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»Das ist dieser kleine Junge.«

»Genau. Ohnehin hatten sie schon lange niemand mehr, der so stark war. Vielleicht seit Jahren. Ich weiß nicht genau, was passiert ist, aber ich glaube, sie haben ihn in den Wassertank gesteckt. Durch die Nahtoderfahrung, die er dabei gemacht hat, sind die Stass-Lichter verstärkt worden, ohne dass er welche von den dämpfenden Injektionen bekommen hat.«

»Jetzt kann ich dir wirklich nicht mehr folgen.«

Luke hörte gar nicht hin. »Das war bestimmt eine Bestrafung dafür, dass er mir bei der Flucht geholfen hat.« Er deutete mit dem Kopf auf den Wagen. »Vielleicht weiß Mrs. Sigsby Bescheid, es könnte sogar ihre Idee gewesen sein. Jedenfalls ist der Schuss nach hinten losgegangen, sonst hätten sie nicht gemeutert. Die Kinder aus Station A haben die eigentliche Kraft, und die hat Avery freigesetzt.«

»Trotzdem haben sie offenbar nicht genügend Kraft, dass sie da rauskommen, wo sie in der Falle sitzen.«

»Noch nicht«, sagte Luke. »Aber ich glaube, das wird sich ändern.«

»Warum? Und wie?«

»Du hast mich nachdenklich gemacht, als du gesagt hast, dass Mrs. Sigsby und Stackhouse bestimmt noch jemand über sich haben. Da hätte ich eigentlich selbst drauf kommen sollen, aber da hat mir der Weitblick gefehlt. Wahrscheinlich weil Eltern und Lehrer das Einzige sind, was Kinder über sich haben. Jedenfalls… wenn es weitere Chefs gibt, wieso sollte es dann nicht noch weitere Institute geben?«

Ein Wagen bog auf den Parkplatz ein, fuhr an ihnen vorüber und verschwand mit blinkenden roten Rücklichtern. Als man ihn nicht mehr sah, redete Luke weiter.

»Vielleicht ist das Institut in Maine das einzige in Amerika, es könnte aber auch noch eins an der Westküste geben. Wie zwei Buchstützen sozusagen. Wahrscheinlich gibt’s eins in England… und in Russland… in Indien… China… Deutschland… Korea. Wenn man darüber nachdenkt, ist das total plausibel.«

»Kein Rüstungswettlauf, sondern ein mentaler Wettlauf«, sagte Tim. »Willst du darauf hinaus?«

»Wohl eher kein Wettlauf. Ich glaube, die ganzen Institute arbeiten zusammen. Sicher bin ich mir nicht, aber es kommt mir logisch vor. Sie haben ein gemeinsames Ziel, das irgendwie gut ist – indem man ein paar Kinder umbringt, hält man die Menschheit davon ab, sich selbst auszurotten. Ein Tauschhandel. Weiß Gott, wie lange das schon vor sich geht, aber bisher hat es noch nie eine Meuterei gegeben. Jetzt haben Avery und meine anderen Freunde eine angezettelt, und die könnte sich ausbreiten. Vielleicht tut sie das sogar schon.«

Tim Jamieson war kein Historiker oder Sozialwissenschaftler, aber er hielt sich auf dem Laufenden und dachte, dass Luke durchaus recht haben könnte. Eine Meuterei – oder eine Revolution, um eine weniger abwertende Bezeichnung zu verwenden – war wie ein Virus, erst recht im Informationszeitalter. So etwas konnte sich tatsächlich ausbreiten.

»Die Kraft, die jeder Einzelne von uns hat – also der Grund, weshalb man uns überhaupt gekidnappt und ins Institut geschafft hat–, ist relativ klein. Wenn wir alle zusammen sind, wird sie stärker. Besonders durch die Kids aus Station A, denn weil die keinen Verstand mehr haben, ist nur noch die Kraft übrig. Aber wenn es weitere Institute gibt, wenn die Kids dort wissen, was in unserem passiert, und wenn alle sich zusammentun…«

Luke schüttelte den Kopf. Er dachte an das Telefon im Flur seines Elternhauses, nur dass es jetzt zu einer enormen Größe angeschwollen war.

»Wenn es dazu käme, würde eine gewaltige Kraft entstehen, wirklich gewaltig. Deshalb brauchen wir Zeit. Falls Stackhouse mich für einen Trottel hält, der so versessen darauf ist, seine Freunde zu retten, dass er sich auf einen schwachsinnigen Deal einlässt, dann ist das nur gut für uns.«

Tim spürte immer noch den vermeintlichen Windstoß, der ihn an den Zaun gestoßen hatte. »Das heißt, wir fliegen gar nicht dorthin, um deine Freunde zu retten, oder?«

Luke betrachtete ihn ernst. Mit seinen Blutergüssen im Gesicht und seinem bandagierten Ohr wirkte er wie ein völlig harmloses Kind. Dann lächelte er, und für einen Augenblick sah er überhaupt nicht mehr harmlos aus.

