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»In DuPray liegen fünf Tote, und dafür ist diese Frau verantwortlich«, sagte Tim. »Meinen Sie wirklich, dass ich da irgendwelche Skrupel habe? Es reicht, Mrs. Sigsby! Das ist Ihre letzte Chance. Vielleicht werden Sie nach dem Schuss sofort bewusstlos, aber ich möchte wetten, dass das ein Weilchen dauert. Im Vergleich zu den Schmerzen, die Sie bis dahin spüren werden, wird Ihnen der Streifschuss am anderen Bein wie ein Gutenachtkuss vorkommen.«

Mrs. Sigsby schwieg.

»Tu’s nicht, Tim«, sagte Wendy. »Du kannst doch nicht einfach jemand kaltblütig ins Bein schießen.«

»Doch, kann ich.« Tim war sich nicht sicher, ob das stimmte. Sicher war er sich hingegen, dass er es nicht herausfinden wollte. »Helfen Sie uns, Mrs. Sigsby. Helfen Sie sich selbst.«

Nichts. Die Zeit wurde knapp. Annie würde den Leuten von der State Police zwar nicht verraten, in welche Richtung sie gefahren waren, auch Drummer und Addie Goolsby würden das nicht tun. Doc Roper vielleicht schon. Norbert Hollister, der sich während der Schießerei auf der Hauptstraße klugerweise im Hintergrund gehalten hatte, war ein noch wahrscheinlicherer Kandidat.

»Okay. Sie haben zwar allerhand Menschen auf dem Gewissen, aber es tut mir trotzdem leid, dass ich so etwas tun muss. Ach, übrigens, ich zähle nicht auf drei.«

Luke presste die Hände auf die Ohren, um den Knall zu dämpfen, und das überzeugte Mrs. Sigsby endlich. »Stopp!« Sie streckte die Hand aus. »Geben Sie mir das Telefon.«

»Lieber nicht.«

»Dann halten Sie es mir an den Mund.«

Das tat Tim. Mrs. Sigsby murmelte etwas, worauf das Telefon erwiderte: »Aktivierung abgelehnt. Sie haben zwei weitere Versuche.«

»Das können Sie bestimmt besser«, sagte Tim.

Mrs. Sigsby räusperte sich und sagte diesmal in beinahe normalem Ton: »Sigsby eins. Kansas City Chiefs.«

Die Benutzeroberfläche, die auf dem Display auftauchte, sah genauso aus wie die auf Tims I-Phone. Er tippte auf das Telefon-Icon und dann auf ANRUFLISTE. Da stand ganz oben STACKHOUSE.

Tim reichte Luke das Telefon. »Ruf du an. Ich will, dass er deine Stimme hört. Dann übergibst du an mich.«

»Weil du ein Erwachsener bist und er auf dich hören wird.«

»Hoffentlich hast du da recht.«

41

Beinahe eine Stunde nach Julias letztem Anruf – viel zu lange – blinkte das kastenförmige Telefon und begann zu summen. Hektisch griff Stackhouse danach. »Na, Julia, habt ihr ihn geschnappt?«

Die Stimme, die antwortete, verblüffte Stackhouse so sehr, dass er das Gerät fast hätte fallen lassen. »Nein«, sagte Luke Ellis. »Es ist genau andersrum gelaufen.« Im Ton des kleinen Scheißkerls schwang deutliche Befriedigung mit. »Wir haben sie geschnappt.«

»Was… was…« Zuerst fiel ihm nicht ein, was er sonst sagen sollte. Dieses wir gefiel ihm gar nicht. Was ihn hingegen aufrichtete, war der Gedanke an die drei in seinem Bürosafe verwahrten Reisepässe und seine sorgfältig durchdachte Ausstiegsstrategie.

»Ist Ihnen das zu hoch?«, sagte Luke. »Vielleicht muss man Sie mal in den Wassertank tunken. Das wirkt Wunder, was die mentalen Fähigkeiten angeht. Ich bin ein lebender Beweis dafür. Avery bestimmt auch.«

Stackhouse verspürte den starken Drang, sofort aufzulegen, seine Pässe zu holen und sich schnell und leise davonzumachen. Davon hielt ihn nur die Tatsache ab, dass der Junge überhaupt anrief. Das bedeutete, dass er etwas zu sagen – oder anzubieten – hatte.

»Luke, wo ist Mrs. Sigsby?«

»Direkt neben mir«, sagte Luke. »Sie hat ihr Telefon für uns entsperrt. War das nicht nett von ihr?«

Für uns. Ein weiteres ungünstiges Pronomen. Ein Pronomen, das gefährlich war.

