgenommenen Eingangs der Polizeistation postiert. Josh Gottfried und Winona Briggs zogen sich zurück, um Mrs. Sigsby zu flankieren. Dabei hielten sie ihre Waffen auf das Paar gerichtet, das sich hinterrücks angeschlichen hatte. Dr. James Evans, dem man keine Position zugewiesen hatte, übernahm das selbst. Er ging an Mrs. Sigsby vorbei und näherte sich Drummer und Orphan Annie mit erhobenen Händen und einem besänftigenden Lächeln auf dem Gesicht.

»Kommen Sie sofort wieder her, Sie verdammter Trottel!«, blaffte Mrs. Sigsby.

Er achtete nicht auf sie. »Ich habe nichts damit zu tun«, sagte er zu dem dicken Mann in der Pyjamajacke, dem er mehr Vernunft beimaß als seiner Gefährtin. »Und da ich nie etwas damit zu tun haben wollte, werde ich mich jetzt einfach…«

»Hinsetzen!«, sagte Annie und schoss ihm in den Fuß. Das tat sie rücksichtsvoll mit dem Revolver, der weniger Schaden anrichten würde. Zumindest theoretisch.

Damit blieb noch die Frau im roten Hosenanzug, die das Kommando innehatte. Wenn die Schießerei wieder losging, würde sie im Kreuzfeuer wahrscheinlich in Stücke gerissen werden, aber sie ließ keinerlei Furcht erkennen, nur eine Art verschnupfte Konzentration.

»Wir gehen jetzt in die Polizeistation«, sagte sie zu Drummer und Orphan Annie. »Damit dieser Unsinn endlich aufhört. Haltet still, dann passiert euch nichts. Wenn ihr wieder zu schießen anfangt, werden Josh und Winona euch erledigen. Kapiert?«

Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte sie sich um und ging auf ihre verbliebene Truppe zu. Man hörte das Klacken ihrer niedrigen Absätze auf dem Asphalt.

»Drummer?«, sagte Annie. »Was tun wir jetzt?«

»Vielleicht müssen wir gar nichts tun«, sagte er. »Sieh mal nach links, aber beweg nicht den Kopf. Verdreh nur die Augen.«

Als sie das tat, sah sie einen von den Dobira-Brüdern den Gehsteig entlangeilen. In der Hand hatte er eine Pistole. Später würde er der State Police erklären, eigentlich seien er und sein Bruder friedliche Menschen, aber seit dem Überfall hätten sie es für klug gehalten, im Laden eine Waffe zu deponieren.

»Und jetzt nach rechts. Kopf still halten.«

Annie drehte die Augen in die angegebene Richtung und sah die Witwe Goolsby und Mr. Bilson, den Vater der Bilson-Zwillinge. Addie Goolsby trug ihren Bademantel und Schlappen, Richard Bilson karierte Shorts und ein rotes T-Shirt mit dem Emblem der Alabama Crimson Tide. Beide waren mit Jagdflinten ausgerüstet. Der Haufen vor der Polizeistation sah sie nicht, der hatte die Aufmerksamkeit ganz auf das gerichtet, was ihn nach DuPray geführt hatte.

Ihr seid hier im Süden, hatte Annie den bewaffneten Störenfrieden erklärt. Jetzt hatte sie so eine Ahnung, dass die gleich am eigenen Leib erfuhren, was das bedeutete.

»Tom und Alice«, sagte Mrs. Sigsby. »Rein da. Schnappt euch den Jungen.«

Die beiden gehorchten.

37

Tim zog Wendy auf die Beine. Sie sah so verwirrt aus, als wüsste sie nicht recht, wo sie sich befand. In ihren Haaren hatte sich ein Papierfetzen verfangen. Die Schüsse draußen waren verstummt, jedenfalls fürs Erste. Stattdessen hörte man Stimmen, doch da Tim die Ohren dröhnten, verstand er nicht, worum es ging. Es war auch gleichgültig. Wenn man da draußen Frieden schloss, gut. Es würde jedoch klug sein, weiter mit Krieg zu rechnen.

»Geht’s wieder, Wendy?«

»Die… Tim, die haben Sheriff John erschossen! Wen noch? Wie viele andere?«

Er schüttelte sie. »Geht’s wieder?«

Wendy nickte. »J-ja. Ich glaube…«

»Bring den Jungen nach hinten raus.«

Sie griff nach Luke, aber der wich ihr aus und rannte auf den Schreibtisch zu. Tag Faraday versuchte, ihn am Arm zu fassen, aber auch dem entwischte er. Der Laptop war von einem Schuss gestreift und zur Seite gedreht worden. Obwohl der Bildschirm einen Sprung bekommen hatte, leuchtete er noch, und das kleine orangefarbene Licht an dem USB-Stick blinkte rhythmisch. Auch Luke dröhnten die Ohren, nur war er jetzt näher an der Tür und hörte Mrs. Sigsby sagen: »Schnappt euch den Jungen.«

O du verfluchte Bitch, dachte er. Du verfluchte, erbarmungslose Bitch.

Er grapschte nach dem Laptop, sank auf die Knie und drückte sich das Gerät schützend an die Brust, während Alice Green und Tom Jones durch die zersplitterte Tür traten. Tag Faraday hob seine Pistole, wurde jedoch von einer Gewehrsalve getroffen, bevor er abdrücken konnte. Von der Rückseite seines Uniformhemds hingen Fetzen herab. Die Glock flog ihm aus der Hand und schlitterte über den Boden. Der einzige andere Deputy, der noch am Leben war, Frank Potter, versuchte nicht einmal, sich zu verteidigen. Auf seinem Gesicht lag ein verblüffter, ungläubiger Ausdruck. Alice Green verpasste ihm einen Kopfschuss, dann duckte sie sich, weil auf der Straße hinter ihr wieder ein Schuss fiel. Man hörte Gebrüll und einen Schmerzensschrei.

Von dem Schuss und dem Schrei war der Mann mit dem Sturmgewehr kurz abgelenkt. Er drehte sich danach um, worauf Tim zwei Treffer landete, einen in den Nacken, den anderen in den Kopf. Die Frau richtete sich wieder auf, trat mit regloser Miene über die Leiche und kam auf Tim zu, der jetzt eine weitere Frau hinter ihr auftauchen sah. Die war älter, trug einen roten Hosenanzug und hatte ebenfalls eine Pistole in der Hand. Du lieber Himmel, dachte er, wie viele sind das denn? Haben die für einen kleinen Jungen eine ganze Armee ausgesandt?

»Er hockt hinter dem Tisch, Alice«, sagte die ältere Frau. In Anbetracht des Blutbads hörte ihre Stimme sich gespenstisch ruhig an. »Ich sehe die Bandage an seinem Ohr rausragen. Zerren Sie ihn raus und erschießen Sie ihn.«

Die Frau namens Alice kam um den Tisch herum. Tim machte sich gar nicht erst die Mühe, sie zum Stehenbleiben aufzufordern – über so was waren sie schon lange hinweg–, er betätigte einfach den Abzug von Wendys Pistole. Die klickte nur, obwohl im Magazin mindestens eine weitere Patrone hätte sein sollen, wahrscheinlich sogar zwei. Selbst in diesem Moment, in dem es um Leben oder Tod ging, begriff er den Grund: Nachdem Wendy das letzte Mal auf dem Schießstand drüben in Dunning trainiert hatte, hatte sie nicht vollständig nachgeladen. So etwas stand nicht oben auf ihrer Prioritätenliste. Tim hatte sogar Zeit zu denken – wie in seinen ersten Tagen in DuPray–, dass Wendy nicht gerade eine geborene Polizistin war.