»Nein. Wir werden dort aufräumen.«

8

Kalisha Benson, Avery Dixon, George Iles, Nicholas Wilholm, Helen Simms.

Die fünf Kinder saßen am Ende des Tunnels neben der verschlossenen Tür, hinter der – derzeit unerreichbar – Ebene F vom Vorderbau lag. Katie Givens und Hal Leonard waren eine Weile bei ihnen gewesen, hatten sich jetzt jedoch zu den Kindern aus Station A gesellt. Sie wanderten durch die Gegend, wenn die anderen das taten, und reichten ihnen die Hände, wenn sie einen Kreis bildeten. Len verhielt sich ebenso, und auch was Iris anging, hatte Kalisha keine große Hoffnung mehr, obwohl die bisher nur zusah, wie die Kinder aus Station A sich zusammenfanden, voneinander lösten und wieder zusammenfanden. Helen hatte sich erholt und war wieder ganz und gar bei ihnen, aber Iris war wohl schon verloren, genauso wie Jimmy Cullum und Donna Gibson, die Kalisha von ihrer Zeit im Vorderbau her kannte – dank ihren Windpocken hatte sie sich dort wesentlich länger aufgehalten als sonst üblich. Die Kinder aus Station A machten sie traurig, aber das mit Iris war schlimmer. Die Möglichkeit, dass sie irreparabel beschädigt worden war… diese Vorstellung war einfach…

»Grässlich«, sagte Nick.

Sie sah ihn beinahe vorwurfsvoll an. »Bist du etwa in meinem Kopf?«

»Ja, aber ich verzichte drauf, in deine mentale Unterwäscheschublade zu gucken«, sagte Nicky, worauf Kalisha schnaubte.

»Wir sind jetzt alle gegenseitig in unseren Köpfen«, sagte George und zeigte mit dem Daumen auf Helen. »Oder meint ihr wirklich, ich will wissen, wieso sie mal bei der Pyjamaparty von ’ner Freundin so laut lachen musste, dass sie sich in die Hose gepinkelt hat? Das ist ein authentischer Fall von Informationsüberflutung.«

»Immer noch besser, als rauszukriegen, dass du dir Sorgen wegen der Schuppenflechte an deinen…«, konterte Helen, aber Kalisha gebot ihr, den Mund zu halten.

»Was meint ihr wohl, wie spät es ist?«, fragte George.

Kalisha warf einen Blick auf ihr nacktes Handgelenk. »Keine Uhr.«

»Mir kommt es wie elf vor«, sagte Nicky.

»Wisst ihr, was komisch ist?«, sagte Helen. »Früher hab ich das Summen immer gehasst. Weil ich wusste, dass es mir das Gehirn aussaugt.«

»Das haben wir alle gewusst«, sagte George.

»Aber jetzt mag ich es irgendwie.«

»Weil es Kraft ist«, sagte Nicky. »Bloß hat die bisher denen gehört, bis wir sie uns zurückgeholt haben.«

»Eine Trägerwelle«, sagte George. »Und jetzt ist sie ständig vorhanden. Sie wartet nur auf eine Übertragung.«

Hallo, hört ihr mich, dachte Kalisha und wurde von einem Schauder ergriffen, der keineswegs unangenehm war.

Mehrere Kinder aus Station A fassten sich an den Händen. Iris gesellte sich zu ihnen. Das Summen wurde stärker, ebenso wie das Pulsieren der Leuchtstofflampen an der Decke. Als die Kids sich wieder losließen, sank das Summen zu seinem früheren Niveau herab.

»Er ist in der Luft«, sagte Kalisha. Keiner von den anderen musste fragen, wen sie meinte.

»Ich würd so gern mal wieder fliegen«, sagte Helen sehnsüchtig. »Das wäre richtig toll.«

»Ob sie wohl warten, bis er kommt, Sha?«, fragte Nicky. »Oder werden sie einfach das Gas aufdrehen? Was meinst du?«

»Bin ich etwa Professor X?« Sie stieß Avery den Ellbogen in die Seite… aber ganz sanft. »Wach auf, Avester. Es ist was im Busch.«

»Bin schon wach«, sagte Avery. Was nicht ganz stimmte, denn er hatte noch gedöst und das Summen genossen. Und an Telefone gedacht, die immer größer wurden, so wie die Hüte von Bartholomew Cubbins immer prächtiger geworden waren. »Sie werden warten. Das müssen sie, denn wenn uns was zustößt, würde Luke das mitkriegen. Und wir werden auch warten, bis er eintrifft.«