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»Tun wir schon nicht, wir sind ja glücklich, dass er hier ist«, sagte Eileen. »Sehr glücklich sogar. Und wir wissen, dass er ein guter Junge ist. Wir lieben ihn wie verrückt.«

»Und er Sie. Ich habe mehrere Gespräche mit Luke geführt, und daran lässt er keinen Zweifel. Ein so hervorragendes Kind findet man nur ausgesprochen selten. Eines, das außerdem noch gut integriert ist und mit beiden Beinen auf der Erde steht – das also auch die Außenwelt sieht und nicht nur die in seinem Kopf–, findet man noch seltener.«

»Wenn alles in Ordnung ist, wieso sitzen wir dann hier?«, fragte Herb. »Nicht dass ich nicht gerne zuhören würde, wie Sie ein Loblied auf meinen Sohn singen, ganz im Gegenteil. Übrigens schlage ich ihn beim Basketball immer noch locker, obwohl er einen anständigen Hakenwurf draufhat.«

Greer lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Sein Lächeln verschwand. »Sie sitzen hier, weil wir das Ende von dem erreicht haben, was wir für Luke tun können, und das weiß er. Er hat das Interesse geäußert, am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge Ingenieurwissenschaften zu studieren und in Boston, auf der anderen Seite vom Fluss, Englisch am Emerson College.«

»Was?«, rief Eileen. »Gleichzeitig?«

»Richtig.«

»Was ist mit der Zulassungsprüfung?« Mehr fiel Eileen nicht ein.

»Die macht er nächsten Monat, im Mai. An der North Community High. Dabei wird er bestimmt die Höchstpunktzahl erzielen.«

Dann werde ich ihm was zu essen einpacken müssen, dachte sie. Soweit sie gehört hatte, war die Mensa an der North Comm furchtbar.

Nach einem Moment verblüfften Schweigens sagte Herb: »Mr. Greer, unser Sohn ist gerade mal zwölf Jahre alt. Genauer gesagt, ist er erst letzten Monat zwölf geworden. Selbst wenn er das mit Serbien und so bestens kapiert haben sollte, kann er sich noch drei Jahre lang keinen Schnurrbart wachsen lassen. Daher… also…«

»Ich verstehe, wie Sie empfinden, und wir würden das Gespräch hier nicht führen, wenn meine in der Beratung tätigen Kollegen und der übrige Lehrkörper nicht der Ansicht wären, dass Luke akademisch, sozial und emotional fähig wäre, zu studieren. Und zwar an beiden Colleges gleichzeitig.«

»Ich schicke doch einen zwölfjährigen Jungen nicht irgendwohin weit weg, wo er mit Studenten zusammenwohnt, die alt genug sind, Alkohol zu trinken und in irgendwelche Clubs zu gehen«, sagte Eileen. »Wenn wir Verwandte hätten, bei denen er wohnen könnte, wäre es vielleicht was anderes, aber…«

Greer nickte zustimmend. »Ich verstehe, bin ganz Ihrer Meinung, und Luke weiß durchaus, dass er noch nicht bereit ist, allein zu leben, selbst in einem betreuten Umfeld. Das ist ihm völlig klar. Dennoch ist er zunehmend frustriert und unzufrieden mit seiner aktuellen Situation, weil er begierig ist, zu lernen. Er ist gewissermaßen ausgehungert. Ich weiß zwar nicht, was für eine fabelhafte Apparatur da in seinem Kopf vor sich hin werkelt – das weiß niemand von uns; wahrscheinlich ist der alte Flint dem mit seinem Spruch von Jesus und den Schriftgelehrten am nächsten gekommen–, aber wenn ich versuche, mir das bildlich vorzustellen, kommt mir eine riesige, glänzende Maschine in den Sinn, die mit lediglich zwei Prozent ihrer Kapazität läuft. Allerhöchstens mit fünf Prozent. Und weil es sich um eine menschliche Maschine handelt, fühlt Luke sich eben… hungrig.«

»Frustriert und unzufrieden?«, sagte Herb. »Hm. Das sehen wir eigentlich nicht an ihm.«

Ich schon, dachte Eileen. Nicht die ganze Zeit, aber manchmal. Ja. In den Momenten, wenn die Teller klappern oder die Türen von selbst zufallen.

Sie stellte sich die riesige, glänzende Maschine vor, die Greer beschrieben hatte, so groß, dass sie drei oder vier Fabrikhallen füllte. Und was tat sie genau? Nicht mehr, als Papierbecher herzustellen oder Aluminiumtabletts für Fast Food auszustanzen. Da waren sie ihm mehr schuldig, aber musste es ausgerechnet so etwas sein?