»Offenbar gab es ein Missverständnis«, sagte Stackhouse. »Wenn irgendeine Chance besteht, es aufzuklären, sollten wir das unbedingt tun. Es steht nämlich mehr auf dem Spiel, als dir bekannt ist.«

»Tja, vielleicht kriegen wir das ja tatsächlich hin«, sagte Luke. »Das wäre gut.«

»Fantastisch! Kannst du mir dann mal kurz Mrs. Sigsby geben, damit ich weiß, dass es ihr…«

»Wie wär’s, wenn Sie stattdessen mit meinem Freund sprechen? Der heißt Tim.«

Während Stackhouse wartete, rann ihm der Schweiß an den Wangen herab. Er warf einen Blick auf den Computermonitor. Die Kinder im Tunnel, von denen die Revolte ausging – Dixon und seine Freunde – erweckten den Anschein, dass sie schliefen. Im Gegenteil zu den Rüben. Die wanderten ziellos umher, plapperten vor sich hin und kollidierten gelegentlich miteinander wie Autoscooter auf der Kirmes. Einer hatte eine Malkreide oder so und schrieb etwas an die Wand. Stackhouse staunte. Er hätte nicht gedacht, dass einer von denen noch in der Lage war, etwas zu schreiben. Vielleicht war es nur sinnloses Gekrakel. Die verdammte Kamera war nicht so gut, dass man die Buchstaben erkennen konnte. Dieser ganze minderwertige Scheißkram, mit dem man sich hier herumschlagen musste!

»Mr. Stackhouse?«

»Ja. Mit wem spreche ich?«

»Mit Tim. Mehr brauchen Sie vorläufig nicht zu wissen.«

»Ich will mit Mrs. Sigsby sprechen.«

»Sagen Sie etwas, aber fassen Sie sich kurz«, sagte der Mann, der sich Tim nannte.

»Da bin ich, Trevor«, sagte Julia. »Und es tut mir leid. Es hat einfach nicht geklappt.«

»Wie…«

»Das braucht Sie nicht zu kümmern, Mr. Stackhouse«, sagte der Mann, der sich Tim nannte. »Genauso wenig wie die Giftschlange hier. Wir müssen einen Deal zustande kriegen, und zwar unverzüglich. Können Sie also mal die Klappe halten und zuhören?«

»Ja.« Stackhouse zog einen Notizblock heran, auf den Schweißtropfen fielen. Er wischte sich mit dem Ärmel die Stirn, schlug eine neue Seite auf und griff nach einem Kugelschreiber. »Reden Sie.«

»Luke hat aus diesem Institut, in dem man ihn festgehalten hat, einen USB-Stick rausgeschmuggelt. Der stammt von einer Frau namens Maureen Alvorson. Sie erzählt darauf eine fantastische Geschichte, die kaum zu glauben wäre, wenn Alvorson nicht außerdem ein Video von dem gemacht hätte, was Sie als Station A oder Rübenacker bezeichnen. Können Sie mir so weit folgen?«

»Ja.«

»Luke sagt, Sie würden mehrere von seinen Freunden als Geiseln halten, zusammen mit einer Anzahl Kinder aus Station A.«

Bis zu diesem Moment hatte Stackhouse sich die Kinder nicht als Geiseln vorgestellt, aber aus dem Blickwinkel, den Ellis haben musste…

»Gehen wir mal davon aus, Tim.«

»Ja, das tun wir allerdings. Jetzt kommt das Wesentliche. Bisher kennen nur zwei Personen die Geschichte von Luke und das Zeug auf diesem USB-Stick. Eine davon bin ich, die andere ist meine Freundin Wendy, die sich im Moment bei mir und Luke befindet. Gesehen haben es noch andere, alles Polizisten, aber dank dieser Frau da sind die alle tot. Wie übrigens auch die meisten von den Leuten, die sie mitgebracht hat.«

»Das ist unmöglich!«, rief Stackhouse. Die Vorstellung, dass ein Haufen Kleinstadtcops die vereinten Teams Opal und Ruby Red ausgeschaltet hatte, war aberwitzig.

»Die Anführerin war ein bisschen zu ungeduldig, mein Freund, weshalb die Truppe überrumpelt wurde. Aber bleiben wir beim Thema, ja? Ich habe den USB-Stick. Außerdem habe ich Ihre Mrs. Sigsby und einen Dr. James Evans in der Gewalt. Beide sind verwundet, aber wenn sie diese Sache überstehen, werden sie wieder auf den Damm kommen. Sie wiederum haben die Kinder. Können wir tauschen?«

Stackhouse war perplex.

»Stackhouse? Ich brauche eine Antwort.«

»Das hängt davon ab, ob wir die Einrichtung geheim halten können oder nicht«, sagte Stackhouse. »Wenn Sie mir das nicht garantieren, ist jeder Deal sinnlos.«

Eine Pause, dann war Tim wieder dran. »Luke sagt, dass wir das hinbekommen könnten. Aber jetzt muss ich erst mal wissen, wo wir hinsollen, Stackhouse. Wie ist Ihr Stoßtrupp so schnell von Maine hierhergelangt?«