»Was ist mit der University of Minnesota?«, fragte sie. »Oder mit der Concordia University in St. Paul? Wenn er dort studieren würde, könnte er zu Hause wohnen.«

Greer seufzte. »Dann könnten Sie genauso gut überlegen, ihn hier abzumelden und in eine gewöhnliche Highschool zu stecken. Wir sprechen über einen Jungen, für den die IQ-Skala keinerlei Aussagekraft hat. Er weiß, wo er hinwill. Er weiß, was er braucht.«

»Aber ich weiß nicht, was wir da tun können«, sagte Eileen. »Selbst wenn er dort ein Stipendium bekommt, leben und arbeiten wir beide hier. Und wir sind alles andere als reich.«

»Nun gut, dann lassen Sie uns darüber reden«, sagte Greer.

2

Als Herb und Eileen am Nachmittag desselben Tages wieder an der Schule vorfuhren, stand Luke mit vier anderen Kids, zwei Jungen und zwei Mädchen, an der Abholspur. Die fünf unterhielten sich aufgeregt und lachten. Eileen fand, dass sie wie ganz gewöhnliche Kinder aussahen. Die schon leicht pubertierenden Mädchen trugen Rock und Leggings, Luke und sein Freund Rolf Baggy Pants aus Cord – entsprechend dem diesjährigen Modetrend für junge Männer – und Tanktops. Auf dem von Rolf stand BIER IST WAS FÜR ANFÄNGER. Er hatte die gepolsterte Tasche mit seinem Cello dabei und schien damit einen Pole Dance zu veranstalten, während er sich über irgendetwas ausließ. Das konnte genauso der schulische Frühlingsball sein wie der Satz des Pythagoras.

Als Luke seine Eltern sah, nahm er sich gerade genug Zeit, Rolf abzuklatschen, dann griff er sich seinen Rucksack und sprang auf den Rücksitz von Eileens 4Runner. »Beide Eltern!«, sagte er. »Ausgezeichnet. Welchem Ereignis verdanke ich diese außerordentliche Ehre?«

»Willst du wirklich in Boston aufs College gehen?«, fragte Herb.

Anstatt aus der Fassung zu geraten, lachte Luke und stieß beide Fäuste in die Luft. »Und ob! Darf ich?«

Als würde er fragen, ob er am Freitagabend bei Rolf übernachten darf, dachte Eileen staunend. Dann fiel ihr ein, wie Greer die Fähigkeiten ihres Sohnes beschrieben hatte. Er hatte sie als global bezeichnet, was der perfekte Ausdruck war. Luke war ein Genie, das irgendwie nicht von seiner übergroßen Intelligenz deformiert worden war; er hatte absolut keine Bedenken, auf sein Skateboard zu steigen und mit seinem extrem außergewöhnlichen Gehirn einen steilen Gehsteig hinunterzurasen.

»Gehen wir doch irgendwo was essen, auch wenn es dafür noch recht früh ist, dann können wir darüber reden«, sagte sie.

»Auf zu Rocket Pizza!«, rief Luke. »Wie wär’s damit? Natürlich nur, wenn du dein Omeprazol eingenommen hast, Dad. Hast du?«

»Oh, allerdings, gleich nach dem Gespräch heute in der Schule. Seither bin ich damit gut versorgt.«

3

Sie bestellten sich eine große Peperonipizza, die Luke zur Hälfte ganz allein vernichtete. Dazu goss er sich aus der Glaskanne drei Gläser Cola ein, weshalb seine Eltern wieder einmal nicht nur über seine mentalen Fähigkeiten staunten, sondern auch über die seines Verdauungstrakts und seiner Blase. Luke erklärte, er habe zuerst nicht mit ihnen, sondern mit Mr. Greer gesprochen. »Ich wollte vermeiden, dass ihr ausflippt. Im Grunde war es ein erstes Sondierungsgespräch.«

»Du hast sozusagen einen Versuchsballon gestartet«, sagte Herb.

»Genau. Ich habe einen Testlauf durchgeführt. Habe die Probe aufs Exempel gemacht. Habe die Idee auf den Prüfstand gestellt, um…«

»Stopp. Mr. Greer hat erklärt, wie wir es anstellen könnten, dich zu begleiten.«

»Das müsst ihr auch«, sagte Luke ernsthaft. »Ich bin zu jung, ohne meine ebenso geschätzten wie verehrten Altvorderen zu leben. Außerdem…« Er blickte sie über die Überreste der Pizza hinweg an. »… würde das nicht gut gehen. Ich würde euch zu sehr vermissen.«